OLG Saarbrücken 4 U 107/21
Zum Eintritt des Sicherungsfalls bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern

28.08.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Saarbrücken
23.06.2022
4 U 107/21
GWR 2023, 88

Leitsatz | OLG Saarbrücken 4 U 107/21

Bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern tritt der Sicherungsfall mit einem formalisierten Zahlungsverlangen ein. Hierfür genügt die Behauptung des materiellen Bürgschaftsfalls, einer schlüssigen Darlegung der Hauptforderung bedarf es nicht.

Sachverhalt | OLG Saarbrücken 4 U 107/21

Die Klägerin ist Bauträgerin und nimmt die beklagte Bank aus einer Bürgschaft in Anspruch, die Verpflichtungen des Auftragnehmers aus einem Werkvertrag besichert. In diesem Vertrag war vorgesehen, dass die volle Vergütung gegen eine Bankbürgschaft in selber Höhe sofort zu zahlen sei. Die Bank übernahm für den Auftragnehmer die selbstschuldnerische Bürgschaft und verpflichtete sich, auf erstes Anfordern, jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von 226.100 € an den Auftraggeber zu zahlen. Auf die Einreden der Anfechtung, der Aufrechnung sowie der Vorausklage wurde verzichtet. Weiter wurde vereinbart, dass die Bankbürgschaft bis zur Endabnahme befristet und anschließend zurückzugeben wäre. Auf ein Verlängerungs- und Reduktionsschreiben hin, forderte die Klägerin die Bank schriftlich zur Zahlung des vollen Betrags auf. Später erfolgte auch ein Vertragsrücktritt. Die Vorinstanz verurteilte die beklagte Bank zur Zahlung von 226.100 € nebst Zinsen. Hiergegen wendet sich die Streithelferin mit der Berufung.

Entscheidung | OLG Saarbrücken 4 U 107/21

Die Berufung ist unbegründet und wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat sich zur Zahlung des Bürgschaftsbetrags auf erstes Anfordern verpflichtet. Als Bank musste sie dieses Rechtsinstitut kennen, weshalb kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliegt. Für den Eintritt des Sicherungsfalls reicht das Zahlungsverlangen des Gläubigers mit der Behauptung, der Hauptschuldner komme fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht nach. Dies lag vorliegend vor.

Über den materiellen Anspruch selbst wird allerdings erst im Regressprozess entschieden. Für welche Hauptforderung und bis wann sich die Bank verbürgt hat und ob und in welcher Höhe die Hauptforderung entstanden, fällig oder getilgt wurde, wird erst dann relevant. Die Bürgschaft soll dem Gläubiger gerade schnell Liquidität sichern. Folglich hat der Bürge auf erstes Anfordern zunächst ohne Prüfung der materiellen Berechtigung des Begünstigten zu leisten. Nur Einwendungen, die sich gegen das Vorliegen der formalen Voraussetzungen der Inanspruchnahme richten, sind davor zu erheben.

Inwieweit vorliegend die Rechtsgrundlage für die Bürgschaft auf erstes Anfordern bestand, betrifft die materielle Berechtigung und ist nicht ohne weiteres feststellbar, weshalb dies erst im Regressprozess zu klären ist. Dies gilt auch, da der Rechtsgrund der Bürgschaft nicht zwingend davon abhängt, dass die Parteien des Hauptvertrags eine Sicherungsabrede trafen. Die Bürgschaft kann auch ohne Wissen und gegen den Willen des Hauptschuldners übernommen werden. Schließlich konnte die Vorinstanz auch offenlassen, ob eine Zeitbürgschaft gem. § 777 BGB vorlag und ob die Bürgschaft nur Gewährleistungsansprüche besicherte.

 

Praxishinweis | OLG Saarbrücken 4 U 107/21

Zu beachten ist, dass die Bürgschaft zwar akzessorisch zur Hauptschuld, jedoch zeitlich verschoben auf die Rückforderung ist. Damit übernimmt der Bürge nicht nur das typische Regress-, also das Insolvenzrisiko, sondern auch das Risiko, bei einer unberechtigten Inanspruchnahme mit dem Rückforderungsanspruch beim Gläubiger auszufallen. Bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ist an die vorvertragliche Pflicht zur Aufklärung über die besonderen Risiken zu denken. Insbesondere bei Verwendung von AGBs ist besondere Vorsicht geboten. Bei einer Verletzung kann dies zur Beschränkung einer gewöhnlichen Bürgschaft führen.