BGH V ZR 77/22
Verschärfte Aufklärungspflicht bei Immobilienverkauf

17.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
15.09.2023
V ZR 77/22
juris

Leitsatz | BGH V ZR 77/22

Der Verkäufer eines bebauten Grundstücks, der dem Käufer Zugriff auf einen Datenraum mit Unterlagen und Informationen zu der Immobilie gewährt, erfüllt hierdurch seine Aufklärungspflicht, wenn und soweit er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird.

Sachverhalt | BGH V ZR 77/22

Die Käuferin hatte mehrere Gewerbeeinheiten für über 1,5 Millionen Euro gekauft. Im Kaufvertrag versicherte die Verkäuferin, dass keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich eine künftige Sonderumlage ergebe und nach ihrer Kenntnis keine außergewöhnlichen Sanierungen bevorstünden, deren Kosten durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckt seien. Außerdem besagte der Kaufvertrag, die Verkäuferin habe der Käuferin Protokolle der Eigentümerversammlungen der vergangenen drei Jahre übergeben und die Käuferin kenne deren Inhalt.

Im Rahmen der Kaufvertragsverhandlungen erhielt die Käuferin Zugriff auf einen, von der Verkäuferin eingerichteten, virtuellen Datenraum, der Unterlagen zu dem Kaufobjekt enthielt. Drei Tage vor Vertragsschluss im März 2019 stellte die Verkäuferin dort das Protokoll einer Eigentümerversammlung vom 01.11.2016 ein, aus dem sich ergab, dass die Mehrheitseignerin 50 Millionen Euro für die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums zahlen sollte. Nach einem Gerichtsverfahren wurde ein Vergleich geschlossen, kraft dessen die Eigentümer der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage von 750.000 € - bei Bedarf bis 50 Millionen Euro - zahlen sollten. Auf dieser Grundlage wurde auch die Käuferin in Anspruch genommen, woraufhin sie den Kaufvertrag anfocht. Das Protokoll sei heimlich hochgeladen und ihr somit untergeschoben worden.

Das OLG Celle ging davon aus, eine Anfechtung sei mangels arglistiger Täuschung nicht möglich. Bis zum Vertragsabschluss habe eine Sonderumlagepflicht der Eigentümer nicht bestanden, außerdem sei nicht ersichtlich, dass die Verkäuferin von der Klage gewusst habe. Zudem läge es in der Verantwortung der Klägerin, sich über die maßgebliche Beschlusslage zu informieren.

 

Entscheidung | BGH V ZR 77/22

Das Urteil des OLG wird aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen. In Betracht kommt insbesondere ein Schadensersatzanspruch gegen die Verkäuferin gem. § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2 BGB aufgrund einer Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflicht hinsichtlich des Kostenumfangs für die anstehenden Sanierungsmaßnahmen.

Eine solche Pflichtverletzung könnte sich zunächst aus einer unzutreffenden Erklärung in dem Kaufvertrag ergeben. Zwar müssen nicht alle nachteiligen Umstände dargelegt werden, allerdings müssen die Angaben richtig sein, auch wenn eine Offenbarungspflicht nicht besteht. Die Verkäuferin gab eine Wissenserklärung ab, indem sie versicherte, es stünden keine außergewöhnlichen Sanierungen bevor, deren Kosten durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckt seien. Dabei haftet sie auf die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Erklärung. Allerdings ging aus den, der Verkäuferin bekannten Protokollen hervor, dass bauliche Maßnahmen i.H.v. 50 Millionen Euro bevorstanden, die nicht durch eine Instandhaltungsrücklage gedeckt waren. Die Maßnahmen sollten auch von den Eigentümern durchgeführt werden. Somit bestand das Risiko einer Haftung, sollte die Inanspruchnahme der Mehrheitseignerin erfolglos sein. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Angaben unvollständig waren.

Möglich ist auch eine Pflichtverletzung aufgrund einer unrichtigen oder unvollständigen Antwort der Verkäuferin. Das Berufungsgericht hat nicht ausreichend ermittelt, ob die Käuferin gefragt hat, ob und welcher Kostenanteil in Anbetracht des Sanierungsstaus womöglich auf sie zukommt und ob die Verkäuferin vollständig darauf geantwortet hat.

Schließlich könnte eine Pflichtverletzung darin liegen, dass nicht über den Kostenumfang der anstehenden Sanierungsmaßnahmen informiert wurde. Eine solche Aufklärungspflicht bestand, da der Umfang wesentlich für die Kaufentscheidung war und den Vertragszweck vereiteln konnte. Unabhängig ist, dass die Kosten von der Mehrheitseignerin getragen werden sollten. Denn zumindest bei einer erfolglosen Inanspruchnahme der Mehrheitseignerin bestand die konkrete Gefahr für die Käuferin, die Kosten selbst tragen zu müssen. Diese Pflicht ist nicht dadurch entfallen, dass kurz vor Vertragsschluss das Protokoll der Eigentümerversammlung vom 01.11.2016 eingestellt wurde. Zunächst ist eine Offenbarungspflicht nicht ausgeschlossen, weil der Käufer sich selbst Kenntnis des offenbarungspflichtigen Umstands verschaffen kann. Zwar können bei Durchführung einer Due Diligence (also der technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Überprüfung des Kaufgegenstandes) die Aufklärungspflichten des Verkäufers im Einzelfall reduziert sein. Vorliegend konnte die Verkäuferin aber bereits nicht davon ausgehen, dass eine Due Diligence überhaupt durchgeführt wurde, da auch keine dahingehende Pflicht besteht. Werden die Informationen in einem Datenraum zur Verfügung gestellt, ist maßgeblich, wie dieser strukturiert und organisiert ist, in welchem Umfang Informationen enthalten sind und ob sie gesucht und gefunden werden können. Im konkreten Fall konnte nicht davon ausgegangen werden, dass die Käuferin ohne gesonderten Hinweis nach Einstellung den Datenraum erneut besuchte, denn sie musste am letzten Arbeitstag vor dem Notartermin nicht mehr mit neuen Dokumenten rechnen. Auch ist zu unterstellen, dass die Käuferin bei Vertragsabschluss keine Kenntnis von der Versammlung am 01.11.16 hatte. Eine Pflicht, etwaigen Hinweisen auf eine solche Versammlung nachgehen zu müssen, besteht nicht.

Praxishinweis | BGH V ZR 77/22

Durch das vorliegende Urteil verschärft der BGH Informations- und Aufklärungspflichten für Immobilienverkäufe. Die bisherige Praxis mancher Verkäufer, sich allein durch eine sehr kurzfristige Offenlegung von Unterlagen von jeglicher Haftung frei zu zeichnen, reicht damit nicht mehr. Verkäufer müssten die Due Diligence vielmehr sorgfältiger vorbereiten, umsetzen und dabei über für die Kaufentscheidung wesentliche Umstände frühzeitig und eindeutig aufklären.

Für die Verkäufer empfiehlt es sich trotzdem weiterhin, sich von den Käufern bestätigen zu lassen, dass sie nicht nur Kenntnis aller Unterlagen des Datenraums erlangt haben, sondern die Unterlagen auch im Rahmen einer üblichen Due Diligence geprüft haben.