OLG Braunschweig 9 U 24/20
Vorsorgevollmacht und Rechnungslegungspflicht eines Sohnes gegenüber der Erbengemeinschaft

22.12.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Braunschweig
28.04.2021
9 U 24/20
ErbR 2021, 706

Leitsatz | OLG Braunschweig 9 U 24/20

  1. Das eine Rechnungslegungspflicht auslösende Auftragsverhältnis kann nicht schon aus einer bloßen Bevollmächtigung als solcher abgeleitet werden. Sie betrifft regelmäßig nur das rechtliche Dürfen nach außen. Erforderlich ist die Einigung darüber, dass jemand für einen anderen in dessen Angelegenheiten tätig wird und pflichtgemäß tätig werden muss.
  2. Der Grundsatz, wonach Ehegatten regelmäßig kein Auftragsverhältnis untereinander begründen, gilt wegen des die Ehe prägenden besonderen Vertrauensverhältnisses nicht pauschal für andere Angehörigenbeziehungen. Daraus folgt für das Verhältnis der Mutter zu dem von ihr bevollmächtigten Sohn indes auch nicht umgekehrt bereits „automatisch“ ein Auftragsverhältnis (nebst Rechnungslegungspflicht). Entscheidend sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalles.
  3. Einigt sich eine Mutter mit ihrem erwachsenen, mit ihr nicht im selben Haushalt lebenden Sohn darauf, dass, falls sie irgendwann durch Krankheit oder Behinderung vorübergehend oder dauerhaft selbst nicht mehr dazu in der Lage sein sollte, ihre rechtlichen Angelegenheiten zu regeln und ihren Willen zu äußern, der Sohn sich um die Regelung ihrer rechtlichen Angelegenheiten kümmern soll, und wird ihm im Zusammenhang mit dieser Einigung von der Mutter eine ausdrücklich nur unter denselben Voraussetzungen geltende Vorsorgevollmacht erteilt, ist regelmäßig von einem zum Eintritt der entsprechenden Hilfsbedürftigkeit der Mutter wirksam werdenden Auftragsverhältnis auszugehen; ein solches Auftragsverhältnis verpflichtet den Sohn in der Regel dann auch zur Rechnungslegung.
  4. Soweit ein auf die Erben einer Vollmachtgeberin übergegangener Rechnungslegungsanspruch nicht besteht, lässt das etwaige Auskunfts- und Zahlungsansprüche der Erbengemeinschaft gegen den Bevollmächtigten unberührt.

Sachverhalt | OLG Braunschweig 9 U 24/20

Die Erblasserin ist am 31.12.2018 verstorben. Ihr Enkelsohn und zwei ihrer Kinder bilden eine Erbengemeinschaft.

Für den Fall, dass die Erblasserin vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr in der Lage sein sollte, ihre rechtlichen Angelegenheiten selbst zu regeln und ihren Willen zu äußern, hatte sie dem Beklagten Vorsorgevollmacht erteilt. Die Klägerin hat Stufenklage gegen den Beklagten erhoben. Das Verfahren befindet sich in der ersten Stufe und das Landgericht hat über das angefochtene Teilurteil gerade entschieden. Dabei hat das Landgericht dem Antrag der Klägerin weitgehend entsprochen und den Beklagten zur Rechnungslegung gegenüber der Erbengemeinschaft verurteilt. Ab dem 01.04.2017 bis zum Tode der Erblasserin wurde der Beklagte nicht zur Rechnungslegung verurteilt, da von dort an das Betreuungsgericht der Erblasserin eine Kontrollbetreuerin zur Seite gestellt hat.

Der Beklagte hat gegen diese Verurteilung Berufung eingelegt. Um die wechselseitig behaupteten Hintergründe der Vollmachtserteilung und Handhabung der Vollmacht zu klären, hat der Senat die persönliche Anhörung der Parteien und die Vernehmung des gemeinsamen Bruders als Zeugen nachgeholt, da diese vom Landgericht nicht vorgenommen wurden.

Entscheidung | OLG Braunschweig 9 U 24/20

Die Berufung ist zulässig und hat teilweise Erfolg.

Streitgegenstand sei lediglich der geltend gemachte Rechnungslegungsanspruch der Erbengemeinschaft, nicht ihr Auskunfts- und Zahlungsanspruch. Für den Zeitraum vom 12.12.2014 bis einschließlich 31.03.2017 stehe der Erbengemeinschaft ein Rechnungslegungsanspruch gemäß §§ 666 Var. 3, 1922, 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, welcher von der Klägerin gemäß § 2039 BGB für die Erbengemeinschaft geltend gemacht werden könne.

Die Rechnungslegungspflicht aus § 666 Var. 3 BGB setze ein Auftragsverhältnis voraus, welches nicht aus einer Bevollmächtigung als solcher abgeleitet werden könne. Diese betreffe regelmäßig nur das rechtliche Dürfen nach außen. Der Auftrag gemäß § 662 BGB hingegen erfordere eine Einigung, dass jemand für einen anderen in dessen Angelegenheiten tätig wird und pflichtgemäß tätig werden muss. Entscheidend sind für die Beurteilung alle Umstände des Einzelfalles:

Der indizielle Ausgangspunkt ist die erkennbare wirtschaftliche Bedeutung für die Beteiligten bei Vollmachtserteilung. Aus den persönlichen Anhörungen ergebe sich, dass die Erblasserin die Vorsorgevollmacht nur für den Fall erteilen wollte, dass sie ihre Angelegenheiten irgendwann aus gesundheitlichen Gründen beziehungsweise altersbedingt nicht mehr selbst erledigen könnte, wobei eindeutig war, dass der Eintritt dieses Zustandes der Erblasserin kaum noch eigenen Überblick über die eigene Erteilung von Einzelanweisungen erlauben würde. Dies führt zu der Erwartung gegenüber dem Bevollmächtigten, dass dieser die Vollmacht initiativ und eigenverantwortlich zur Bewältigung der Angelegenheiten der Vollmachtgeberin verwenden wird. Daher ergebe sich zusammenfassend, dass beiden Beteiligten bei Erteilung der Vorsorgevollmacht klar war, dass sich der Beklagte im Falle des Vorsorgefalles verpflichte, die in der Vollmachtsurkunde umfassend genannten weitreichenden Angelegenheiten der Erblasserin zu regeln. Aufgrund der hohen wirtschaftlichen Bedeutung für die Vollmachtgeber sei mithin eine umfassende Auftragserteilung vorliegend, was eine Rechnungslegungspflicht begründe. Die Rechnungslegungspflicht entstehe durch ein Kontrollbedürfnis, welchem die Vollmachtgeberin aufgrund ihres Zustandes nicht mehr selbst entsprechen kann.

Die Rechnungslegungspflicht entfalle nicht wegen eines engen Lebens- und Vertrauensverhältnisses zwischen der Erblasserin und dem Beklagten, was regelmäßig lediglich innerhalb einer intakten Ehe angenommen wird. Insbesondere ergaben sich durch die persönliche Anhörung keine Anhaltspunkte für ein besonderes Näheverhältnis. Beides, die Vollmacht und das zugehörige Auftragsverhältnis seien aufschiebend bedingt gewesen und die Bedingung mit Eintritt des Vorsorgefalles am 12.12.2014 gemäß § 158 Abs. 1 BGB eingetreten.

Die Geltendmachung des Anspruches sei nicht gemäß § 242 BGB verwirkt oder treuwidrig, noch sei die Erfüllung des Anspruchs unmöglich. Insbesondere lägen keine Umstände vor, die das Vertrauen des Beklagten rechtfertigen würden, der Anspruch auf Rechnungslegung werde in Zukunft nicht mehr geltend gemacht, nur weil die Erblasserin ihn zu Lebzeiten nicht geltend gemacht habe.

Praxishinweis | OLG Braunschweig 9 U 24/20

Bei Erteilung einer Vorsorgevollmacht kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine Rechnungslegungspflicht gegenüber der Erbengemeinschaft besteht. Das erforderliche Auftragsverhältnis besteht regelmäßig dann nicht, wenn eine erkennbare wirtschaftliche Bedeutung für die Beteiligten nicht vorliegt. Ansonsten besteht die Rechnungslegungspflicht nur in Ausnahmefällen nicht, wenn der Bevollmächtigte ein besonderes Näheverhältnis nachweisen kann. Das Verhältnis zwischen den Beteiligten sollte dabei mit dem engen Verhältnis zwischen Eheleuten vergleichbar sein.