BGH XII ZB 531/22
Sittenwidrigkeit einseitiger Scheidungsfolgenvereinbarungen

13.02.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
29.11.2023
XII ZB 531/22
BeckRS 2023, 40784

Leitsatz | BGH XII ZB 531/22

  1. Zur Zulässigkeit eines Zwischenfeststellungsantrags betreffend die Wirksamkeit eines Ehevertrags in der Folgesache Güterrecht.
  2. Zur Inhaltskontrolle von Scheidungsfolgenvereinbarungen.

Sachverhalt | BGH XII ZB 531/22

Der Antragsteller, ein libanesischer Staatsangehöriger, und die Antragsgegnerin, deutsche Staatsangehörige, schlossen im September 1996 in Deutschland die Ehe. Zuvor hatten sie in Anwesenheit zweier muslimischer Zeugen einen notariellen Ehevertrag geschlossen.

Darin vereinbarten die Beteiligten den Güterstand der Gütertrennung. Weiter sahen sie eine Verpflichtung des Antragstellers zur Zahlung einer teilweise bei Eheschließung und im Übrigen bei Auflösung der Ehe fälligen Morgengabe in Höhe von 5.000 DM sowie einer bei Auflösung der Ehe fälligen „Abstandssumme“ von 1.000 DM vor. Sie trafen besondere Regelungen zu den Scheidungsvoraussetzungen, unter denen die Antragsgegnerin sich neben den gesetzlichen Voraussetzungen aus der Ehe lösen durfte. Außerdem vereinbarten sie, unter welchen Umständen der Antragsteller zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts verpflichtet sein soll. Zum Sorgerecht für gemeinsame Kinder regelten die Beteiligten, dass die Antragsgegnerin im Falle der Auflösung der Ehe dieses weiterhin innehaben sollte, und zwar für Söhne mindestens sieben Jahre und für Töchter mindestens neun Jahre nach der Geburt.

Abschließend enthält der Ehevertrag eine salvatorische Klausel, laut welcher die Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen die Wirksamkeit des übrigen Vertragsinhalts unberührt lassen soll.
Am 25. Juli 2019 wurde der Antragsgegnerin der Scheidungsantrag des Antragstellers zugestellt. Die Antragsgegnerin hat daraufhin einen Stufenantrag zur Folgesache Güterrecht gestellt, mit dem sie Auskunft vom Antragsteller über sein Anfangs-, Trennungs- und Endvermögen begehrte. Das Amtsgericht hat den Auskunftsanspruch durch Teilbeschluss abgewiesen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt und ihre Anträge um einen Zwischenfeststellungsantrag erweitert, mit dem sie die Feststellung der Unwirksamkeit des Ehevertrags begehrte. Das OLG hat festgestellt, dass der von den Beteiligten geschlossene Ehevertrag insgesamt unwirksam ist, und unter Abänderung des amtsgerichtlichen Teilbeschlusses den Antragsteller zur Erteilung der Auskünfte verpflichtet. Im Wege der Rechtsbeschwerde zum BGH begehrte der Antragsteller die Abweisung des Zwischenfeststellungsantrags und die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses.

Entscheidung | BGH XII ZB 531/22

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Der Zwischenfeststellungsantrag gerichtet auf die Überprüfung der Wirksamkeit des Ehevertrags ist nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm. § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Bei dem Ehevertrag handelt es sich um ein für die Entscheidung über den geltend gemachten Auskunftsanspruch und einen Anspruch der Antragsgegnerin auf Zugewinnausgleich vorgreifliches Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO. Denn die geltend gemachten güterrechtlichen Ansprüche wären nach der vereinbarten Gütertrennung ausgeschlossen, wenn diese Vereinbarung wirksam wäre.
Dass die Entscheidung zum Güterrecht die Rechtsbeziehungen der Beteiligten im Hinblick auf den Ehevertrag nicht erschöpfend regelt, weil dessen Wirksamkeit auch für andere Scheidungsfolgen und nacheheliche Rechtsbeziehungen der Beteiligten relevant ist, hindert die Zulässigkeit des Zwischenfeststellungsantrags der Antragsgegnerin nicht, weil nur durch die Überprüfung des Ehevertrags auf seine Gesamtnichtigkeit eine abschließende und einheitliche Klärung dieser Streitfrage erreicht werden kann.

Die Würdigung des Ehevertrags als insgesamt sittenwidrig durch das OLG hielt einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, weil sie jegliche Feststellungen zu den Voraussetzungen der subjektiven Imparität der Vertragsparteien fehlen ließ.

Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle des Ehevertrags hat der Tatrichter zunächst zu prüfen, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr – und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Erforderlich ist dabei eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss abstellt, insbesondere also auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen auf die Ehegatten und etwaige Kinder. Subjektiv sind sodann die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die die Ehegatten dazu bewogen haben, den Ehevertrag zu schließen. Das Verdikt der Sittenwidrigkeit wird dabei regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten, den von ihnen angestrebten oder gelebten Ehetyp oder durch sonstige gewichtige Belange des begünstigten Ehegatten gerechtfertigt wird.

Das Gesetz kennt keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zugunsten des berechtigten Ehegatten, so dass auch aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen nur dann auf die weiter erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden kann, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt. Eine lediglich auf die Einseitigkeit der Lastenverteilung gegründete tatsächliche Vermutung für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit lässt sich bei familienrechtlichen Verträgen indes nicht aufstellen. Ein unausgewogener Vertragsinhalt mag zwar ein gewisses Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Gleichwohl ist das Verdikt der Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt, wenn außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit, hindeuten könnten.

Bei Vorliegen derartiger Umstände ändert indes auch eine in den Ehevertrag aufgenommene salvatorische Klausel bei Nichtigkeit einzelner Vertragsklauseln nichts an der Gesamtnichtigkeit des Ehevertrags und der damit einhergehenden Unwirksamkeit der Vereinbarung über die Gütertrennung ändern. Wenn sich das Verdikt der Sittenwidrigkeit aus der Gesamtwürdigung eines einseitig belastenden Ehevertrages ergibt, erfasst die Nichtigkeitsfolge notwendig den gesamten Vertrag, ohne dass eine Erhaltungsklausel hieran etwas ändern könnte. Denn in diesem Falle spiegelt sich auch in der Vereinbarung der Erhaltungsklausel selbst eine etwa auf ungleichen Verhandlungspositionen beruhende Störung der Vertragsparität zwischen den Ehegatten wider.

Praxishinweis | BGH XII ZB 531/22

Der Ehevertrag stellt ein vorgreifliches Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO für einen etwaigen Auskunftsanspruch zur Vorbereitung einer Zugewinnausgleichsforderung dar und kann daher im Wege eines Zwischenfeststellungsantrags in zulässiger Weise zur Überprüfung gestellt werden.

Bei der Inhaltskontrolle einer Scheidungsfolgenvereinbarung kann nicht allein aus der objektiven Einseitigkeit belastender Regelungen auf die Sittenwidrigkeit der Regelung geschlossen werden. Vielmehr muss auch die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit in Form einer verwerflichen Gesinnung des begünstigten Ehegatten hinzutreten. Auf eine solche kann etwa aus ungleichen Verhandlungspositionen der Beteiligten oder sonstigen Randumständen geschlossen werden, aus denen sich eine Störung des subjektiven Gleichgewichts zwischen den Vertragspartnern ergibt.

Führt die Gesamtwürdigung dieser objektiven und subjektiven Aspekte tatsächlich zur Sittenwidrigkeit der Scheidungsfolgenvereinbarung, so verhindert auch eine Erhaltungsklausel die notwendige Nichtigkeit des gesamten Vertrages nicht. Dieses Risiko der Gesamtnichtigkeit sollte daher schon bei der Vereinbarung etwaiger einseitig benachteiligender Regelungen mitbedacht werden.