KG Berlin 6 W 1071/20
Wechselbezügliche Verfügungen bei alleiniger Erbeinsetzung gemeinsamer Tochter

01.04.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG Berlin
17.02.2021
6 W 1071/20
ZErb 2021, 475

Leitsatz | KG Berlin 6 W 1071/20

  1. Eine wechselbezügliche Verfügung ist in der Regel nicht anzunehmen, wenn jeder Ehegatte in einem gemeinschaftlichen Testament direkt das gemeinsame Kind zu seinem Erben bestimmt hat, solange keine sonstigen Tatsachen vorhanden sind, aus denen geschlossen werden könnte, dass eine Verfügung mit der anderen stehen oder fallen sollte.
  2. Die Feststellungslast für die Wechselbezüglichkeit einer Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament begründenden Tatsachen trifft denjenigen, der sein Erbrecht auf die Wechselbezüglichkeit stützt.

Sachverhalt | KG Berlin 6 W 1071/20

Das Nachlassgericht hat durch den angefochtenen Beschluss festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1) auf der Grundlage des Testamentes des Erblassers vom 12.4.2019 beantragten Testamentsvollstreckungserzeugnisses vorliegen. Der Streit beruht auf dem Vorliegen dreier Testamente:

Ein gemeinschaftliches Testament aus 1992 mit gegenseitiger Erbeinsetzung der Eheleute und Schlusserbeinsetzung der gemeinsamen Tochter. Ein gemeinschaftliches Testament von 1997 mit Einsetzung der Tochter zur Alleinerbin durch beide Eltern. Als drittes ein nach dem Tod der Ehefrau in 2019 aufgesetztes Einzeltestament des Ehemanns mit Anordnung gesetzlicher Erbfolge, Aussetzung von zwei Vermächtnissen und Ernennung einer Testamentsvollstreckerin.

Die Beteiligte zu 2) ist als einzige und gemeinsame Tochter des Erblassers und seiner bereits verstorbenen Ehefrau seine gesetzliche Erbin. Sie macht geltend, dass der Wirksamkeit der Anordnung der Testamentsvollstreckung die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments ihrer Eltern vom 21.3.1997 entgegenstehe, durch das sie von beiden Elternteilen zur Alleinerbin eingesetzt wurde und mit dem diese zugleich das frühere gemeinschaftliche Testament vom 7.7.1992 widerrufen haben, in dem sich die Eltern gegenseitig als Alleinerben eingesetzt und sie – falls der Längstlebende keine andere Verfügung von Todes wegen getroffen hat – als Schlusserbin eingesetzt hatte.

Das Nachlassgericht hat der am 8.12.2020 eingegangenen Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 11.11.2020 zugestellten Beschluss nicht abgeholfen.

Entscheidung | KG Berlin 6 W 1071/20

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Im Testament von 1997 lasse sich in der darin erfolgten Alleinerbeinsetzung durch die Eltern keine Wechselbezüglichkeit iSd § 2270 BGB erkennen, die der Testierung des Vaters im 2019er Testament entgegenstehen könnte. Der Erblasser konnte die Einsetzung der Beteiligten zu 2) als seine Alleinerbin daher wirksam ganz oder zum Teil durch die Aussetzung von Vermächtnissen und die Anordnung der Testamentsvollstreckung widerrufen.

Eine Wechselbezüglichkeit der Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament setzt gem. § 2270 I BGB voraus, dass aus dem Zusammenhang des Motivs heraus die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre. Wenn – wie hier – das Testament keine ausdrückliche Bestimmung über die Wechselbezüglichkeit enthält, ist diese durch Auslegung zu bestimmen. Dabei ist der Inhalt der Erklärungen als Ganzes zu würdigen, einschließlich innerhalb und außerhalb der Testamentsurkunde liegenden Nebenumstände und der allgemeinen Lebenserfahrung. Hier liegen keine hinreichenden Tatsachen vor, aufgrund derer eine solche Feststellung getroffen werden könnte.

Die Eheleute hatten 1997 lediglich die eigene letztwillige Verfügung im Blick. Dass die Testierung auf einem „gemeinsamen“ Schriftstück steht, ist dafür unbeachtlich. Auch die Erklärung in Wir-Form zeigt zwar unzweifelhaft einen entsprechenden übereinstimmenden Willen, lässt aber keinen hinreichenden Schluss auf die Wechselbezüglichkeit zu. Denn auch im gemeinschaftlichen Testament verfügt jeder Erblasser stets einseitig nur über sein Vermögen für den Fall des Todes, sodass rechtlich zwei einseitige Verfügungen von Todes wegen vorliegen. Eine Bindungswirkung gem. § 2270 ist den Verfügungen nicht immanent, ein solcher weitergehender Wille hätte positiv festgestellt werden müssen. Die Auslegungsregel des § 2270 II BGB greift hier nicht ein, weil die Ehegatten ausschließlich Verfügungen zugunsten Dritter – ihrer Tochter und deren Ersatzerben – getroffen haben.

Durch die sprachliche Zusammenfassung wird lediglich auf den gemeinsamen Testierwillen hingewiesen. Aus diesem folgt nicht bereits der Wille, die Verfügungen inhaltlich voneinander abhängig zu machen.
Die Tatsache, dass in dem zweiten gemeinsamen Testament anders als im ersten keine Vereinbarung über die freie Verfügungsbefugnis der Ehegatten auch von Todes wegen enthalten ist, deutet nicht daruf hin, dass sie nun im zweiten eine Bindung gewollt hätten. Denn einer ausdrücklichen Freistellung von der Bindungswirkung der Erbeinsetzung im zweiten Testament hätte es nur dann bedurft, wenn sie davon ausgegangen wären, dass der Einsetzung der Beteiligten zu 2) als ihrer direkten Alleinerbin überhaupt Bindungswirkung zugemessen werden könnte. Hinsichtlich der Schlusserbeneinsetzung im ersten Testament wäre dies ohne die Freistellungsklausel naheliegend gewesen.

Für eine ergänzende Testamentsauslegung ist kein Raum, da diese eine Regelungslücke voraussetzt, die hier nicht vorliegt.

Die Feststellungslast für die Wechselbezüglichkeit einer Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament begründenden Tatsachen trifft aber denjenigen, der sein – hier uneingeschränktes – Erbrecht auf die Wechselbezüglichkeit stützt, sodass die insoweit verbleibenden Unklarheiten bzw. Zweifel zulasten der Beteiligten zu 2) gehen müssen.

Praxishinweis | KG Berlin 6 W 1071/20

Durch die Entscheidung des KG Berlin wird noch einmal die Wichtigkeit der genauen Regelung eines Testaments betont, ob eine Wechselbezüglichkeit vorliegen soll oder nicht. Die genaue Benennung ist hierbei von enormer Bedeutung. Aus dem gemeinsamen Testierwillen folgt nicht bereits der Wille, die Verfügungen der Ehegatten inhaltlich voneinander abhängig zu machen.

Um bei Eintritt des Erbfalls Unvorhergesehenes zu vermeiden, sollte man im Vorhinein die Beratung durch einen Notar in Anspruch nehmen und damit absichern, dass die gebrauchten Formulierungen der eigenen Vorstellungen bzw. dem eigenen Willen entsprechen.