BGH V ZB 58/22
Zum Verhältnis von dinglichem Vorkaufsrecht und Vorkaufsrecht des Mieters

20.11.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
27.04.2023
V ZB 58/22
NZM 2023, 545

Leitsatz | BGH V ZB 58/22

Das dingliche Vorkaufsrecht genießt jedenfalls dann Vorrang vor dem Vorkaufsrecht des Mieters, wenn es von dem Eigentümer zugunsten eines Familienangehörigen i.S.v. § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB bestellt wurde.

Sachverhalt | BGH V ZB 58/22

Für ein Wohngrundstück wurde im Wohnungsgrundbuch H. P. als Wohnungseigentümer und zeit- gleich für die Beteiligte zu 1, der zwischenzeitlich geschiedenen Ehefrau, ein Vorkaufsrecht eingetragen „- auflösend bedingt für den ersten das Vorkaufsrecht auslösenden Verkaufsfall - vererblich und nicht übertragbar - (...)“. 2019 verkaufte der ehemalige Eigentümer die Wohnung an einen Dritten. Daher erklären sowohl der Beteiligte zu 1 als auch der Mieter, Beteiligter zu 2, dass sie von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen werden. Der Voreigentümer verkaufte die Wohnung mit Zustimmung der Drittkäufer an den Beteiligten zu 2, der im Oktober 2020 als Eigentümer eingetragen wurde. Die Beteiligte zu 1 verklagte den ehemaligen Eigentümer vor dem Landgericht Dresden unter anderem auf Auflassung des Wohneigentums. Die Klage wurde am 1. Februar 2022 durch ein nicht rechtskräftiges Urteil abgewiesen. Am 31. März 2022 wurde das Vorkaufsrecht im Grundbuch zugunsten des Beteiligten zu 1 eingetragene Vorkaufsrecht gelöscht. Das OLG Dresden wies die Beschwerde ab, woraufhin der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde zum BGH erhob.

Entscheidung | BGH V ZB 58/22

Der BGH hob auf die Rechtsbeschwerde hin den Beschluss des OLG Dresden auf und wie das AG Meißen, Grundbuchabteilung, an, einen Widerspruch gegen die Löschung des im Grundbuch von Meißen - Wohnungsgrundbuch - auf Blatt 5639 in Abteilung II unter der laufenden Nummer 2 eingetragenen Vorkaufsrechts einzutragen.

Das Beschwerdegericht habe zu Unrecht abgelehnt, das Grundbuchamt zur Eintragung eines Amtswiderspruchs gegen die Löschung des Vorkaufsrechts anzuweisen. Der BGH stellte zunächst fest, dass das Beschwerdegericht den Antrag des Beschwerdeführers zutreffend umgedeutet habe. Gegen eine inhaltlich zulässige Eintragung könne sich der Beschwerdeführer nur mit dem Antrag zulässig ist, gegen die Eintragung einen Amtswiderspruch einzutragen.

Der BGH sah die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO als gegeben an. Die Voraussetzungen zur Eintragung eines Widerspruchs gemäß dieser Vorschrift liegen vor, wenn die Löschung des Vorkaufsrechts unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften vorgenommen wurde und das Grundbuch dadurch unrichtig geworden ist.

Das Grundbuchamt habe gegen die §§ 22, 29 GBO verstoßen, indem es das Vorkaufsrecht gelöscht hat, ohne dass die Unrichtigkeit des Grundbuchs ausreichend nachgewiesen war. Dazu hätte die Beschwerdeführerin wegen der fehlenden Löschungsbewilligung gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 GBO den Nachweis der Grundbuchunrichtigkeit führen müssen.

Voraussetzung für diesen sei, dass das Grundbuch materiell-rechtlich unrichtig sei. Das sei bei einem Erlöschen des Vorkaufsrechts der Fall. Ausdrücklich offen ließ der BGH dabei die Frage, ob das Vorkaufsrecht des Mieters aus § 577 BGB einem dinglichen Vorkaufsrecht nach § 1094 BGB generell vorgehe. Dieser, überwiegend in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. etwa Häublein in MüKoBGB, 9. Aufl. 2023, § 577 Rn. 24), war auch das Beschwerdegericht erfolgt. In der Rechtfrage wurde diese Frage bisher noch nicht obergerichtlich geklärt. Einzelne Entscheidungen des BGH (WM 1977, 550), die einen Vorrang des gesetzlichen Vorkaufsrechts annahmen, seien nicht als abschließend zu bewerten, weil im dort entschiedenen Fall, ein gesetzlicher Vorrang ausdrücklich angeordnet worden sei. Allein, dass der Gesetzgeber dem gesetzlichen Vorkaufsrecht in einigen Fällen, wie § 28 II 5 BauGB, ausdrücklich Vorrang einräume, lass noch nicht auf eine abschließende gesetzgeberische Wertung des Rangverhältnisses schließen.

Diese Frage sei hier nicht zu entscheiden, weil jedenfalls im vorliegenden Fall das dingliche Vorkaufsrecht Vorrang vor dem Vorkaufsrecht des Mieters genieße, wenn es von dem Eigentümer zugunsten eines Familienangehörigen gemäß § 577 Abs. 1 S. 2 BGB bestellt wurde.

§ 577 Absatz Abs. 1 S. 2 BGB berechtigt den Mieter zum Vorkauf, wenn der Vermieter die Wohnräume an einen Familienangehörigen oder an einen Angehörigen seines Haushalts verkauft. Da die Rechtsprechung den Begriff des Familienangehörigen entsprechend § 52 StPO auslegt, war auch die geschiedene Ehegattin als Familienangehörige im Sinne der Vorschrift anzusehen.

§ 577 Abs. 1 S.2 BGB findet hier aber keine unmittelbare Anwendung. Der Voreigentümer habe der Beteiligten zu 1 lediglich ein dingliches Vorkaufsrecht eingeräumt. Ein Verkauf habe nicht stattgefunden. Die Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts stelle keinen „Verkauf“ im Sinn dieser Vorschrift dar. Richtig ist zwar, dass ein Verkaufsfall iSv § 577 BGB auch dann vorliegen kann, wenn der mit dem Dritten abgeschlossene Kaufvertrag unter einer aufschiebenden Bedingung. Richtig sei auch, dass die schuldrechtliche Vereinbarung über die Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts der notariellen Beurkundung gemäߧ 311b Abs. 1 S. 1 BGB bedürfe, weil mit ihr zugleich die Verpflichtung begründet wird, das Eigentum an dem Grundstück unter bestimmten Umständen an den Vertragspartner zu übertragen. Auch das RG war schon davon ausgegangen, dass die Vereinbarung über die Bestellung des dinglichen Vorkaufsrechts beurkundungsbedürftig ist, weil sie die „bedingte Verpflichtung des Verkäufers zur Übertragung des Eigentums“ enthielte (RGZ 110, 327, 333). Selbst wenn man aber die schuldrechtliche Vereinbarung über die Bestellung des dinglichen Vorkaufsrechts in diesem Sinn als „doppelt bedingten Kauf“ ansehen wollte, änderte das nichts daran, dass sie nicht als „Verkauf“ i.S.v. § 577 BGB angesehen werden könne. Dies müsse sich aus der Auslegung der Norm ergeben. Die Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts könne schon deshalb keinen Verkaufsfall iSv § 577 BGB darstellen, weil die Vorkaufsrechtsvereinbarung nicht die essentialia eines Kaufvertrags enthielte. Es fehle an einer Einigung über den vom Käufer zu zahlenden Kaufpreis, er erst in dem von dem Vorkaufsverpflichteten mit dem Dritten abgeschlossenen Kaufvertrag festgelegt werde

Aus der in gesetzgeberischen Wertungsentscheidung folge aber Vorrang des von dem Vermieter zugunsten eines Familienangehörigen bestellten dinglichen Vorkaufsrecht.

§ 577 BGB diene der Vermeidung der der Verdrängung des Mieters aufgrund einer spekulativen Umwandlung von Wohnungen in Eigentumswohnungen. Das Interesse des Vermieters, die Wohnung an eine bestimmte ihm nahestehende Person verkaufen zu können, gehe demgegenüber aber vor (BT-Drs. 12/3254, 40). Diesem gesetzgeberischen Regelungskonzept, die durch Art. 14 GG geschützten Grundrechtspositionen von Mieter und Vermieter in einen sachgerechten Ausgleich gebracht werden sollen, widerspräche es, wenn dem gesetzlichen Mietervorkaufsrecht im Verhältnis zu einem von dem Vermieter zugunsten eines Familienangehörigen bestellten dinglichen Vorkaufsrecht Vorrang eingeräumt würde. Dafür spräche auch, dass Vermieter Grundstück oder Wohnungseigentum direkt an den Familienangehörigen verkaufen könne, ohne dass der Mieter zum Vorkauf berechtigt wäre. Gegenüber der Verdrängung durch einen Erwerber, der nach Eigentumsumschreibung das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs kündigt, sei der Mieter nach den §§ 573, 577 BGB im Verhältnis zu Familienangehörigen des Vermieters nicht geschützt.

Ein Vorrang des Mietervorkaufsrechts könne daher allenfalls in Fällen von Rechtsmissbräuchen in Betracht kommen. Dieser liege vor, wenn nur zur Ausschaltung des Vorkaufsrechts des Mieters einer nach § 577 Abs. 1 S. 2 BGB privilegierten Person ein dingliches Vorkaufsrecht eingeräumt würde. Weder bestünden hierfür vorliegend Anhaltspunkte, noch könne dies einer Eintragung eines Amtswiderspruchs im Grundbuchverfahren entgegenstehen, weil insofern die Beweismittelbeschränkung des Verfahrens zu beachten sei.

Da die Beteiligte zu 1 hat auch glaubhaft gemacht habe, dass sie das ihr zustehende dingliche Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt hatte. und das dingliche Vorkaufsrecht nach dem ausgeführten Vorrang genieße und ihm § 1098 Abs. 2 BGB i.V.m. § 883 Abs. 2 BGB, § 888 BGB die Wirkung einer Vormerkung zukomme, sei insgesamt glaubhaft, dass das Vorkaufsrecht noch bestehe und das Grundbuch durch seine Löschung unrichtig geworden sei.

Daher sei ein Amtswiderspruch einzutragen.

Praxishinweis | BGH V ZB 58/22

Ungeklärt lies der BGH auch in dieser Entscheidung erneute die Frage, welches Rangverhältnis zwischen dem Vorkaufsrecht des Mieters und dem dinglichen Vorkaufsrecht besteht. So zeigt die Entscheidung des BGH aber erneut, dass bei der Veräußerung einer vermieteten Wohnung oder vermieteten Grundstücks bei der Einräumung eines dinglichen Vorkaufsrecht Vorsicht gewahrt werden sollte (Zimmer, NZM 2023, 549). Eine umfassende Beratung, gerade hinsichtlich etwaiger Abwicklungsprobleme beim Kaufvertrag ist hier unerlässlich.