OLG München 7 U 9421/21
Sittenwidrigkeit der Veräußerung von GmbH-Anteilen bei kollusivem Zusammenwirken der Vertragsparteien

19.12.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
06.04.2022
7 U 9421/21
GmbHR 2022, 1145

Leitsatz | OLG München 7 U 9421/21

  1. Im Fall des kollusiven Zusammenwirkens der Geschäftsführer von Erwerberin und Veräußerin bei der Veräußerung von GmbH-Geschäftsanteilen ist sowohl der Verkauf als auch die Abtretung der Geschäftsanteile sittenwidrig und damit gem. § 138 BGB nichtig. In diesem Fall besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für einen auf Rückübertragung der Geschäftsanteile gerichteten Antrag. Hingegen ist ein Antrag auf Zustimmung zur Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste statthaft.
  2. Das Erreichen eines Abstimmungsverbots mit Mitteln der einstweiligen Verfügung ist ausnahmsweise statthaft, wenn infolge einer kollusiven Veräußerung von Geschäftsanteilen der Erwerber sich als Alleingesellschafter der GmbH geriert und der wahre Gesellschafter nicht die Möglichkeit hat, von etwaigen Beschlussfassungen Kenntnis zu erlangen, so dass die Beseitigung der Rechtsfolgen solcher Beschlüsse mittels nachträglichen Rechtsschutzes nicht gewährleistet ist.
     

Sachverhalt | OLG München 7 U 9421/21

Die Klägerin war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach slowakischem Recht (s.r.o) mit Sitz in Bratislava, die Alleingesellschafterin einer deutschen GmbH war. Gesellschafter der Klägerin waren zunächst D. B. und M. K., mit jeweils 50% der Geschäftsanteile. Mit Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsverträgen vom 07.12.2018 erwarb die M. a.s (eine AG nach slowakischem Recht) von den beiden Gesellschaftern jeweils 35 % der Geschäftsanteile an der Klägerin, sodass nunmehr D. B. und M. K. jeweils 15 % und die M. 70 % der Geschäftsanteile der Klägerin hielten.

Streitgegenstand waren der Abschluss und Vollzug eines Geschäftsanteilskauf- und -abtretungsvertrags (GAV) über die Veräußerung sämtlicher Geschäftsanteile an der deutschen GmbH durch die Klägerin an die Beklagte, ebenfalls eine deutsche GmbH. Die Klägerin, vertreten durch D. B., und die Beklagte, vertreten durch ihren Geschäftsführer P. L., schlossen den notariellen GAV, mit dem die Klägerin ihre Geschäftsanteile an der deutschen GmbH für 2,3 Mio. Euro an die Beklagte veräußerte und übertrug.

Der GAV enthielt mehrere Klauseln, die aus Sicht der Klägerin nachteilig waren. Aus einem E‑Mail-Verkehr zwischen den beiden Geschäftsführern und einem Steuerberater ergab sich, dass mit der streitgegenständlichen Veräußerung der Zweck verfolgt werden sollte, nach Vornahme weiterer Rechtsgeschäfte letztendlich den Geschäftsführer der Klägerin zum Alleingesellschafter der GmbH zu machen. Die Klägerin war der Ansicht, dass der GAV aus mehreren Gründen – u.a. eine Nichtigkeit gem. § 138 BGB wegen Kollusion – unwirksam sei.

Sie verlangte daher erstinstanzlich, der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, der Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste zuzustimmen, die Geschäftsanteile an die Klägerin zurückzuübertragen, es zu unterlassen, über die Geschäftsanteile anderweitig zu verfügen und es zu unterlassen, ohne Zustimmung der Klägerin Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH zu fassen.
Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein.

Entscheidung | OLG München 7 U 9421/21

Das OLG gab der Berufung hinsichtlich der Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste sowie der Unterlassung von Gesellschafterbeschlüssen durch die Gesellschafterversammlung der Beklagten statt. Im Übrigen sei die Berufung der Klägerin unbegründet, da das Landgericht die Klage insoweit im Ergebnis zu Recht abgewiesen habe.

Der GAV unterliege einheitlich deutschem Recht. Für den schuldrechtlichen Anteilskaufvertrag gelte die Rom-I-VO. Die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom-I-VO greife nicht. Bei fehlender Rechtswahl unterliege der Vertrag gemäß Art. 4 Abs. 3 Rom-I-VO im Zweifel dem Recht am Hauptsitz des verkauften Unternehmens, hier deutschem Recht, da die GmbH ihren Sitz in Deutschland habe. Die dingliche Übertragung der Gesellschaftsanteile unterfalle der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom-I-VO. Das damit anwendbare Gesellschaftsstatut (und zwar unabhängig davon, ob der Sitz- oder der Gründungstheorie gefolgt wird) führe auch zur Anwendbarkeit deutschen Rechts.

Vorliegend sei eine Kollusion der beiden Geschäftsführer und damit die Nichtigkeit sowohl des Verpflichtungs- als auch des Verfügungsgeschäfts gem. § 138 BGB gegeben.

Nach der Rechtsprechung des BGH sei ein Vertrag nach § 138 BGB nichtig, den ein Bevollmächtigter im Einverständnis mit dem Vertragsgegner zum Schaden des Vollmachtgebers abschließe. Das OLG sah das kollusive Zusammenwirken in der für die Klägerin äußerst nachteiligen Ausgestaltung des GAV und den sich aus dem E‑Mail-Verkehr ergebenden Absichten der beiden Geschäftsführer.

Zurückgewiesen wurde der Antrag bzgl. der Übertragung der Geschäftsanteile an die Klägerin. Dies hätte sich um eine Vorwegnahme der Hauptsache gehandelt. Hinzu komme, dass eine Rückübertragung mangels Wirksamkeit der streitgegenständlichen Übertragung gar nicht möglich sei. Auch der Antrag bzgl. der Unterlassung der anderweitigen Verfügung über die Geschäftsanteile wurde abgewiesen. Es fehle in diesem Fall am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, da dem Rechtsschutzziel bereits durch die Zuordnung des Widerspruchs zur Gesellschafterliste und dem daraus resultierenden Ausschluss eines gutgläubigen Erwerbs durch Dritte gem. § 16 Abs. 3 Satz 3 GmbHG genügt werde. Nach § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG sei ein Verfügungsgrund nicht glaubhaft zu machen.

Ein solcher Verfügungsgrund sei jedoch hinsichtlich des Antrags bzgl. Unterlassung der Fassung von Gesellschafterbeschlüssen glaubhaft zu machen. Dies sah das OLG in Anwendung der Grundsätze aus einem früheren Urteil zur Rechtsform der AG als gegeben und führte aus, das Erreichen eines Abstimmungsverbots mit Mitteln der einstweiligen Verfügung sei nur in Ausnahmefällen statthaft. Der Rechtsschutz dürfe auf keine andere Art und Weise gewährleistet werden können. Ein vorbeugender Rechtsschutz sei ein gewichtiger Eingriff, der nur im Einzelfall bei der Gefahr gerechtfertigt sei, dass die von der Beklagten als tatsächlich nicht Berechtigter gefassten Beschlüsse zu vollendeten Tatsachen führen und Folgen hätten, die mit den Mitteln des nachgelagerten Rechtsschutzes nicht mehr hinreichend beseitigt werden könnten. Hier sei sowohl die Schutzbedürftigkeit als auch die Eindeutigkeit der Rechtslage einzubeziehen. Im streitgegenständlichen Fall seien alle diese Voraussetzungen gegeben, da die Beklagte sich als Alleingesellschafterin der GmbH gerierte und die Klägerin nicht einmal die Möglichkeit hatte, von etwaigen Beschlussfassungen Kenntnis zu erlangen, so dass die Beseitigung der Rechtsfolgen solcher Beschlüsse mittels nachträglichen Rechtsschutzes nicht gewährleistet sei. Diese Schutzlosigkeit wiege umso schwerer als das strafbare Vorgehen der Beteiligten eine weitere Schädigung der Klägerin nahelege.

Praxishinweis | OLG München 7 U 9421/21

Für die gesellschaftsrechtliche Praxis ist die detaillierte Auseinandersetzung des OLG mit den als besonders nachteilig empfundenen Klauseln des GAV interessant. Hier lohnt sich ein vertiefender Blick.