OLG Braunschweig 2 W 10/22
Wucherähnliches Geschäft und Eintragung der Vormerkung

30.12.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Braunschweig
30.03.2022
2 W 10/22
FGPrax 2022, 197

Leitsatz | OLG Braunschweig 2 W 10/22

  1. Besteht zwischen Ankauf und Verkauf wenige Wochen später eine Kaufpreisdifferenz von mehr als dem 2,5-fachen, so ist der beurkundete Grundstückskaufvertrag sittenwidrig und damit nichtig; die beim Grundbuchamt beantragte Eintragung einer Auflassungsvormerkung ist von diesem abzulehnen.  
  2. Die Vermutung der verwerflichen Gesinnung lässt sich durch Vorlage eines von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstellten Gutachtens ausräumen.

Sachverhalt | OLG Braunschweig 2 W 10/22

Der Beteiligte zu 2 verkaufte dem Beteiligten zu 1 ein Grundstück zum Kaufpreis von 220.000,00 Euro. Diesbezüglich begehrte der Beteiligte zu 1 die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung seines Eigentumsverschaffungsanspruchs. Der Beteiligte zu 2 hatte das Grundstück ca. sechs Wochen zuvor zu einem Kaufpreis von 85.000,00 Euro erworben (im Folgenden: Erstkaufvertrag). Der Verkäufer des Erstkaufvertrages wiederum hatte das Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung zu einem Bargebot von 39.500,00 Euro erworben, wobei das im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens eingeholte Verkehrswertgutachten von einem Verkehrswert zum 05. April 2017 von 43.000,00 Euro ausging.

Das Grundbuchamt wies den Notar darauf hin, dass der Grundstückskaufvertrag zu 220.000 € im Hinblick auf die erhebliche Wertdifferenz gem. § 138 BGB wegen groben Missverhältnisses sittenwidrig sein könnte und gab Gelegenheit, die erhebliche Wertsteigerung des Objekts durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen nachzuweisen. Ein solches Gutachten wurde nicht vorgelegt. Daraufhin wies das Grundbuchamt den Antrag auf Eintragung der Auflassungsvormerkung zurück. Hiergegen richtet sich die Beschwerde beim Oberlandesgericht. Im Rahmen dieses Verfahrens hat der Notar ein Gutachten zur Wertermittlung vorgelegt, das einen „Ertragswert“ von 371.000,00 Euro ausweist.

Entscheidung | OLG Braunschweig 2 W 10/22

Das OLG wies die Beschwerde zurück und ging davon aus, dass das Grundbuchamt die Eintragung zu Recht zurückgewiesen habe. Das Grundbuchamt sei im Antragsverfahren gem. § 18 GBO u. a. zur Prüfung des Grundgeschäfts berechtigt. Es dürfe den Eintragungsantrag zurückweisen, wenn es aufgrund der vorliegenden Urkunden oder anderer ihm bekannter Umstände zu der sicheren Überzeugung gelange, dass das Grundgeschäft nichtig sei und die Nichtigkeit auch das Erfüllungsgeschäft ergreife.

Ein Grundstückskaufvertrag sei als wucherähnliches Rechtsgeschäft gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis bestehe und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukomme, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lasse. Dies sei insbesondere der Fall, wenn (subjektiv) eine verwerfliche Gesinnung hervorgetreten sei. Liege ein Missverhältnis von besonders großem Ausmaß vor, lasse dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung zu. Eine solche verwerfliche Gesinnung werde ab einer Verkehrswertunter- oder Überschreitung von 90 % vermutet.

Der vorliegende Kaufvertrag sei deshalb sittenwidrig und damit nichtig. Der nunmehr vereinbarte Kaufpreis entspreche einer Wertsteigerung von mehr als des 2,5-fachen innerhalb von sechs Wochen, was nicht ohne Weiteres zu erklären sei. Die Zweifel an der Vermutung der verwerflichen Gesinnung seien im Verfahren nicht ausgeräumt worden. Das vorgelegte Gutachten zum „Ertragswert“ hielt das Gericht für nicht plausibel.

Praxishinweis | OLG Braunschweig 2 W 10/22

Das Urteil wird in der Literatur in mehreren Punkten kritisiert. Etwa stehe dem Grundbuchamt nach § 13 GBO bei Vorliegen eines Antrags auf Eintragung einer Vormerkung allein das Vorliegen des Antrags und der entsprechenden Bewilligung zu beurteilen. Das Grundbuchamt sei weder berechtigt noch verpflichtet, das Bestehen eines Anspruchs zu prüfen (so OLG Frankfurt a.M. v. 22.11.2021 – 20 W 223/21). Die Ablehnung durch das Grundbuchamt dürfe daher nur erfolgen, wenn das Amt der sicheren Überzeugung ist, dass die begehrte Eintragung zur Unrichtigkeit des Grundbuchs führe.

Weiterhin wird auf den Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH (v. 09.12.2021 V ZB 25/21) hingewiesen. Hiernach seien Verkehrswertgutachten ausdrücklich und grundsätzlich ungeeignet, um die evidente Unwirksamkeit eines über ein Grundstück geschlossenen Kaufvertrags unter dem Gesichtspunkt des wucherähnlichen Geschäfts zu belegen. Zweifel an der Wirksamkeit des Kaufvertrages, könnten in diesem Sinne ausschließlich im Rahmen eines Zivilprozesses beseitigt werden.

Im Ergebnis stellt sich das Urteil als mehrfach problembehaftet für die Praxis dar. Die sich aus dem Urteil ergebenden Leitsätze weichen von der bisherigen Rechtsprechung ab und mindern die Rechtssicherheit für Verkäufer und Erwerber ähnlich gelagerter Fälle.