BFH IX R 13/22
Keine Anschaffung nach § 23 EStG eines zur Erbmasse gehörenden Grundstücks bei entgeltlichem Erwerb eines Miterbenanteils

22.04.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
26.09.2023
IX R 13/22
DStR 2024, 22

Leitsatz | BFH IX R 13/22

  1. Der entgeltliche Erwerb eines Anteils an einer Erbengemeinschaft führt nicht zur anteiligen Anschaffung eines zum Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft gehörenden Grundstücks (Änderung der Rechtsprechung sowie entgegen BMF v. 14.03.2006 – IV B - S 2242 - 7/06, BStBl. 2006, 253).

Sachverhalt | BFH IX R 13/22

Der spätere (Revisions-)Kläger ist Erbe der im Jahr 2015 verstorbenen Erblasserin mit einem Erbanteil von 52 %. Weitere Erben zu je 24 % und zugleich Nacherben nach dem Kläger sind die Kinder der Erblasserin. Zum Vermögen der Erbengemeinschaft gehörte u.a. auch Grundbesitz. Am 27.08.2015 wurden der Kläger und die Kinder der Erblasserin im Grundbuch als Eigentümer des Grundstücks in einer Erbengemeinschaft eingetragen.

Die Kinder übertrugen ihren unmittelbaren Erbanteil mit notarieller Urkunde vom 18.04.2017 auf einen Dritten. Nachdem der Kläger sein gesetzliches Vorkaufsrecht ausgeübt hatte, übertrug der Dritte im Oktober 2017 die Erbanteile auf den Kläger, welcher nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten einen Restkaufpreis an die Kinder der Erblasserin zahlte. Der Kläger veräußerte den aus dem Nachlass stammenden Grundbesitz mit notarieller Urkunde vom 09.02.2018.

Das Finanzamt war der Auffassung, dass hinsichtlich des Erwerbs der Erbanteile vom Dritten eine anteilige entgeltliche Anschaffung des Grundbesitzes i.H.v. 48 % vorliege. Aufgrund der Veräußerung innerhalb von zehn Jahren nach Erwerb lägen sonstige Einkünfte i.S.d. § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 EStG vor (sog. privates Veräußerungsgeschäfts; früher Spekulationsgeschäft). Das Finanzamt erließ gegen den Kläger einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid und besteuerte den anteiligen Veräußerungsgewinn.

Mithin streiten die Beteiligten über das Vorliegen von Einkünften nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 EStG (in der im Streitjahr 2018 gültigen Fassung) wegen der Veräußerung von zur Erbmasse gehörendem Grundbesitz nach dem Erwerb aller übrigen Miterbenanteile durch einen Erben.

Die gegen den Einkommenssteuerbescheid eingelegte Sprungklage wies das Finanzgericht als unbegründet zurück.

 

Entscheidung | BFH IX R 13/22

Nach Ansicht des BFH sei die Revision begründet und der angegriffene Bescheid aufzuheben. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts liege kein zu versteuernder Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG vor.

Gem. § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG liegen sonstige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nur vor, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung eines Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Voraussetzung für die Besteuerung sei also, dass das veräußerte Vermögen zuvor auch angeschafft worden sei. Anschaffung und Veräußerung i.S.d. § 23 EStG bedeute eine entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten. Die in § 23 EStG verwendeten Begriffe „Anschaffung“ und „Anschaffungskosten“ seien i.S.d. § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 HGB auszulegen.

Gemäß dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des § 23 EStG sollen Wertänderungen, die innerhalb der Veräußerungsfrist eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen realisiert werden, der Einkommensteuer unterliegen. Hieraus ergebe sich das Erfordernis der Nämlichkeit von angeschafftem und innerhalb der Haltefristen veräußertem Wirtschaftsgut. Nämlichkeit bedeute Identität im wirtschaftlichen Sinne. Die Feststellung, ob und inwieweit Nämlichkeit oder ein anderes Wirtschaftsgut („aliud“) vorliege, erfolge durch einen wertenden Vergleich von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Maßgebliche Kriterien seien dabei die Gleichartigkeit, Funktionsgleichheit und Gleichwertigkeit zwischen dem angeschafften und dem veräußerten Wirtschaftsgut.

Der entgeltliche Erwerb eines Anteils an einer gesamthänderischen Beteiligung führe grundsätzlich nicht zur (anteiligen) Anschaffung der Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens. Eine gesamthänderische Beteiligung stelle weder ein Grundstück noch ein Recht dar, das den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliege. Diese Regelung gelte selbst dann, wenn sich im Gesamthandsvermögen ausschließlich Grundstücke befinden.

An diesem Ergebnis ändere auch § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO nichts. Im Rahmen des § 23 Abs. 1 S. 1 EStG sei eine anteilige Zurechnung nach Bruchteilen nur dann erforderlich, wenn die Gesamthand selbst den Besteuerungstatbestand erfülle. Dies sei jedoch nicht der Fall bei Anschaffungs- oder Veräußerungsvorgängen einzelner Gesellschafter oder Gemeinschafter. An seiner früheren, abweichenden Rechtsprechung (BFH IX R 5/02) hält der Senat nicht länger fest.

Auch aus § 23 Abs. 1 S. 4 EStG ergebe sich nichts anderes. Da die Erbengemeinschaft keine Personengesellschaft ist, sei aufgrund des klaren und eindeutigen Wortlauts eine Anwendung des § 23 Abs. 1 S. 4 EStG ausgeschlossen. Auch komme eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 1 S. 4 EStG über seinen Wortlaut hinaus nicht in Betracht, da der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 S. 4 EStG bewusst auf Personengesellschaften beschränkt habe und es demnach an einer planwidrigen Regelungslücke fehle.

Darüber hinaus beinhalte der (hier nicht eröffnete) Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG eine Fiktion des Tatbestands gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG und mache somit eine Anwendung von § 39 Abs. 2 Nr. 2 EStG überflüssig.
Da keine Nämlichkeit zwischen dem angeschafften und veräußerten Wirtschaftsgut besteht, sind die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG nicht erfüllt.

Praxishinweis | BFH IX R 13/22

Wird eine zum Nachlass einer Erbengemeinschaft gehörende Immobilie veräußert, fällt hierauf keine Einkommensteuer an, soweit zuvor ein Anteil an der Erbengemeinschaft erworben wurde. Mit dieser vorliegenden Entscheidung hat der BFH seine bisherige Rechtsprechung geändert und ist der Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben v. 14.03.2006 (IV B 2 - S 2242 - 7/06, BStBl. I 2006, 253) zur ertragsteuerlichen Behandlung der Erbengemeinschaft und ihrer Auseinandersetzung entgegengetreten. Zugleich eröffnet diese Rechtsprechung neue Gestaltungsspielräume bei Erbengemeinschaften, um § 23 EStG zu umgehen.

Der Erwerb einer gesamthänderischen Beteiligung ist also keine Anschaffung eines Wirtschaftsgutes i.S.v. § 23 EStG, wenn anschließend nur einzelne Bestandteile des Gesamthandsvermögens veräußert werden. Mithin stellt auch die Veräußerung des Wirtschaftsguts mangels Nämlichkeit von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut kein privates Veräußerungsgeschäfts i.S.d. § 23 I Nr. 1 EStG dar. Um in den Genuss steuerlicher Vorteile beim Verkauf einzelner Wirtschaftsgüter zu gelangen, empfiehlt sich (einkommenssteuerrechtlich) also der Kauf eines Miterbenanteils anstelle des Einzelwirtschaftsgutes.
Abzuwarten bleibt, wie die Finanzverwaltung auf diese BFH-Entscheidung reagiert.