BGH V ZB 12/22
Stammgrundstückszuordnung bei berechtigtem Tiefgaragen-Überbau

17.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
15.06.2023
V ZB 12/22
NJW 2023, 3090

Leitsatz | BGH V ZB 12/22

  1. Maßgeblich für die Beurteilung der Einheitlichkeit von Gebäuden ist bei einem Überbau immer die Verkehrsanschauung; die körperliche bautechnische Beschaffenheit stellt nicht das allein entscheidende Kriterium dar, sondern erlangt nur im Rahmen der festzustellenden Verkehrsanschauung Bedeutung.
  2. Erstreckt sich eine Tiefgarage als rechtmäßiger Überbau auf andere Grundstücke, führt allein die bautechnische und statische Verbindung der Tiefgarage mit auf den überbauten Grundstücken aufstehenden Gebäuden nicht dazu, dass die Tiefgarage kein einheitliches Gebäude ist.
  3. Auch Verbindungen der auf den überbauten Grundstücken aufstehenden Gebäude mit dem Tiefgaragenkörper durch Treppenhäuser, Aufzugsschächte, Fluchtwege und der Haustechnik dienende Versorgungseinrichtungen oder von den anderen Grundstücken ausgehende weitere Zufahrten stehen der Einordnung der Tiefgarage als einheitliches Gebäude nicht entgegen.
  4. Ist in grundbuchmäßiger Form nachgewiesen, dass die im Wege des rechtmäßigen Überbaus grenzüberschreitend errichtete Tiefgarage durch eine Zufahrt von dem Stammgrundstück aus als Ganzes erreichbar ist, ist von dem Grundbuchamt aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss zu ziehen, dass der Tiefgaragenkörper unabhängig von einer aufstehenden Bebauung auf dem überbauten Grundstück eigentumsrechtlich dem Stammgrundstück zuzuordnen ist; dies setzt allerdings voraus, dass sich ein Gebäudeteil der Tiefgarage (wie etwa eine Rampe) auf dem Stammgrundstück befindet und dies grundbuchmäßig nachgewiesen ist.

Sachverhalt | BGH V ZB 12/22

Die Eigentümerin eines Tiefgaragengrundstücks wandte sich mit einer Rechtsbeschwerde an den BGH gegen die Verweigerung des Grundbuchamts, die Teilung dieses Grundstücks in Teileigentum einzutragen.
Das Tiefgaragengrundstück ist mit einer Zufahrt in die Tiefgarage bebaut. Außerdem befindet sich auf diesem Grundstück ein Teil des Gebäudekörpers. Der überwiegende Teil der Tiefgarage erstreckt sich jedoch als Überbau über drei weiteren Grundstücke. Die Überbau wurde von den Grundstückeigentümern genehmigt. Die Rechte der Beteiligten sind durch Grunddienstbarkeiten gesichert.

Die Tiefgarage soll in Teileigentumseinheiten, bestehend aus einzelnen Stellplätzen, aufgeteilt werden. Das Grundbuchamt verweigert die Eintragung mit der Begründung, die Bildung von Teileigentum an mehreren Grundstücken sei nach § 1 IV WEG nicht möglich.

Hiergegen wendet sich die Tiefgarageneigentümerin erfolglos mit der Beschwerde. Die Rechtsbeschwerde zum BGH hat Erfolg, die Sache wird mit der Anordnung der Eintragung an das Grundbuchamt zurückverwiesen.

 

Entscheidung | BGH V ZB 12/22

Der BGH stimmt zwar dem Grundbuchamt und dem Beschwerdegericht darin zu, dass die Bildung des Teileigentums über mehrere Grundstücke nicht möglich ist. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 8 I WEG, der von „einem Grundstück“ spricht, und aus der allgemeinen Regelung des § 1 IV WEG.

Eine Teilung der Räume, die sich auf andere Grundstücke erstrecken, ist jedoch dann möglich, wenn diese Räume einen wesentlichen Bestandteil des Stammgrundstücks nach § 93, 94 BGB darstellen. Dies ist grundsätzlich bei einem Überbau der Fall, wenn dieser mit der Zustimmung der Nachbarn errichtet worden ist. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Überbau ein einheitliches Gebäude bildet.

Der Begriff der einheitlichen Sache ist im BGB nicht definiert. Die Rechtsprechung bejaht grundsätzlich die Einheitlichkeit, wenn die Sache bei Abtrennung eines Teils zerstört wird. Jedoch weist der Senat darauf hin, dass dies nicht das alleinige Beurteilungskriterium ist. Maßgeblich ist die Verkehrsanschauung und die Betrachtung im Einzelfall. Dabei ist auf die natürliche Betrachtungsweise eines verständigen Beobachters abzustellen. Als weitere Merkmale sind insbesondere, die Eigenschaft der Sache als funktionale Einheit, die Größe, die Lage, die bauliche Eigenart oder die wirtschaftliche Nutzung der Sache zu berücksichtigen.
Bei einer Tiefgarage kommt es insbesondere auf die Verkehrsanschauung an. Eine rein bautechnische Betrachtungsweise lehnt der BGH ab. Nach dieser Auffassung ist bei einer Tiefgarage die Einheitlichkeit anzunehmen, wenn auf dem überbauten Grundstück ein Gebäude errichtet wird, da dieses von der Tiefgarage baustatisch abhängig ist. Für den BGH ist dagegen entscheidend, dass die Tiefgarage eine funktionale und wirtschaftliche Einheit bildet. Dies ist der Fall, wenn über die Zufahrt vom Stammgrundstück die gesamte Tiefgarage erreicht werden kann. Daran ändert sich auch nichts, wenn zusätzliche Zufahrten von anderen Grundstücken, sowie Treppenhäuser, Aufzugschächte oder Haustechnik die Tiefgarage mit den überbauten Grundstücken verbinden. Diese dienen lediglich der Funktionalität der Tiefgarage und ihrer Anbindung an die aufstehenden Gebäude.

Im Grundbuchverfahren muss der Antragsteller gegenüber dem Grundbuchamt nicht den negativen Nachweis erbringen, dass die überbauten Teile der Tiefgarage und die aufstehenden Gebäude im Einzelfall kein einheitliches Gebäude bilden. Dies würde nach Auffassung des BGH zu einem leeren Formalismus führen und den Grundbuchverkehr unnötig erschweren. Es besteht ein Erfahrungssatz, dass sich die eigentumsrechtliche Zuordnung der überbauten Tiefgarage nicht allein dadurch ändert, dass auf dem überbauten Grundstück ein Gebäude errichtet wird. Denn die Tiefgarage bildet nach wie vor eine funktionale Einheit. Der Antragssteller muss lediglich nachweisen, dass sich ein Teil der Tiefgarage, z.B. eine befestigte Rampe, die als Zufahrt zur Tiefgarage dient, auf dem Stammgrundstück befindet und die gesamte Tiefgarage über diese Zufahrt erreichbar ist.

Praxishinweis | BGH V ZB 12/22

In verfahrensrechtlicher Hinsicht bringt die Entscheidung des BGH einige Erleichterungen. Insbesondere ist zu begrüßen, dass kein Negativnachweis für das Nichtvorliegen eines einheitlichen Gebäudes dem Grundbuchtamt vorzulegen ist. Es genügt, wenn ein Aufteilungsplan eingereicht wird, aus dem sich der Grundriss der Tiefgarage und damit die Aufteilung der Überbauung ergibt. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass die Ablehnung der rein baustatischen Betrachtungsweise einige Gefahren in sich birgt. Probleme ergeben sich beispielsweise, wenn der Eigentümer der Tiefgarage beschließt, diese abzureißen. In diesem Fall haben die Eigentümer der überbauten Grundstücke keinen Anspruch auf Erhalt des Überbaus. Es ist daher dringend zu empfehlen, diese Situation bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen und die Rechte der Beteiligten durch Grunddienstbarkeiten abzusichern.