BGH XII ZB 474/20
Unterhalt bei günstigen Einkommensverhältnissen – konkreter Wohnbedarf

15.12.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
29.09.2021
XII ZB 474/20
NJW 2022, 621

Leitsatz | BGH XII ZB 474/20

  1. Der eheangemessene Unterhaltsbedarf beim Trennungsunterhalt ist im Falle einer konkreten Bedarfsbemessung nach den Kosten zu ermitteln, die für die Aufrechterhaltung des in der Ehe erreichten Lebensstandards erforderlich sind (im Anschluss an Senat, NJW 1987, 2739 = FamRZ 1987, 691).
  2. Der konkrete Wohnbedarf entspricht dem, was der Unterhaltsberechtigte als Mieter (einschließlich Nebenkosten) für eine dem Standard der Ehewohnung entsprechende und angemessen große Wohnung aufzubringen hätte (im Anschluss an Senat, NJW 2012, 1144 = FamRZ 2012, 517).
  3. Der Quotenunterhalt stellt unter Berücksichtigung eines objektiven Maßstabs im Hinblick auf die Halbteilung die Obergrenze auch bei der konkreten Bedarfsbemessung dar.

 

Sachverhalt | BGH XII ZB 474/20

Die Antragstellerin und der Antragsgegner heirateten 1994 und leben seit September 2016 getrennt. Aus der Ehe sind 5 Kinder hervorgegangen, von denen 3 noch minderjährig sind. Vier der Kinder leben bei der Antragstellerin, die zu 80 % als Richterin am OVG arbeitet. Die Antragstellerin setzte den Antragsteller bezogen auf den Trennungsunterhalt ab 01.07.2017 in Verzug. Bis Dezember 2017 hatte sie monatlichen Trennungsunterhalt i.H.v. 1.500,00 € erhalten, im Januar 2018 zahlte der Ehemann nochmals 2.316,50 €. Hierfür bestimmte er den Verwendungszweck nachträglich auf „Trennungsunterhalt/gezahlt unter dem Vorbehalt der Rückforderung und Verrechnung“.

Die Antragstellerin hat beantragt, den Antragsgegner zur Zahlung von rückständigem Trennungsunterhalt ab Juli 2017 zu verurteilen.

 

Entscheidung | BGH XII ZB 474/20

Die Beschwerde ist erfolgreich. Die Entscheidung wird aufgehoben und an das OLG zurückverwiesen.

Zunächst hat das OLG richtig festgestellt, dass der Unterhaltsberechtigte bei sehr gutem Einkommen das Wahlrecht hat, nach welcher Methode er den Unterhalt berechnen möchte. Vorliegend hat die Ehefrau angegeben, den Unterhalt nach ihrem konkreten Bedarf bemessen zu wollen. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH gilt eine Vermutung für den vollständigen Verbrauch der Einkünfte, wenn das für den Unterhalt relevante Gesamteinkommen bis doppelt so hoch wie der Höchstbetrag der Düsseldorfer Tabelle ist. Somit kann der Unterhaltsbedarf allein unter Hinweis auf die Höhe der Einkünfte vorgetragen werden und sich auch vorliegend ein Unterhaltsbedarf von 4.950 € ergeben. Allerdings wird bei besonders günstigen Einkommensverhältnissen vermutet, dass zumindest ein Teil des Einkommens der Vermögensbildung zufließt. In diesem Fall muss der Unterhaltsberechtigte genau darlegen, inwieweit das Familieneinkommen für den Konsum verbraucht wurde.

Das OLG hat den richtigen Maßstab für den konkreten Wohnbedarf verkannt. Der Wohnbedarf entspricht dabei dem, was der Unterhaltsberechtigte als Miete für eine dem Standard der Ehewohnung entsprechende und angemessen große Wohnung aufzubringen hätte. Dafür kann auf die Größe der Ehewohnung zurückgegriffen werden. Allerdings ist nicht der in der Ehe bestandene Bedarf relevant, sondern was erforderlich ist, um die ehelichen Lebensverhältnisse auch nach dem Auszug aufrechtzuerhalten. Hierzu hat die Antragstellerin zu Recht geltend gemacht, dass sie eine kleinere Wohnung in derselben Lage nicht zu einem niedrigeren Mietzins anmieten könnte. Ihr Beweisangebot zur Einholung eines Sachverständigengutachtens wurde in gehörsverletzender Weise nicht berücksichtigt. Auch ist nicht vertretbar, aufgrund des Auszugs eines Kindes 30 % der Fläche abzuziehen, da das Kind im Zweifel nur ein relativ kleines Zimmer bewohnt haben dürfte.  

Schließlich wurde der Anteil der jeweiligen Kinder an der Miete falsch berechnet. Der Kindesunterhalt bemisst sich gem. § 1610 I BGB nach der Lebensstellung des Kindes, die es bis zum Abschluss der Ausbildung von den Eltern ableitet. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH kommt es auch beim Unterhalt minderjähriger Kinder auf die Lebensstellung beider Eltern an, nach der jüngsten Rechtsprechung ist bei gehobenem Einkommen eine Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle zu erwägen. Demnach würde der Wohnbedarf der Kinder 20 % des Unterhaltsbedarfs betragen. Hierfür spielt keine Rolle, dass der Unterhalt auf den Betrag begrenzt ist, der aufgrund des allein erzielten Einkommens gezahlt werden muss. Schließlich ist auch ein erhöhter Bedarf für Positionen, die bereits in der Düsseldorfer Tabelle enthalten sind, wie dem Wohnbedarf, möglich. Dies stellt keinen Mehrbedarf im eigentlichen Sinne, sondern einen erhöhter Regelbedarf dar.

 

Praxishinweis | BGH XII ZB 474/20

Der BGH weist darauf hin, dass die Ehefrau nach der Zurückverweisung ihre Bedarfsbemessung auch aufgrund eines Quotenunterhalts berechnen kann. In diesem Fall müsste das Einkommen des Ehemanns festgestellt werden und welcher Teil seines Einkommens der Vermögensbildung dient. Zudem müsste die Ehefrau vortragen, wie viel Einkommen den Eheleuten zum regelmäßigen Verbrauch zur Verfügung gestanden hat.

Zu beachten ist, dass mit Volljährigkeit der Kinder, der Unterhalt von den Eltern anteilig gezahlt werden muss. Dies kann zu einer Verschiebung des Wohnbedarfs führen. Schließlich muss festgestellt werden, seit wann das Scheidungsverfahren rechtshängig ist. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war es der Ehefrau nicht zuzumuten, die Ehewohnung zu wechseln.