BGH V ZB 98/19
Anspruch eines Parlamentsabgeordneten auf Grundbucheinsicht

16.11.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
09.01.2020
V ZB 98/19
NJW 2020, 1511

Leitsatz | BGH V ZB 98/19

  1. Einem Abgeordneten des Deutschen Bundestags oder der Volksvertretung eines Landes steht nicht allein aufgrund seiner Stellung als Abgeordneter ein Anspruch auf Grundbucheinsicht nach § 12 Abs. 1 GBO zu.
  2. Die Kontrollfunktion der Parlamente gegenüber Regierung und Verwaltung kann ein öffentliches Interesse an der Grundbucheinsicht begründen, das der einzelne Abgeordnete als berechtigtes Interesse im Sinne von § 12 GBO geltend machen kann; dies setzt aber voraus, dass die Grundbucheinsicht der Aufklärung von Missständen oder Fehlverhalten im Bereich der Exekutive dient und nicht lediglich allgemeinen Informationszwecken.
  3. Aus den Entscheidungen des BVerfG (NJW 2001, 503) und des BGH (NJW-RR 2011, 1651) über die Grundbucheinsicht durch die Presse folgt nicht, dass Journalisten stets, allein aufgrund ihres Berufsstands und unabhängig von dem konkreten Rechercheanliegen, einen Anspruch auf Grundbucheinsicht haben. Vielmehr hat das Grundbuchamt auch bei Presseanfragen zu prüfen, ob sich der mit der Grundbucheinsicht verbundene Grundrechtseingriff als verhältnismäßig darstellt. (Leitsatz 3 der Redaktion).

Sachverhalt | BGH V ZB 98/19

Die Antragstellerin, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, beantragte bei dem Präsidenten des AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg unter Berufung auf Art. 45 Abs. 2 S. 1 BInVerf. Einsicht in alle bei dem AG geführten Grundbücher, in denen Grundstücke verzeichnet sind, die im Eigentum der D oder eines ihrer in einer gesonderten Liste aufgeführten Tochterunternehmen stehen.

Mit Beschluss des Gerichts wurde der Antrag zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin „Widerspruch“ eingelegt und ergänzend ausgeführt, die Immobilienbestände der D und ihrer Tochtergesellschaften seien Gegenstand der Volksinitiative „D. enteignen“. Eine substanziierte Teilnahme an der damit verbundenen Debatte und eine effektive parlamentarische Kontrolle der Exekutive seien nur bei genauer Kenntnis über Anzahl und Lage der betroffenen Immobilien möglich. Das KG hat diesen Rechtsbehelf als Beschwerde ausgelegt und zurückgewiesen. Auch die Rechtsbeschwerde vor dem KG wurde zurückgewiesen.

Entscheidung | BGH V ZB 98/19

In der Sache hatte die zulässige Rechtsbeschwerde vor dem BGH keinen Erfolg. Das Gericht schloss sich dem Beschwerdegericht an und ging ebenso davon aus, dass ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 12 Abs. 1 S. 1 GBO auf Seiten der Antragstellerin nicht bestand.

In Bezug auf das rechtliche Interesse beschäftigt sich das Gericht zunächst mit den hierfür zugrunde zu legenden Maßstäben. Es sei vorhanden, wenn der Antragsteller ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse darlege. Ausnahmsweise könnten auch öffentliche Interessen ein Recht auf Grundbucheinsicht begründen und durch Abgeordnete geltend gemacht werden. Dies gelte jedoch nur in Ausnahmefällen, etwa im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften der öffentlichen Hand.

Denn aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 und Art. 30 Abs. 2 S. 2 GG folge ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestags gegenüber der Bundesregierung, an dem die einzelnen Abgeordneten und die Fraktionen als Zusammenschlüsse von Abgeordneten nach Maßgabe der Ausgestaltung in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags teilhaben und dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung korrespondiere. Dieses Frage- und Informationsrecht rühre also aus der Kontrollfunktion des Parlaments und sei zugleich Ausdruck der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament.

Somit könne sich der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten jedoch von vorneherein nicht auf Angelegenheiten beziehen, die nicht in die Zuständigkeit der Bundesregierung fallen. Insoweit fehle es an einer Verantwortlichkeit der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag, sodass im Ergebnis kein allgemeines, von einem Bezug zur Verantwortlichkeit der Regierung losgelöstes und von einem konkret darzulegenden berechtigten Interesse unabhängiges Recht der Abgeordneten abgeleitete werden könne.

Die Abgeordneteneigenschaft habe dennoch Relevanz. Voraussetzung für die Geltendmachung eines öffentlichen Interesses zur Grundbucheinsicht sei aber die Aufklärung von Missständen oder Fehlverhalten im Bereich der Exekutive. Nicht hingegen würde allgemeine Informationszwecke ausreichen.

Allein der Wunsch nach einer fundierten Teilnahme an der Debatte über die Volksinitiative zur Vergesellschaftung des Immobilienvermögens begründe insoweit kein berechtigtes Interesse. Denn bei diesem Anliegen handele es sich um ein allgemeines Rechercheinteresse, mit dem lediglich Hintergründe aufgeklärt werden.

Gleiches würde im Übrigen für einen Journalisten gelten, der ein identisches Einsichtsgesuch gestellt hätte.

Praxishinweis | BGH V ZB 98/19

Das Gericht bestätigte, dass die Abgeordnetenstellung als solche nicht ausreiche, um ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht darzulegen. Die Daten, die das Grundbuch enthalte, dürften weder für die öffentliche Debatte, noch zur Ableitung politischer Forderungen genutzt werden. Denn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen, dass als Grundrecht durch Einsicht in das Grundbuch voller familiärer, sozialer und wirtschaftlicher Daten betroffen sei, stehe dem entgegen.