BGH XII ZB 83/20
Versorgungsausgleich bei Vereinbarung zu Berufsunfähigkeitsrenten und Unterhalt

03.11.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
10.08.2022
XII ZB 83/20
NJW 2022, 3439

Leitsatz | BGH XII ZB 83/20

  1. Vereinbaren Ehegatten in einem gerichtlichen Vergleich mit allgemeiner Abgeltungsklausel, dass Berufsunfähigkeitsrenten im Sinne des § 28 VersAusglG vollständig der Unterhaltsberechnung zugrunde gelegt werden, muss das Gericht gem. § 26 FamFG aufklären, ob der Vergleich auch einen (teilweisen) Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 6 VersAusglG beinhaltet oder ob ein (teilweiser) Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG geboten ist.
  2. Für einen Ausgleich eines Anrechts gem. § 28 VersAusglG genügt es grundsätzlich, wenn der Ausgleichsberechtigte die gesundheitlichen Voraussetzungen einer (teilweisen) Erwerbsminderungsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt.
  3. Die Zahlungspflicht des ausgleichspflichtigen Ehegatten kann unter den Voraussetzungen des § 28 III in Verbindung mit § 20 III VersAusglG und § 1585b II, § 1613 BGB bereits mit der Rechtskraft der Ehescheidung und nicht erst mit der Rechtskraft der Entscheidung zum Versorgungsausgleich beginnen.
  4. § 50 I 1 Alt. 2 FamGKG, wonach bei Ausgleichsansprüchen nach der Scheidung für jedes Anrecht 20 % des Einkommens zugrunde zu legen ist, findet auf den Ausgleich gem. § 28 VersAusglG auch dann keine Anwendung, wenn die Entscheidung hierüber nach der Scheidung erfolgt. Bestehen bei einem Versorgungsträger aufgrund verschiedener Verträge mehrere Anrechte, sind diese gebührenrechtlich gem. § 50 I 1 Alt. 1 FamGKG gesondert zu erfassen.

 

Sachverhalt | BGH XII ZB 83/20

Die Ehepartner waren seit 1989 verheiratet und ließen sich 2014 scheiden. Im Scheidungsverbundverfahren schlossen die beiden 2019 einen Vergleich. In diesem verzichtete die Ehefrau auf rückständigen Trennungsunterhalt und Zugewinnausgleich, der Ehemann übertrug ihr im Gegenzug seinen Miteigentumsanteil an dem gemeinsamen Haus und verpflichtete sich ab April 2019 zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt i.H.v. monatlich 397,00€ bis März 2022. Enthalten ist zudem eine Abgeltungsklausel, mit welcher alle wechselseitigen vermögensrechtlichen Ansprüche der Eheleute – bekannt oder unbekannt – erledigt sind. In dem Termin wurde der Versorgungsausgleich abgetrennt.

Diesbezüglich hat das AG Coburg entschieden, dass ein Versorgungsausgleich hinsichtlich drei Berufsunfähigkeitsrenten, welcher der Ehemann bezieht, nicht stattfindet. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde hin hat das OLG Hamm den Ehemann verpflichtet, monatlich 295,05 € an die Ehefrau zum Ausgleich der Berufsunfähigkeitsrenten zu zahlen und ab Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung bis März 2022 seine hälftigen Ansprüche aus den Versicherungen erfüllungshalber an die Ehefrau abzutreten. Hiergegen richtete sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns.

 

Entscheidung | BGH XII ZB 83/20

Das Beschwerdegericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass durch Arbeit oder Vermögen geschaffene Berufsunfähigkeitsrenten als Anrechte der privaten Invaliditätsvorsorge grundsätzlich dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich unterliegen, §§ 2, 28, 20 ff. VersAusglG. Nicht ausreichend geprüft wurde jedoch, die Ehegatten den Ausgleich der Berufsunfähigkeitsrenten in ihrer Vereinbarung wirksam ausgeschlossen haben, da § 6 Abs. 1 S. 1 VersAusglG den Ehegatten eine weitgehende Dispositionsbefugnis gibt.

Gem. § 26 FamFG muss das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchführen. Eine Aufklärungs- und Ermittlungspflicht besteht, zumindest insoweit das Vorbringen der Beteiligten hierzu Anlass gibt. Der Ehemann hat vorliegend darauf hingewiesen, dass seine Renten bei der Unterhaltsberechnung im Rahmen des Vergleichs vollständig berücksichtigt worden seien. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass der nacheheliche Unterhalt bis zum Wegfall der Renten befristet worden ist. Folglich hätte das Beschwerdegericht den Inhalt des Vergleichs weiter aufklären müssen.

Zudem hat das Beschwerdegericht nicht hinreichend geprüft, ob eine Beschränkung des Versorgungsausgleiches nach § 27 VersAusglG vorlag. Nach Rechtsprechung des BGH kommt dies bei grober Unbilligkeit in Betracht, wenn der Ausgleichsberechtigte an dem im Versorgungsausgleich auszugleichenden Anrecht bereits auf andere Weise partizipiert hat. Sollte der Unterhaltsberechtigte einen Anspruch auf einen schuldrechtlichen Versorgungsausgleich erwerben, mindert die Zahlung der Ausgleichsrente nach § 20 VersAusglG die Leistungsfähigkeit des Ausgleichspflichtigen sowie die Bedürftigkeit des Ausgleichsberechtigten. Ein Unterhaltsanspruch besteht dann nicht mehr oder nur in verminderter Höhe.

Zusätzlich weist der BGH in der vorliegenden Entscheidung darauf hin, dass es für einen Ausgleich gem. § 28 VersAusglG genügt, wenn der Ausgleichsberechtigte wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung keiner vollschichtigen Berufstätigkeit mehr nachgehen kann und die gesundheitlichen Voraussetzungen einer (teilweisen) Erwerbsminderungsrente erfüllt. Hierfür spricht der Wortlaut und der Gesetzesbegründung der Norm. Schließlich wird die Anwendung des § 28 VersAusglG auf die nur teilweise Verminderung der Erwerbsfähigkeit auch durch § 2 II Nr. 2 Alt. 2 VersAusglG bestätigt. Denn dort wird ausdrücklich jede anspruchsbegründende Einschränkung der Arbeits- und Dienstfähigkeit vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze erfasst.

Auch begann die Zahlungspflicht des Ehemannes bereits mit der Rechtskraft der Scheidung. Dies folgt daraus, dass § 28 Abs. 3 VersAusglG für die Durchführung des Ausgleichs auf die §§ 20-22 VersAusglG verweist. Damit ist auch § 1613 BGB entsprechend anwendbar, woraus sich ergibt, dass ein Anspruch aus § 28 VersAusglG auch für vor der Rechtskraft der Entscheidung liegende Zeiträume bestehen kann. Dass gem. § 21 Abs. 2 VersAusglG für rückständige Beträge keine Abtretung verlangt werden kann, setzt die Möglichkeit rückständiger Ansprüche aus § 28 VersAusglG voraus. Zwar ist bei Forderungen, deren Höhe durch eine richterliche Gestaltungsentscheidung bestimmt wird, die Fälligkeit bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung aufgeschoben. Der Anspruch aus § 28 Abs. 1 VersAusglG ist jedoch nicht von einer Gestaltungsentscheidung abhängig.

Vorliegend bestimmt sich der Wert des Verfahrens über Ansprüche nach § 28 VersAusglG nach § 50 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 FamGKG und beträgt für jedes Anrecht 10 Prozent des in drei Monaten erzielten Nettoeinkommens der Ehegatten. Die zweite Alternative ist hier nicht einschlägig, da sie lediglich die in Abschnitt 3 des Gesetzes genannten Ansprüche aus den §§ 20 bis 26 VersAusglG umfasst. Mehrere bei einem Versorgungsträger aufgrund verschiedener Verträge bestehende Anrechte sind gesondert zu berücksichtigen, auch wenn sie in demselben Auskunftsschreiben vom Versorgungsträger mitgeteilt wurden. Dies entspricht dem Regelungszweck, die gebotene getrennte Sachprüfung auch gebührenrechtlich zu erfassen. Schließlich erhöht sich der Wert gem. § 50 Abs. 2 FamFG um 500,00 € für das Verfahren über die Abtretung von Versorgungsansprüchen nach § 21 VersAusglG.

 

Praxishinweis | BGH XII ZB 83/20

Der BGH befasst sich in der vorliegenden Entscheidung mit dem Fall eines schuldrechtlichen Ausgleiches eines Anrechts auf eine private Berufsunfähigkeitsrente nach der Sonderregelung des § 28 VersAusglG. Vorliegend kam zum einen ein Ausschluss des Ausgleichs der Berufsunfähigkeitsrenten in der Vereinbarung der Ehepartner gem. § 6 Abs. 1 S. 1 VersAusglG in Betracht. Zum anderen hätte geprüft werden müssen, ob eine Beschränkung des Versorgungsausgleiches nach § 27 VersAusglG vorlag. Zudem weist der BGH darauf hin, dass es für einen Ausgleich gem. § 28 VersAusglG genügt, wenn der Ausgleichsberechtigte keiner vollen Berufstätigkeit nachgehen kann, also die Voraussetzungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erfüllt. Schließlich sei die Zahlungspflicht des Ehemannes bereits mit der Rechtskraft der Scheidung eingetreten.