BayObLG 102 SchH 114/23e
Reichweite der Schiedsgutachterklausel zur Höhe des Abfindungsanspruchs

06.05.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BayObLG
12.12.2023
102 SchH 114/23e
NZG 2024, 124

Leitsatz | BayObLG 102 SchH 114/23e

Amtlicher Leitsatz: Enthält die Satzung einer GmbH außer einer allgemeinen Schiedsklausel für alle Streitigkeiten in Zusammenhang mit dem Gesellschaftsvertrag auch eine Schiedsgutachterklausel im engeren Sinn betreffend die Höhe des Abfindungsanspruchs, ist eine vor Erholung des Schiedsgutachtens eingereichte Schiedsklage auf Zahlung der Abfindung allenfalls als derzeit unbegründet abzuweisen. Die grundsätzliche Zuständigkeit des Schiedsgerichts wird davon nicht berührt, so dass ein Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens nach § 1032 II ZPO ohne Erfolg bleibt.

Redaktioneller Leitsatz: Im Verfahren gem. § 1032 Abs. 2 ZPO prüft das staatliche Gericht nur die Kompetenz des Schiedsgerichts, nicht jedoch die Zulässigkeit einer beabsichtigten Schiedsklage im Übrigen.

Redaktioneller Leitsatz: Ob die Parteien eine Schiedsgutachtervereinbarung getroffen haben, wird vor Allem anhand der Aufgaben bestimmt, die dem ausgewählten Organ oder der Person zugewiesen sind, sowie anhand der beabsichtigten Wirkung der Entscheidung nach dem Parteiwillen, einschließlich der Frage, ob und in welchem Umfang eine gerichtliche Inhaltskontrolle vorgesehen ist.

Sachverhalt | BayObLG 102 SchH 114/23e

Die Antragsgegnerin (Ag.) war bis zu der Einziehung ihrer Geschäftsanteile Gesellschafterin der antragsstellenden GmbH (Ast.). Sie ist der Ansicht, dass ihr ein höherer Abfindungsanspruch zustehe als bislang von der Antragstellerin bezahlt. Die Antragstellerin betrachtet eine darauf gerichtete Schiedsklage als unzulässig.

Die Satzung der GmbH enthält u.a. folgende Bestimmungen:

„§ 8. Einziehung von Geschäftsanteilen.
(8) Streitigkeiten über die Höhe der Abfindung oder des anteiligen Gewinns werden vom Abschlussprüfer als Schiedsgutachter für alle Bet. endgültig entschieden. Über die Tragung der Kosten entscheidet der Schiedsgutachter entsprechend §§ 91 ff. ZPO; der antragstellende Gesellschafter hat die voraussichtlichen Kosten vorzuschießen …

§ 28. Schiedsgericht.
(1) Alle Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern oder zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern im Zusammenhang mit diesem Gesellschaftsvertrag oder über seine Gültigkeit werden nach DIS-SchO und den Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (DIS-ERGeS) der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit eV (DIS) unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs endgültig entschieden.
(4) … Ausgeschiedene Gesellschafter bleiben an diese Schiedsvereinbarung gebunden.“


Durch einen Beiratsbeschluss vom 17.03.2020 und einen darauffolgenden Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 20.05.2020 wurden die Geschäftsanteile der Ag. eingezogen und die Ast. zahlte der Ag. eine von ihr gem. § 8 VII der Satzung ermittelte Abfindung in Höhe des Buchwerts zuzüglich eines anteiligen Gewinnanspruchs in Höhe von insgesamt 745.000 €. Die Ag. ist hingegen der Auffassung, der Verkehrswert ihrer Anteile beträgt 5.000.000 €. Die Verfahrensbevollmächtigten der Ag. kündigten an, bei Nichtzahlung eine entsprechende Schiedsklage gegen die Ast. zu erheben. Die Verfahrensbevollmächtigten der Ast. erwiderten, dass ein Abfindungsanspruch der Ag. in dieser Höhe nicht bestehe und ein Schiedsverfahren ohnehin unzulässig sei.

Die Ast. erhob daraufhin durch einen anwaltlichen Schriftsatz vom 18.04.2023 eine „Feststellungsklage gem. § 1032 Abs. 2 ZPO“ gegen die Ag. beim BayObLG. In diesem Schriftsatz beantragte sie die Feststellung, dass die Durchführung eines Schiedsverfahrens zur Bestimmung der Abfindungshöhe der Beklagten im Zuge ihres Ausschlusses als Gesellschafterin der Klägerin unzulässig ist.

Entscheidung | BayObLG 102 SchH 114/23e

Das BayObLG entschied, dass der Antrag nach § 2032 Abs. 2 ZPO in der Sache ohne Erfolg bleibt.

Zunächst stellte das BayObLG fest, dass der Feststellungsantrag zulässig ist.

Insbesondere sei der Antrag hinreichend bestimmt. Die Rechtskraftwirkung einer Entscheidung nach § 1032 Abs. 2 ZPO umfasse den konkreten Streitgegenstand, welcher somit hinreichend klar feststellbar sein müsse. In diesem Zusammenhang könnten auch prozessuale Anträge ausgelegt werden. Unter Berücksichtigung des Schriftverkehrs sei der Antrag dahin auszulegen, dass die Ast. die Feststellung der Unzulässigkeit einer Schiedsklage auf Zahlung eines weiteren (höheren) Abfindungsbetrags begehre.

Zudem sei der Antrag auch seinem Inhalt nach statthaft. Im Rahmen eines Antrags gem. § 1032 Abs. 2 ZPO prüfe das staatliche Gericht, ob eine wirksame Schiedsvereinbarung vorliegt, diese durchführbar ist und der Gegenstand des Schiedsverfahrens unter die Schiedsvereinbarung fällt. Eine gezielte Zulässigkeitsprüfung, insbesondere hinsichtlich der Prüfung des Streitgegenstands, ergebe sich aus dem einheitlichen Prüfungsumfang von § 1032 Abs. 1 und 2 ZPO. Demnach sei ein Antrag auf Feststellung, dass der Abfindungsanspruch eines Gesellschafters nicht der Schiedsvereinbarung im Gesellschaftsvertrag unterfällt, nach § 1032 Abs. 2 ZPO grundsätzlich zulässig. Im Verfahren nach § 1032 sei im Sinne der Prozessökonomie jedoch ebenfalls die Frage zu klären, welche Reichweite die Schiedsvereinbarung des § 28 der Satzung hat und ob der von der Ag. angestrebte Gegenstand des Schiedsverfahrens der Schiedsklausel unterfällt.

Nach Ansicht des BayObLG ist der Antrag jedoch unbegründet.

Im Verfahren gem. § 1032 Abs. 2 ZPO werde nur die Kompetenz des Schiedsgerichts geprüft, nicht jedoch die Zulässigkeit einer beabsichtigten Schiedsklage im Allgemeinen. Im vorliegenden Fall sei das Schiedsgericht für die Streitigkeit der Parteien zuständig.

Die Schiedsklausel des § 28 der Satzung sei wirksam und umfasse den Streitgegenstand der angekündigten Schiedsklage. § 28 Abs. 1 der Satzung regele, dass alle Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern oder zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsvertrag unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs durch ein Schiedsgericht endgültig zu entscheiden sind. Der von der Ag. behauptete Anspruch auf Zahlung einer höheren Abfindung für ihre eingezogenen Geschäftsanteile stelle eine solche Streitigkeit zwischen einem (ehemaligen) Gesellschafter und der Gesellschaft im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsvertrag dar.

§ 8 Abs. 8 der Satzung sei bei der gebotenen objektiven Auslegung als Schiedsgutachtervereinbarung zu verstehen. Die Frage, ob die Parteien eine Schiedsgutachtervereinbarung getroffen haben, werde vor Allem anhand der Aufgaben bestimmt, die dem ausgewählten Organ oder der Person zugewiesen sind, sowie anhand der beabsichtigten Wirkung der Entscheidung nach dem Parteiwillen, einschließlich der Frage, ob und in welchem Umfang eine gerichtliche Inhaltskontrolle vorgesehen ist. Eine Schiedsgutachterklausel liege insbesondere vor, wenn einer Person nur die punktuelle Klärung von Meinungsverschiedenheiten übertragen ist, ohne dass diese aber die Möglichkeit erhalten soll, einen zur Vollstreckung geeigneten Titel zu schaffen und damit ohne die Befugnis zur Rechtsprechung im weiteren Sinn handelt. Für das Vorliegen einer Schiedsgutachterklausel spreche vorrangig der Wortlaut des § 8 Abs. 8 der Satzung („als Schiedsgutachter“), die besondere Qualifizierung eines Abschlussprüfers bzgl. Streitigkeiten über die Höhe einer Abfindung sowie der Verweis auf die §§ 91 ff. ZPO.

In diesem Zusammenhang stelle § 8 Abs. 8 der Satzung eine Schiedsgutachterklausel im engeren Sinne dar, da der Abschlussprüfer aufgrund seines speziellen Fachwissens die Höhe des Buchwerts und des anteiligen Gewinns nach § 8 VII der Satzung – also nur die für die Klarstellung des Vertragsinhalts maßgeblichen Tatsachen – ermitteln und bindend feststellen soll.

Diese Schiedsgutachtervereinbarung im engeren Sinne schließe die Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht aus, sondern bedeute allenfalls, dass die Schiedsklage vor Einholung eines Schiedsgutachtens (derzeit) unbegründet wäre. § 8 Abs. 8 der Satzung enthalte kein umfassendes Klageverbot. Zwar bestehe gem. § 28 Abs. 1 und 5 der Satzung ein Klageverbot für die dort genannten Streitigkeiten vor den staatlichen Gerichten. Es sei jedoch fernliegend, dass die Schiedsgutachterklausel in § 8 Abs. 8 der Satzung die Möglichkeit der Erhebung einer Schiedsklage gemäß § 28 der Satzung vollständig ausschließen sollte. Denn ein solcher Ausschluss hätte zur Konsequenz, dass ein (ehemaliger) Gesellschafter im Streit über die Höhe der Abfindung keine Möglichkeit hätte, einen Vollstreckungstitel zu erlangen.

Praxishinweis | BayObLG 102 SchH 114/23e

Zu beachten ist, dass nach Auffassung des BayObLG eine Schiedsgutachtervereinbarung (im engeren Sinne) hinsichtlich einer bestimmten Streitigkeit ein Verfahren vor dem Schiedsgericht gem. § 1032 Abs. 1 ZPO wegen derselben Streitigkeit nicht grundsätzlich ausschließt, sondern allenfalls dazu führt, dass die Erhebung der Schiedsklage vor Einholung eines Schiedsgutachtens (derzeit) unbegründet wäre. Diese Grundsätze dürften auch außerhalb von gesellschaftsvertraglichen Regelungen Anwendung finden.

Daneben verbleibt die Möglichkeit, entsprechend § 319 Abs. 1 S. 1 BGB die offenbare Unrichtigkeit des eingeholten Schiedsgutachtens geltend zu machen.