BVerwG 4 CN 3/22
Unanwendbarkeit des § 13b BauGB wegen Verstoßes gegen Unionsrecht

26.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BVerwG
18.07.2023
4 CN 3/22
NVwZ 2023, 1652 (m. Anm. Schröer, Kümmel)

Leitsatz | BVerwG 4 CN 3/22

§ 13b BauGB ist mit Art. 3 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkung bestimmter Pläne und Programme (SUP-Richtline) unvereinbar.

Sachverhalt | BVerwG 4 CN 3/22

Der Antragsteller ist eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung und wendet sich per Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan der Antragsgegnerin, einer Gemeinde. Der Bebauungsplan wurde am 27.02.2019 beschlossen, am 22.11.2019 bekanntgemacht und mit Beschlüssen vom 16.12.2020 sowie vom 16.03.2022 geändert. Das Plangebiet des Bebauungsplans, der ein Gebiet von ca. 3 Hektar überplant, grenzt im Nordosten in einer Länge von ca. 260 m an ein bestehendes Wohngebiet an, im Südwesten und Nordwesten grenzen Straßen an und an der südöstlichen Grenze befindet sich ein Waldgebiet. Der Bebauungsplan wurde im beschleunigten Verfahren nach § 13b BauGB ohne Umweltprüfung und nicht im Regelverfahren erlassen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner. 

Entscheidung | BVerwG 4 CN 3/22

Die zulässige Revision ist begründet. Aufgrund der fehlenden Umweltprüfung ist § 13b BauGB unionsrechtswidrig, da die Regelung eine Überplanung von Außenbereichsflächen auf Grundlage einer als unzulässig angesehenen Typisierung ohne Umweltprüfung erlaubt. Gemäß der Norm konnten Bebauungspläne für sich an bestehende Ortsteile anschließende Flächen unter 10.000 m², deren Bauleitplanverfahren bis zum 31.12.2022 förmlich eingeleitet wurden und bis zum 31.12.2024 abgeschlossen werden, im sog. beschleunigten Verfahren ohne die Erstellung eines Umweltberichts aufgestellt werden. Dies ist jedoch mit den Anforderungen der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme – SUP Richtlinie – unvereinbar. Gemäß Art. 3 Abs. 1 SUP-Richtlinie ist eine Umweltprüfung für alle Pläne nach Absätzen 2 bis 4 erforderlich, die eine erhebliche Umweltauswirkung haben. Während in Absatz 2 die Gruppe an Plänen festgelegt ist, die einer automatischen Umweltprüfung bedürfen, beinhalten die Absätze 3 und 4 Pläne, deren Umweltprüfung aufgrund Festlegung durch die Mitgliedsstaaten erfolgt. Gemäß Abs. 5 erfolgt die Entscheidung für die Umweltprüfung für die Pläne nach Absätzen 3 und 4 entweder durch Einzelfallprüfung oder durch Festlegung von Arten von Plänen und Programmen oder durch eine Kombination beider Ansätze. In jedem Fall sind jedoch die einschlägigen Kriterien des Anhangs II zu beachten, damit keine Pläne und Programme unberücksichtigt bleiben, die voraussichtlich eine erhebliche Umweltauswirkung haben. Die Artfestlegung ist dabei an strenge Voraussetzungen geknüpft und die Regelungen der SUP-Richtlinie sind dabei nur gewahrt, wenn davon auszugehen ist, dass erhebliche Umweltauswirkungen von vornherein nicht eintreten werden. Eine Artfestlegung, durch die im Wege einer typisierenden und pauschalisierenden Betrachtungsweise der Zweck des Art. 3 Abs. 1 der SUP-Richtlinie erreicht wird und die nicht gewährleistet, dass für jeden möglichen Einzelfall eine erhebliche Umweltauswirkung durch den Plan von vornherein ausgeschlossen sind, ist unzureichend. In § 13b BauGB hat der Gesetzgeber – neben der zeitlich befristeten Anwendung, die aber auf die Umweltauswirkung keinen Einfluss hat – festgelegt, dass die die Umweltprüfung entfallen kann, wenn es sich um Bebauungspläne handelt, deren Grundfläche unter 10.000 m² beträgt, die Flächen sowohl der Wohnnutzung dienen müssen als auch dass überplante Außenbereichsflächen Anschluss an im Zusammenhang bebaute Ortsteile haben müssen.

Dies reicht nach den vorgenannten Anforderungen und nach den Ausführungen des Gerichts nicht aus, denn durch die Regelungen des § 13b BauGB sind erhebliche Umwelteinflüsse nicht von vornherein für jeden Einzelfall ausgeschlossen. Dies wird allein schon dadurch begründet, dass die Norm nicht die bisherige Nutzung der potenziell betroffenen Flächen sowie deren ökologische Wertigkeit berücksichtigt. Auch der geforderte Anschluss der überplanbaren Außenbereichsflächen an einen bebauten Ortsteil ändert hieran nichts, da auch hier nicht von Vornherein ein Rückschluss auf die umweltrelevanten Eigenschaften der Außenbereichsfläche gezogen werden kann. Nach Auffassung des Gerichts definiert die von § 13b BauGB ermöglichte Außenentwicklung – im Gegensatz zu der nach § 13a BauGB privilegierten Entwicklung von Innenbereichsflächen – keine Art von Programmen und Plänen, die von Vornherein voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen haben. Das gilt auch für kleine Flächen nach Art. 3 Abs. 3 SUP-Richtlinie.
Da hier ein Konflikt zwischen nationalem Recht und dem Unionsrecht besteht und dieser Konflikt nicht durch die Möglichkeiten der Auslegung des nationalen Rechts in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht gelöst werden kann, darf das entgegenstehende nationale Recht nicht angewendet werden.

Durch die Verwendung des beschleunigten Verfahrens nach § 13b Satz 1 BauGB i.V.m. § 13a Abs. 2 Nr. 1, § 13 Abs. 3 Satz 2 BauGB anstelle des Regelverfahrens hat es die Antragsgegnerin rechtswidrig unterlassen eine Umweltprüfung durchzuführen und einen Umweltbericht zu erstellen, der der Begründung beizufügen ist und als Teil der Begründung des Bebauungsplanes hätte mit öffentlich ausgelegt werden müssen. Somit ist nach § 214 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB ein beachtlicher Verfahrensfehler entstanden.

Praxishinweis | BVerwG 4 CN 3/22

Für die Praxis ergeben sich nun verschiedene Prüfungen für Bebauungspläne, die nach dem beschleunigten Verfahren nach § 13b BauGB aufgestellt wurden. Für bereits abgeschlossene Bauleitplanverfahren, die bereits vor mehr als einem Jahr in Kraft getreten sind und bei denen die fehlende Umweltprüfung nicht gerügt wurde, ist der Verfahrensfehler nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich geworden. Für Baugenehmigungsverfahren fehlt für die Erteilung der Baugenehmigung zunächst die Rechtsgrundlage. Dies gilt auch wenn nach den jeweiligen Landesbauordnungen im Freistellungsverfahren ohne Baugenehmigung gebaut wurde oder gebaut werden konnte. Ob die Baugenehmigungen auf Grundlage des unwirksamen Bebauungsplanes zurückzunehmen sind liegt im Ermessen der Baubehörde. Im Schrifttum wird bereits gefordert eine Heilungsmöglichkeit zu schaffen, beispielsweise dadurch, dass in den Verfahren nach § 13b BauGB der § 13a Abs. 2 BauGB anzuwenden ist und hier nach Vorprüfung des Einzelfalls eine Umweltprüfung nicht erforderlich ist. Somit wären auch die einzelfallbezogenen Prüfkriterien des Art. 3 Abs. 5 SUP-Richtlinie erfüllt.

Für laufende Verfahren bleibt – mit Ausnahme etwaiger sog. Außenbereichsinseln im Innengebiet, nach denen ggf. das Planverfahren nach § 13a BauGB fortgeführt werden kann – nur die Überführung des Verfahrens auf das Regelverfahren mit der entsprechenden Erarbeitung eines Umweltberichts und der Änderung des Flächennutzungsplans und der Beachtung von Eingriffs- und Ausgleichsregelungen.