OLG Celle 6 U 22/20
Sittenwidrigkeit eines zugunsten einer Berufsbetreuerin und eines „Seniorenbetreuers“ errichteten notariellen Testaments

12.01.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Celle
07.01.2021
6 U 22/20
ZEV 2021, 386

Leitsatz | OLG Celle 6 U 22/20

  1. Zur Feststellung der Testierunfähigkeit eines unter Betreuung stehenden Erblassers. (amtl. Ls.)
  2. Ungeachtet der nach wie vor fehlenden Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind, kann ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin und eines „Seniorenbetreuers“ sittenwidrig sein, wenn – wie vorliegend – eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einer von ihr herangezogenen Notarin in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. (amtl. Ls.)
  3. Dass als Folge der Nichtigkeit des Testaments der Fiskus erben wird (§ 1936 S. 1 BGB), verändert den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht zu Gunsten der eingesetzten Erben. (amtl. Ls.)

Sachverhalt | OLG Celle 6 U 22/20

Die Beklagten zu 1 und 2 wurden vom Erblasser, welcher nicht verheiratet war und keine Kinder hatte, in einem notariellen Testament vom 04.05.2005 zu Erben zu gleichen Teilen ernannt. Die Beklagte zu 1 wurde am 07.01.2005 als Berufsbetreuerin zur Betreuerin des Erblassers bestellt. Bei dem Erblasser wurde ein Hirninfarkt festgestellt und er wurde wegen zunehmender Verwirrtheit in einer psychiatrischen Pflegeanstalt untergebracht. Trotz einer Verbesserung seines Zustandes beantragte die Beklagte zu 1 am 22.11.2005 die Verlängerung der Betreuung vor dem Amtsgericht. Dem Antrag wurde am 08.12.2005 stattgegeben. Aus dem Protokoll der richterlichen Anhörung lässt sich eine Verwirrtheit des Erblassers schließen. In der Folgezeit beantragte die Beklagte zu 1 einen Erbschein auf der Grundlage des Testaments, welcher zurückgewiesen wurde.

Den Kontakt zwischen dem Beklagten zu 2 und dem Erblasser stellte die Beklagte zu 1 her. Wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Untreue wurde gegen die beiden Beklagten ermittelt. Der Kläger, welcher am 14.01.2014 zum Nachlasspfleger für die unbekannten Erben bestellt wurde, erhob am 19.03.2014 Stufenklage. Das Landgericht hat zur Beurteilung der Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentsverfassung Psychiater, die Notarin und einen Arzt als Zeugen vernommen. Es gibt der Klage des Klägers statt und weist die Widerklage der Beklagten ab. Die Beklagten verfolgen in der Berufung weiterhin die Auffassung, dass eine Testierunfähigkeit 2005 nicht feststellbar gewesen sei.

Entscheidung | OLG Celle 6 U 22/20

Das Berufungsgericht weist die zulässige Berufung mangels Begründetheit zurück. Das notarielle Testament vom 04.05.2005 sei unwirksam, weil der Erblasser testierunfähig und weil das Testament sittenwidrig sei.

Ein Erblasser gilt unabhängig davon, ob für ihn ein Betreuer bestellt wurde, so lange als testierfähig, bis das Gericht von seiner Testierunfähigkeit überzeugt ist. Testierunfähig sei gemäß § 2229 Abs. 4 BGB, wer nicht in der Lage ist, sich über die Tragweite und Auswirkungen, der in einem Testament verfassten Anordnungen, ein klares Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln. Die verbliebende Lebensdauer nach Errichtung des Testaments sei für die Beurteilung der Testierfähigkeit ohne Belang. Die Beklagten haben wegen der Besonderheiten des Falles die Testierfähigkeit des Erblassers zu beweisen, was ihnen nicht gelingt. Der Erblasser habe einen schweren Schlaganfall erlitten und sei jedenfalls bis Ende Januar 2005 testierunfähig gewesen. Ein Bericht vom 02.06.2005, mithin nach Testamentserrichtung, spricht von einer zeitlichen und örtlichen Desorientierung des Erblassers. Bezüglich eines luziden Interwalls bei Testamentserrichtung vertritt das Gericht die Auffassung des OLG Hamburg, welches luzide Intervalle bei chronisch-krankhaften Störungen für ausgeschlossen hält. Der Erblasser sei mithin im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments als testierunfähig einzustufen.

Darüber hinaus sei das Testament gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit nichtig. Abzustellen sei bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit auf den konkreten Einzelfall und insoweit auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts. § 14 Abs. 5 HeimG sei auf das Verhältnis zwischen dem Betreuer und dem Betreuten nicht entsprechend anzuwenden, weshalb § 134 BGB nicht zur Anwendung kommt.

Im Falle der Beklagten zu 1 ergäbe sich die Sittenwidrigkeit des Testaments aus ihrem Verhalten und Einlassungen. Es ergebe sich, dass der Beklagten eine mögliche Testierunfähigkeit bewusst gewesen sei und eine ärztliche Beurteilung dessen geboten, jedoch unterlassen wurde. Diese Beurteilung sei auch gerade mit Blick auf die Unterbringung und die ständige ärztliche Beobachtung des Erblassers durch verschiedene Ärzte möglich gewesen. Zudem gibt die Beklagte in der Folgezeit weitere Berichte ab, in denen ein Betreuer ihren Einschätzungen zufolge weiterhin notwendig sei. Zur notariellen Beurkundung des Testaments habe die Beklagte eine ihr bekannte Notarin bestellt, obwohl sie von einer möglichen Erbeinsetzung gewusst habe. Zudem sei fragwürdig, warum das Testament bereits drei Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus und sieben Jahre vor dem Tod erstellt und, warum die Erbeneinsetzung dem Betreuungsgericht verschwiegen wurde. Nach dem Tod des Erblassers hätten die Beklagten das Vermögen des Erblassers unter sich aufgeteilt und erst bei einem ersten Scheitern, beim Zugriff auf ein Konto, einen Erbschein beantragt. Äußerst zu bezweifeln sei auch ein freundschaftliches Verhältnis des Beklagten zu 2 zu dem Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung, da sich die beiden kaum kannten.

Der Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB ändere sich auch nicht mit Blick darauf, dass das Land Niedersachsen mit hoher Wahrscheinlichkeit der nachrangige Erbe ist.

Praxishinweis | OLG Celle 6 U 22/20

Auch wenn im Falle einer Betreuung § 14 Abs. 5 HeimG keine entsprechende Anwendung findet, sieht die Rechtsprechung eine enge Verbundenheit zwischen Betreuer und Betreutem, welche ausgenutzt und zu missbräuchlichem Verhalten seitens des Betreuers verleiten könnte. So sei die Sittenwidrigkeit zwar auch weiterhin sparsam zu bejahen, in der Zukunft jedoch unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls sorgfältig zu prüfen.