OLG Frankfurt a.M. 10 U 88/22
Weder Pflichtteilsentziehung noch Pflichtteilsunwürdigkeit bei eventuellem besonders schwerem Diebstahl zulasten des Erben

15.09.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Frankfurt a.M.
18.10.2022
10 U 88/22
ZEV 2023, 168

Leitsatz | OLG Frankfurt a.M. 10 U 88/22

Pflichtteilsunwürdigkeit kann nur auf Verfehlungen gegenüber dem Erblasser oder auf ein die letztwillige Verfügung betreffendes Urkundsdelikt gestützt werden. Ein eventueller besonders schwerer Diebstahl zulasten des Erben, der sich erst nach dem Erbfall ereignet haben soll, begründet keine Pflichtteilsunwürdigkeit. (nicht amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt | OLG Frankfurt a.M. 10 U 88/22

Die Ehepartner haben sich durch ein gemeinsames Testament zu Alleinerben eingesetzt. Die dadurch enterbte Tochter klagte gegen den überlebenden Vater. Das LG hat dem auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses gerichteten Auskunftsbegehren der Klägerin vollumfänglich stattgegeben.

Hiergegen wendet sich der Vater in der Berufungsinstanz. Die Voraussetzungen des Pflichtteilsentzuges nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB lägen vor. Die Klägerin habe sich gegenüber dem Ehegatten eines besonders schweren Diebstahls nach § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB schuldig gemacht. Auch nach Treu und Glauben muss der Klägerin der Pflichtteilsanspruch versagt werden, da sie den Nachlass durch eine rechtswidrige und strafbare Handlung erheblich beschädigt und sich durch den Verkauf der Nachlassgegenstände bereichert habe.

 

Entscheidung | OLG Frankfurt a.M. 10 U 88/22

Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat gem. § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB einen Auskunftsanspruch gegen den Beklagten, da sie durch letztwillige Verfügung ihrer Mutter von der Erbfolge ausgeschlossen wurde. Auch kann sie sich auf ihr Pflichtteilsrecht berufen.

Grundsätzlich kann ein besonders schwerer Diebstahl von Schmuck des Verstorbenen einen Pflichtteilsentzug rechtfertigen. Es ist jedoch zu beachten, dass der Pflichtteilsentzug in der letztwilligen Verfügung erfolgen und der Entziehungsgrund bei Errichtung des Testaments bestanden haben muss. Beides war vorliegend nicht der Fall, da im Ehegattentestament kein Pflichtteilsentzug geregelt war und sich der Vorwurf des schweren Diebstahls erst nach dem Tod der Erblasserin ereignete.

Auch liegen keine Gründe für eine Pflichtteilsunwürdigkeit gem. §§ 2345 i.V.m. 2339 BGB vor. Eine solche kann nur auf Verfehlungen gegenüber dem Erblasser oder ein, die letztwillige Verfügung betreffendes, Urkundsdelikt gestützt werden. Dies gilt, da gerade die Testierfreiheit des Erblassers geschützt werden soll. Der behauptete Diebstahl richtet sich aber weder gegen die Erblasserin, noch stellt er ein Urkundsdelikt dar. Des Weiteren lag keine Verwirkung nach Treu und Glauben vor. Das Auskunftsverlangen der Klägerin wäre selbst bei dem behaupteten Diebstahl nicht rechtsmissbräuchlich, da sie pflichtteilsberechtigt bliebe und ein objektives Interesse daran hätte, den Pflichtteil zu beziffern.
Der Ausschluss von Pflichtteilsansprüchen ist keiner Analogie zugänglich, da er durch die Pflichtteilsentziehung und Pflichtteilsunwürdigkeit abschließend geregelt ist. Das Pflichtteilsrecht soll den nächsten Verwandten auch dann einen Teil am Nachlass sichern, wenn der Erblasser sie von ihrer gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hat. Das Pflichtteilsrecht von Kindern wird dabei auch von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet. Der Entzug des Pflichtteils setzt voraus, dass der Erblasser das schwere Fehlverhalten als unzumutbar empfindet. Diesen Entschluss muss der Verstorbene allerdings höchstpersönlich treffen. Da die Erblasserin vorverstorben war und dies nicht entscheiden konnte, bleibt es trotz der schweren Verfehlung der Tochter bei deren Pflichtteilsberechtigung. Eine analoge Anwendung ist nicht möglich.

Schließlich besteht keine Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB. Der Beklagte muss zwar keine Auskunft über Gegenstände erteilen, die nicht mehr in seinem Besitz sind. Für alle anderen aber schon.

 

Praxishinweis | OLG Frankfurt a.M. 10 U 88/22

Das OLG stellt in der vorliegenden Entscheidung klar, dass nachträglich entstandene und nachgeschobene Argumente keinen Pflichtteilsentzug begründen können. Eine Pflichtteilsentziehung ohne entsprechende letztwillige Anordnung, ist schon vom Wortlaut her ausgeschlossen. Jedoch ist die Vorschrift auch keiner Analogie zugänglich, da keine Regelungslücke vorliegt.

Das BVerfG hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 19.04.2005 (1 BvR 1644/00) dargelegt, dass das Pflichtteilsrecht des Kindes von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt wird. Zu beachten ist aber, dass auf der Kehrseite auch die Testierfreiheit grundrechtlich geschützt ist und daher die beiden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu betrachten sind. Allerdings reicht der Schutz der Testierfreiheit in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nicht so weit, dass sich auch ein Dritter darauf berufen könnte.