BGH IX ZR 69/21
Teils vor und teils nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung

30.08.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
28.04.2022
IX ZR 69/21
NZG 2022, 1741

Leitsatz | BGH IX ZR 69/21

  1. Hat ein Gläubiger seine Leistung teils vor und teils nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht, ist er mit dem der vorinsolvenzlichen Leistung entsprechenden Teil seines Anspruchs auf die Gegenleistung Insolvenzgläubiger und im Übrigen Massegläubiger, wenn sich die vor und nach Eröffnung erbrachten Leistungen objektiv bewerten und voneinander abgrenzen lassen.
  2. Das gilt auch für den Vergütungsanspruch des Abschlussprüfers, der seine Prüfungstätigkeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen, aber erst danach abgeschlossen hat.

 

Sachverhalt | BGH IX ZR 69/21

Die Klägerin erhielt einen Auftrag zur Abschlussprüfung des Jahres- und Konzernabschlusses von der M – AG. Hierfür stellte sie der M – AG einen Teilbetrag in Rechnung. Aufgrund der Insolvenz der Gesellschaft wurde der Beklagte als Insolvenzberater bestellt, gegen den die Klägerin den besagten Betrag geltend machte. Nach der mündlichen Verhandlung am LG hat die Klägerin den verlangten Betrag erweitert. Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG die Klageerweiterung zugelassen und der Klage unter Berücksichtigung eines gezahlten Abschlags wegen eines Teilbetrags stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten.

Entscheidung | BGH IX ZR 69/21

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Vertrag zwischen der Klägerin und der M-AG nicht erloschen ist. Zwar erlischt grundsätzlich ein Werkvertrag, durch den sich jemand verpflichtet, ein Geschäft für den Schuldner zu besorgen, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. §§ 115, 116 InsO. Der vorliegende Vertrag über die Abschlussprüfung ist auch ein solcher Werkvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter. Wird jedoch ein Abschlussprüfer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt, wird gem. § 155 III 2 InsO die Wirksamkeit der Bestellung nicht berührt. Der Senat geht davon aus, dass § 155 Abs. III S. 2 InsO einen lex specialis darstellt, der §§ 115, 116 InsO durchbricht. Daraus resultiert, dass auch der vor dem Insolvenzantrag abgeschlossene Geschäftsbesorgungsvertrag und der daraus entstehende Vergütungsanspruch fortbestehen. Hierfür spricht, dass die „Bestellung“ als Oberbegriff gemeint ist, der über den Bestellungsakt durch Wahl zur nachfolgenden Beauftragung des Prüfers führt. Diese Deutung bestätigen auch Materialien zur Insolvenzordnung und die Verwendung des „Bestellungsbegriffs“ in § 318 HGB.

Während das Berufungsgericht davon ausging, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin aus einem fortwirkenden Prüfungsauftrag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einheitlich als Masseverbindlichkeit einzustufen sei, nimmt der BGH eine Masseverbindlichkeit erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens an. Davor bestünde eine reine Insolvenzforderung. Eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist gegeben, wenn die Verbindlichkeit durch eine Handlung des Insolvenzverwalters begründet wurde. Allerdings wurde vorliegend der Geschäftsbesorgungsvertrag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters geschlossen und die Verbindlichkeit hatte auch sonst keinen Bezug zur Insolvenzmasse. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO liegt damit nicht vor.

Nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind Masseverbindlichkeiten Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, wenn ihre Erfüllung zur Insolvenzmasse für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Unfraglich stellt die durch den gesetzlichen Erfüllungszwang zu leistende Verpflichtung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine solche Leistung dar. Für die Leistungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt dies jedoch nicht. § 105 S. 1 InsO liegt der Rechtsgedanke der Teilbarkeit von Leistungen zugrunde. Demnach ist der Vergütungsanspruch nur Insolvenzforderung, wenn er sich auf Teilleistungen bezieht, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht wurden. Diese Wertung ist auch auf § 155 III 2 InsO anzuwenden. Für die Teilbarkeit ist es irrelevant, ob sich der wirtschaftliche Wert der Tätigkeit letztlich erst mit dem Abschluss realisiert. Entscheidend ist allein, ob sich die Leistungen hinreichend abgrenzen lassen.

Bereits in seiner früheren Rechtsprechung zu § 105 S. 1 InsO hat der BGH den Teilbarkeitsbegriff weit gefasst. Nach der neueren Rechtsprechung, welcher sich der Senat vorliegend anschließt, kommt es entscheidend darauf an, dass sich der Wert der Teilleistung objektiv bestimmen lässt. Dabei ist es irrelevant, ob vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas in das Vermögen des Schuldners gelangt ist. Auch früher hat der BGH bei einem Werkvertrag angenommen, dass bereits vor Insolvenzeröffnung ein werthaltige und abgrenzbare Leistung erbracht wurde. Für die Abgrenzung sind dieselben Maßstäbe anzuwenden, wie wenn der Vertrag aus anderem Grund gekündigt worden wäre. Es kommt auf das Verhältnis der erbrachten zu den noch zu erbringenden Leistungen an. Dies gilt auch für die geistige Leistung des Abschlussprüfers, da das Abschlusstestat die Leistung nur formal abschließt. Schließlich spielt es keine Rolle, dass eine höchstpersönliche Leistung vorlag. Zwar wird die Teilbarkeit von höchstpersönlichen Leistungen von einer Meinung generell ausgeschlossen. Der BGH nimmt sie jedoch zumindest dann an, wenn sich die vor und nach der Insolvenzeröffnung erbrachten Leistungen abgrenzen und bewerten lassen. Selbst bei einem Pauschalpreis ist eine solche Abgrenzung durch objektive Betrachtung und ein Sachverständigengutachten möglich. Auch der Einwand, eine höchstpersönliche Teilleistung habe für den Vertragspartner regelmäßig keinen Wert, weil sie nicht von einem Dritten vollendet werden könne, trifft hier nicht zu, da die Leistung vorliegend kraft gesetzlicher Anordnung in § 155 Abs. III S. 2 InsO auch nach Insolvenzeröffnung zu erbringen ist.

Damit ist das Urteil aufzuheben, die Sache wird zurückverwiesen.

 

Praxishinweis | BGH IX ZR 69/21

Der BGH hat in der vorliegenden Entscheidung mehrere umstrittene Fragen hinsichtlich der Vergütung eines Abschlussprüfers in der Insolvenz entschieden. Zum einen hat er klargestellt, dass eine Masseverbindlichkeit im Fall eines nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 155 III 2 InsO fortwirkenden Prüfungsauftrags nur für Leistungen vorliegt, die ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht wurden. Relevant ist dies, da Masseverbindlichkeiten gem. § 53 InsO bei einer Insolvenz vor anderen Verbindlichkeiten bedient werden. Insolvenzgläubiger i.S.v. § 38 InsO können ihre Ansprüche hingegen nur nach Insolvenzverfahrensregeln verfolgen. In diesem Rahmen bejahte der BGH einen weiten Begriff der Teilbarkeit von Leistungen. Entscheidend ist die Abgrenzbarkeit und Bewertbarkeit der Teilleistungen, dann schließt auch eine Höchstpersönlichkeit die Teilbarkeit nicht aus. Der BGH weist darauf hin, dass angemessene Vorschuss- oder Abschlagszahlungen vereinbart werden sollten, um die Abschlussprüfer vor den negativen Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf ihren Vergütungsanspruch für bereits erbrachte Leistungen zu schützen. Auch ist es sinnvoll, die erbrachten Leistungen genau und mit Zeitangaben aufzuzeichnen, um in einem Insolvenzfall bestimmen zu können, was vor und was nach der Insolvenzeröffnung erbracht wurde.