BGH V ZR 89/22
Kaufvertragliche Ansprüche bei scheinbarer Mitveräußerung eines Flurstücks

10.04.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
23.06.2023
V ZR 89/22
NJW 2023, 2942

Leitsatz | BGH V ZR 89/22

  1. Zur Beschaffenheit eines verkauften Grundstücks umfasst nicht die Ausdehnung auf ein benachbartes Grundstück; eine solche Vereinbarung bestimmt den Kaufgegenstand selbst und nicht lediglich dessen Beschaffenheit fest.
  2. Der Wortsinn einer in einem notariellen Grundstückskaufvertrag enthaltenen Erklärung ist nicht entscheidend, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien die Begriffe in der Erklärung anders verstehen oder wenn sie mit den Angaben zu den Flurstücken oder zum Grundbuch andere Vorstellungen über den verkauften Grundbesitz verbinden (sogenannte versehentliche Falschbezeichnung bzw. falsa demonstratio). Eine solche Falschbezeichnung ändert nach § 133 BGB nichts daran, dass nicht das fehlerhaft Erklärte, sondern das wirklich Gewollte gilt.
  3. Aus dem Umstand, dass die Kaufvertragsparteien die tatsächlichen Verhältnisse des Grundstücks des Verkäufers bei einer Besichtigung zur Kenntnis genommen haben, kann nur im Ausnahmefall auf eine Einigung über den Mitverkauf des nicht im Eigentum des Verkäufers stehenden Nachbargrundstücks geschlossen werden.
  4. Weckt der Verkäufer bei dem Käufer vor Vertragsschluss falsche – einseitige – Vorstellungen über den tatsächlichen Umfang seines Eigentums oder erkennt er eine entsprechende Fehlvorstellung über den Grenzverlauf, klärt den Käufer aber nicht über den wahren Grenzverlauf auf, fehlt es in aller Regel an einer Einigung über den Verkauf eines scheinbar zu dem Grundstück des Verkäufers zugehörigen fremden Grundstücks. Der Verkäufer kann allerdings wegen Verschuldens bei Vertragsschluss zum Schadensersatz in Anspruch genommen werden.

 

Sachverhalt | BGH V ZR 89/22

Hintergrund der Rechtsstreitigkeit ist der Verkauf eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück. Kaufgegenstand war das Flurstück 291/3. Bei Vertragsschluss gingen die Kläger davon aus, dass das angrenzende Flurstück 277/22, ebenfalls Teil des Kaufgegenstandes ist. Tatsächlich gehört das Flurstück jedoch einer dritten Person, die es nun von den Klägern als den Besitz herausverlangt. Die Kläger forderten die Rückabwicklung des Vertrags und zugleich die Feststellung, dass die Beklagten sie von sämtlichen materiellen Schäden freistellen müssen, die im Zusammenhang mit der Rückabwicklung entstehen. Die Klage wurde vom LG Oldenburg abgewiesen und die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Die Revision hatte ebenso keinen Erfolg.

Entscheidung | BGH V ZR 89/22

Unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt kommt ein Anspruch auf Rückabwicklung des Grundstückkaufvertrags in Betracht. Die beiden Parteien haben sich nicht auf einen Verkauf der beiden Flurstücke geeinigt.

Ein auf kaufrechtlicher Sachmängelhaftung beruhendes Rücktrittsrecht (§ 434 BGB i.V.m. § 437 Nr. 2 BGB) ist von vornherein auszuschließen. Die Beschaffenheitsvereinbarung des Kaufgegenstands umfasst keine benachbarten Grundstücke. Eine solche Eigenschaft kann auch nicht Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung sein, da eine solche Vereinbarung den Kaufgegenstand selbst und nicht nur dessen Beschaffenheit festlegt. Der Umstand, dass das verkaufte Grundstück nicht auch das Nachbargrundstück umfasst, könnte allerdings unter besonderen Umständen dazu führen, dass das verkauften Grundstück selbst nicht über die vereinbarte Beschaffenheit verfügt. Dies ist hier nicht der Fall.

Insbesondere lässt sich kein Anspruch auf Rückabwicklung auf § 433 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. den §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 S. 1 BGB mit der Begründung stützen, dass sich die Parteien, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur falsa demonstratio, darauf geeinigt hätten, dass der Verkauf auch das Nachbargrundstück beinhalte.

Bei einer Auslegung des notariellen Kaufvertrags ist zuerst der Wortlaut zu beachten. Aus diesem lässt sich erkennen, dass die Beklagte lediglich dazu verpflichtet war, das Grundstück 291/3 zu übertragen. Zwar können im Rahmen eines formbedürftigen Vertrags (§ 311b I 1 BGB) auch Umstände herangezogen werden, die außerhalb der Urkunde liegen. Dies erfordert jedoch, dass der rechtsgeschäftliche Wille der beteiligten Parteien zumindest andeutungsweise in der formgerechten Urkunde zum Ausdruck gebracht wurde. Vorliegend ist der Urkunde keine Vereinbarung zu entnehmen, die sich auch auf das Flurstück 277/22 bezieht. Dementsprechend ergibt sich aus dem Wortlaut der Vertragsurkunde, dass die Beklagte beabsichtigte, das Flurstück 291/3 in dem vom Grundbuch und Liegenschaftskataster ersichtlichen Zuschnitt und Umfang zu veräußern. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass diese Anforderung nicht für versehentlichen Falschbezeichnungen (falsa demonstratio) gilt. Sofern feststeht, dass die Vertragsparteien die Begriffe in der Vertragsurkunde anders verstehen oder andere Vorstellungen über den verkauften Grundbesitz teilen, ist der Wortlaut der Vertragsurkunde nicht maßgeblich. Dieser Grundsatz wurde durch die Rechtsprechung des Senats gefestigt und ist auch auf formbedürftige Rechtsgeschäfte anzuwenden. Dementsprechend gilt nicht die fehlerhafte Erklärung, sondern das wirklich Gewollte, § 133 BGB. Hieraus ergibt sich kein Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats (BGHZ 207, 349), die zur wirksamen Begründung einer Beschaffenheitsvereinbarung bei einem formgebundenen Kaufvertrag erfolgte.

Um einen Grundstücksverkauf zu begründen, muss die Vereinbarung über die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes formwirksam sein. Dies bedeutet, dass der Wille der Vertragsparteien zumindest andeutungsweise in der Vertragsurkunde festgehalten sein muss. Eine einfache Beschreibung der Merkmale eines Grundstücks durch den Verkäufer vor Vertragsschluss ist in der Regel nicht ausreichend, um eine Beschaffenheitsvereinbarung zu begründen. Die Parteien können nicht davon ausgehen, dass Informationen, die zwar im Vorfeld des Vertragsschlusses erwähnt werden, später jedoch nicht als geschuldete Beschaffenheit im Kaufvertrag aufgenommen werden, den Inhalt der vertraglichen Verpflichtungen festlegen. Hier besteht der wesentliche Unterschied zu einer versehentlichen Falschbezeichnung des Kaufgegenstandes darin, dass die Parteien das objektiv Erklärte anders verstehen, da sie tatsächlich etwas anderes vereinbart haben und davon ausgehen, dass das wirklich Gewollte im Vertrag zum Ausdruck gebracht wurde. In diesen Fällen entspricht die Bezeichnung des Kaufgegenstands im Vertrag der Einigung der Parteien, sodass die Formanforderungen eingehalten wurden.

Die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Situationen lässt sich damit begründen, dass trotz einer versehentlichen Falschbezeichnung der übereinstimmende Wille der Parteien in der notariellen Urkunde enthalten ist. Lediglich bei der Auslegung der getroffenen Vereinbarung müssen außervertragliche Umstände berücksichtigt werden. Sofern jedoch vorvertragliche Erklärungen nicht in den notariellen Vertrag aufgenommen wurden, handelt es sich nicht um eine versehentliche Falschbezeichnung. Stattdessen fehlt in der Regel der Rechtsbindungswille und somit die Beschaffenheitsvereinbarung. Vorliegend ist nicht erkennbar, ob die Parteien in ihrer Erklärung Begriffe entgegen dem Wortsinn verstanden haben oder andere Vorstellungen über die Flurstück- oder Grundbuchangaben hatten.

Versehentliche Falschbezeichnungen sind bei Grundstücksverkäufen zum Beispiel dann möglich, wenn die Parteien die Parzellenbezeichnung verwechseln oder eine von mehreren verkauften Parzellen nicht im notariellen Vertrag aufführen. Anwendung findet die versehentliche Falschbezeichnung auch dann, wenn im Kaufgegenstand irrtümlich das gesamte Grundstück aufgeführt wird, obwohl sich die Parteien nur auf den Verkauf und die Übertragung einer bestimmten Teilfläche geeinigt haben: Denkbar sind auch Fälle, in denen die Grundstücksfläche zwar im notariellen Vertrag versehentlich nicht bezeichnet wurde, jedoch entsprechend den Umständen des Einzelfalls mitverkauft werden sollte.

Verkäufe, bei denen mehr weniger verkauft werden soll als im notariellen Verkauf angegeben, stellen jedoch eine seltene Ausnahme dar. Generell soll das Grundstück nur in dem Zuschnitt und Umfang verkauft werden, der im Grundbuch und Liegenschaftskataster verzeichnet ist. Der Umstand, dass es zu Ungenauigkeiten bei der Bildung der Grundstücksgrenzen kommen kann, sollte bekannt sein und nicht zur beidseitigen Vorstellung führen, dass die Grenzeinrichtung Maß und Größe bestimme.

Dies gilt insbesondere für solche Konstellationen, in denen der Verkäufer nicht Eigentümer des im Vertrag nicht bezeichneten Grundstücks ist. In der Regel ist davon auszugehen, dass der Verkäufer nur sein Grundstück verkaufen will und nicht auch das seines Nachbarn. Auch der Käufer kann nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der Verkäufer mehr verkaufen möchte, als ihm selbst gehört. Hieran ändert grundsätzlich auch eine gemeinsame Besichtigung des Grundstücks nichts. Nicht jede Abweichung etwa der Einfriedung von der vermessenen Grundstücksgrenze bedeutet automatisch, dass die Parteien statt des vermessenen Grundstücks, lieber das bei der Besichtigung wahrgenommene Grundstück zum Vertragsgegenstand machen wollten und sie diese Einigung im notariellen Grundstückskaufvertrag lediglich versehentlich falsch bezeichnet haben. Es sind vielmehr besondere und gewichtige Indizien erforderlich.

Die Anwendung der Prinzipien der falsa demonstratio ist jedoch von Anfang an ausgeschlossen, wenn die Parteien keinem beidseitigen Irrtum unterliegen. Dies betrifft Fälle, in denen der Verkäufer bei dem Käufer vor Vertragsschluss einseitig falsche Vorstellungen über den tatsächlichen Umfang seines Eigentums vermittelt sowie Fälle, in denen der Verkäufer die falschen Vorstellungen erkennt und den Käufer über die wahren Eigentumsverhältnisse fahrlässig oder vorsätzlich im Unklaren lässt. In diesen Konstellationen beinhaltet die Einigung in der Regel nicht das scheinbar zum Grundstück des Verkäufers gehörende fremde Grundstück. Demzufolge liegt keine versehentliche Falschbezeichnung vor und es besteht kein Erfüllungsanspruch bezüglich des fremden Nachbargrundstücks.

In Betracht kommt jedoch Schadenersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluss. Der Verkäufer könnte wegen culpa in contrahendo (§§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB) in Anspruch genommen werden, wenn er die falschen Vorstellungen des Käufers erkannt und nicht berichtigt hat. Der Anspruch wird nicht durch die Regelungen zur Sachmängelhaftung gesperrt, da die fehlende Einbeziehung des Nachbargrundstücks keinen Sachmangel darstellt. Somit wäre eine Haftung grundsätzlich gegeben, unabhängig davon, ob der Beklagte fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat.

Die Verjährung bei einem Anspruch auf Übertragung des Grundstücks richtet sich nach §§ 196, 200 BGB und beträgt 10 Jahre. Entsprechend der Rechtsprechung des Senats erfasst § 196 BGB auch Rückabwicklungsansprüche aus Grundstückskaufverträgen. Die Verjährungsfrist beginnt mir der Entstehung des Anspruchs. Dies ist der Zeitpunkt, in dem der Anspruch erstmals geltend gemacht und gegebenenfalls mittels einer Klage durchgesetzt werden kann. In der Regel ist dies der Zeitpunkt der Fälligkeit (§ 271 BGB). Für den Verjährungsbeginn gem. § 200 S. 1 BGB kommt es nicht auf die Kenntnis des Klägers an.

Kaufvertraglichen Ansprüchen, die auf eine Übertragung des Grundstücks gerichtet sind, werden in der Regel nicht schon mit dem Vertragsschluss fällig. Dies hat den Hintergrund, dass Grundstücksverträge gewöhnlich Regelungen enthalten, die den Verkäufer davor schützen sein Eigentum zu übertragen, ohne den Kaufpreis zu erhalten. Somit kann der Anspruch auf Eigentumsverschaffung, welcher auch die Mitwirkungspflicht des Verkäufers zur Grundbucheintragung umfasst, auch erst mit dem Nachweis der Kaufpreiszahlung fällig werden.

 

Praxishinweis | BGH V ZR 89/22

Der BGH erachtet die vermeintliche Fehlbezeichnung bei Grundstückskaufverträgen nur dann als anwendbar, wenn eine beidseitiges Fehlverständnis vorliegt. Im Gegensatz zu nicht formbedürftigen Verträgen ist bei formbedürftigen Verträgen eine einseitige Fehlbezeichnung beachtlich und führt nicht zu einer falsa demonstratio. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist es möglich, zusätzlich zu dem ausdrücklich benannten noch ein weiteres Grundstück zu verkaufen und zu übertragen. Da somit primär die Benennung des Kaufgegenstandes im Grundstückskaufvertrag entscheidend ist, ist bei Grundstücksverkaufen zu empfehlen einen Lageplan des verkauften Grundstücks beizufügen.