KG Berlin 2 AR 39/23
Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen bei Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen einer GmbH

08.05.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG Berlin
26.09.2023
2 AR 39/23
NZG 2023, 1467

Leitsatz | KG Berlin 2 AR 39/23

  1. Die bei den Landgerichten eingerichteten Kammern für Handelssachen sind für Beschlussmängelklagen gegen Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH in entsprechender Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG funktionell ausschließlich zuständig. Entsprechende Klageverfahren sind daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen an die KfH abzugeben, ohne dass es des Antrags einer Partei bedarf.

Sachverhalt | KG Berlin 2 AR 39/23

Streitgegenstand der Parteien ist die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen einer GmbH. Der Kläger ist zur Hälfte an der GmbH beteiligt und dessen alleiniger Geschäftsführer. Mit einer Beschlussanfechtungsklage vor dem LG Berlin wendet er sich gegen mehrere in einer Gesellschafterversammlung vom 08.12.2022 gefassten Beschlüsse der beklagten GmbH. Die Zivilkammer 88 des LG, die zunächst mit dem Fall betraut war, hat mit einer Verfügung einen frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und der Beklagten eine Frist von vier Wochen zur Einreichung einer Klageerwiderung gesetzt. Mittels formloser Verfügung gab die Zivilkammer 88 die Sache jedoch an die Kammern für Handelssachen (KfH) des LG ab, da deren ausschließliche funktionelle Zuständigkeit im Hinblick auf das Vorliegen einer Beschlussmängelklage in entsprechender Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG begründet sei. Die anschließend mit der Sache befasste Kammer für Handelssachen 95 am LG erklärte sich daraufhin für funktionell unzuständig, da eine ausschließliche Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen für Beschlussmängelklagen bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung nicht begründet sei. Es erfolgte ein Rückverweis des Rechtsstreits an die Zivilkammer 88. Doch auch die Zivilkammer 88 erklärte sich mit einem Beschluss für funktionell unzuständig und legte die Sache dem KG Berlin zur Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers vor.

Entscheidung | KG Berlin 2 AR 39/23

Nach Ansicht des KG sind die Kammern für Handelssachen funktionell zuständig für Anfechtungen von Gesellschafterbeschlüssen einer GmbH.

Dies folge bereits aus dem Umstand, dass für den Rechtsstreit in entsprechender Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG ihre ausschließliche Zuständigkeit begründet ist, sodass es nicht entscheidend darauf ankomme, ob ein rechtzeitig gestellter Verweisungsantrag vorliegt.

Da Anfechtung und Nichtigkeitsfeststellung von Gesellschafterbeschlüssen einer GmbH gesetzlich nicht geregelt sind, seien nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre die einschlägigen aktienrechtlichen Bestimmungen (§§ 241 ff. AktG) entsprechend anzuwenden. Dies gelte auch für die prozessualen Bestimmungen in § 246 AktG zur Anfechtungsklage. So begründe § 246 AktG auch für entsprechende Beschlussmängelklagen bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung die ausschließliche funktionelle Zuständigkeit der bei den Landgerichten eingerichteten Kammern für Handelssachen. Demzufolge seien solche Klageverfahren in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen an die KfH abzugeben, ohne dass es des Antrags einer Partei erfordere.

Die gegenteilige Ansicht (der verweisenden KfH) sei nicht mehr vertretbar. Insbesondere sei die bloße Feststellung, dass bereits keine planwidrige Regelungslücke besteht, da die Problematik dem Gesetzgeber seit Jahren bekannt ist, keine hinreichende Begründung. Der Gesetzgeber habe vielmehr von einer gesetzlichen Regelung des Beschlussmängelrechts der GmbH bis heute abgesehen, da ihm bekannt ist, dass die Rechtsprechung seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts die aktienrechtlichen Vorschriften entsprechend anwendet.

Schließlich habe die KfH ihre Zuständigkeit auch nicht aufgrund des von ihr gleichwohl erlassenen Verweisungsbeschlusses verloren, weil sich dieser als objektiv willkürlich darstelle und deshalb ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfalte.

Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit sei grundsätzlich das Gericht zuständig, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folge aus der Vorschrift des § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO, wonach ein gem. § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist (vgl. auch § 102 S. 2 GVG). Eine Ausnahme von der Bindungswirkung liege nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss als willkürlich zu betrachten ist (und damit nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist), etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt. Zudem erfordere ein willkürliches Verhalten, dass der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.

Gemäß diesen Grundsätzen sei der von der KfH 95 des LG Berlin erlassene Verweisungsbeschluss als objektiv willkürlich anzusehen, da dieser von der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich der analogen Anwendung von § 246 Abs. 3 S. 2 AktG auf Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH abweiche, ohne sich mit den hierfür tragenden Gründen angemessen auseinander gesetzt zu haben.

Praxishinweis | KG Berlin 2 AR 39/23

Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre sind die einschlägigen aktienrechtlichen Vorschriften betreffend Anfechtung und Nichtigkeitsklage (§§ 241 ff. AktG) entsprechend auf die GmbH anzuwenden. Daneben treten die mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) am 01.01.2024 eingeführten §§ 110 ff. HGB (n.F.), welche allgemein die Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen einschließlich prozessualer Bestimmungen regeln. Dabei überlagern fortan die neuen für alle Gesellschaften geltenden Vorschriften des HGB teilweise die speziellen Bestimmungen des AktG (so z.B. der § 112 Abs. 1 HGB den § 246 Abs. 1 AktG außerhalb von AGs).
Allerdings treffen die neuen §§ 110 ff. HGB – abgesehen von der allgemeinen Zuständigkeitsanordnung des LG in § 113 HGB – keine speziellere Anordnung über die Zuständigkeit einer bestimmten Kammer am LG, sodass mit der ständigen Rechtsprechung weiterhin von einer entsprechenden Anwendung des § 246 Abs. 3 S. 2 AktG und einer funktionellen Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen bei Beschlussmängelklagen gegen Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH auszugehen ist.