BGH XII ZB 106/20
Zur Feststellung der Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht

02.08.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
29.07.2020
XII ZB 106/20
NJW 2021, 63

Leitsatz | BGH XII ZB 106/20

  1. Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung (im Anschluss an Senat NJW 2016, 1514 = FamRZ 2016, 701).
  2. Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei ist die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat.

Sachverhalt | BGH XII ZB 106/20

Der Betroffene leidet unter anderem an einer kognitiven Störung im Rahmen einer vaskulären Enzephalopathie bei ausgedehnter cerebraler Mikroangiographie. Am 30.09.2015 erteilte er der Beteiligten zu 3 eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht, die er am 15.01.2018 widerrief. Am 09.03.2018 erteilte der Betroffene seinem Sohn, dem Beteiligten zu 2, eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht.

Im März 2018 hat das Amtsgericht ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung und der persönlichen Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht einen Berufsbetreuer bestellt, mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie Widerruf der den Kindern des Betroffenen erteilten Vollmachten. Zudem hat es einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet.

Gegen diese Entscheidung haben der Betroffene, mit dem Ziel einer Aufhebung der Betreuung und die Beteiligte zu 3 mit dem Ziel, selbst zur Betreuerin bestellt zu werden, Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat ein ergänzendes Gutachten der Sachverständigen eingeholt und die Notare, die die Vollmachten beurkundet haben, sowie die Hausärztin des Betroffenen, als Zeugen vernommen. Nach Anhörung des Betroffenen und der mündlichen Erläuterung der Gutachten durch die Sachverständige hat das Landgericht die amtsgerichtliche Entscheidung ersatzlos aufgehoben. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde.

 

Entscheidung | BGH XII ZB 106/20

Der BGH entschied, dass die Entscheidung des LG Bremen rechtlich nicht zu beanstanden sei. Die von dem Betroffenen zugunsten des Sohnes erteilte General- und Vorsorgevollmacht vom 9.3.2018 sei wirksam. Es sei nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig war. Nach § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Bestellung erforderlich ist. Daran fehle es, wenn die Angelegenheiten ebenso gut durch einen Bevollmächtigten besorgt werden könne. Eine wirksame Vorsorgevollmacht steht damit einer Betreuerbestellung grundsätzlich entgegen. Es sei denn, die Unwirksamkeit der Bevollmächtigung könne positiv festgestellt werden.

Die Geschäftsfähigkeit hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen. Wird dabei ein Gutachten eines Sachverständigen eingeholt, ist dieses sorgfältig und kritisch zu überprüfen. Vorliegend habe der Sachverständige bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen danach nach der Komplexität des Geschäfts differenziert. Für Geschäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt wurde die Geschäftsfähigkeit bejaht, aber verneint in Bezug auf die Erteilung einer Generalvollmacht. Eine solche Differenzierung sei rechtlich allerdings nicht anerkannt. Bei der Geschäftsfähigkeit sei maßgeblich, ob der Betroffene eine freie Willensentscheidung treffen können, nicht aber die Fähigkeiten seines Verstandes. Die Einschätzung des Sachverständigen genügt damit den rechtlichen Anforderungen der Geschäftsfähigkeit iSv § 104 Nr. 2 BGB nicht und kann nicht beachtet werden. Auch aus der Vernehmung der Notare und der Hausärztin würden sich keine Anhaltspunkte einer fehlenden Geschäftsfähigkeit entnehmen lassen. Die Vollmacht sei damit wirksam.

 

Praxishinweis | BGH XII ZB 106/20

Grundsätzlich ist von der Geschäftsfähigkeit eines Vollmachtgebers auszugehen, andernfalls ist die Geschäftsunfähigkeit positiv festzustellen. Wird ein Sachverständigen Gutachten eingeholt und von diesem abgewichen, muss sich das Gericht in überzeugender Weise kritisch mit dem Inhalt auseinandersetzen. Sofern es in seiner Überzeugungsbildung von dem Gutachten abweichen möchte, hat das Gericht dies gut zu begründen. In der Praxis ist es daher ratsam Zeugen zuzuziehen, die Vollmacht beurkunden zu lassen und ein ärztliches Attest einzuholen.