BGH X ZR 3/20
Sittenwidrige Schenkung bei Willensschwäche

08.09.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
26.04.2022
X ZR 3/20
NJW 2022, 3147

Leitsatz | BGH X ZR 3/20

  1. Zur substanziierten Darlegung von Geschäftsunfähigkeit nach §§ 104 Nr. 2, 105 II BGB genügt der Vortrag konkreter Anhaltspunkte, aufgrund derer die Möglichkeit der Geschäftsunfähigkeit nicht von der Hand zu weisen ist.
  2. Die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts gem. § 138 I BGB kann sich nicht nur aus Motiven des Zuwendenden ergeben, sondern auch und sogar in erster Linie aus den Motiven des Zuwendungsempfängers.

 

Sachverhalt | BGH X ZR 3/20

Die 53 Jahre jüngere Beklagte kümmerte sich um die Verwaltung der Mietshäuser des Klägers, wohnte kostenfrei in einer seiner Immobilien und wurde auch zu dessen Partnerin. Nachdem der Kläger stationär in einem Krankenhaus behandelt wurde, erteilte er der Beklagten am 09.08. eine Vorsorgevollmacht, die er am 26.08. widerrief. Zuvor war er am 22.08. auf die Intensivstation verlegt worden. Am 27.08. beantragte er die Annahme der Beklagten als Kind und erteilte ihr umfassende Vollmachten. Einen Tag später wurde er zurück auf die normale Station verlegt. Der Kläger übertrug mit notariellem Vertrag vom 30.08. im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zwei Grundstücke an die Beklagte. Diese wurde einige Wochen später als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Allerdings widerrief der Kläger mit Schreiben vom 06.11. alle zugunsten der Beklagten abgegebenen Willenserklärungen. Er machte geltend, zu dem Zeitpunkt der Grundstücksübertragung nicht geschäftsfähig gewesen und in sittenwidriger Weise zum Abschluss des Übertragungsvertrags gedrängt worden zu sein. Das LG hat die Klage abgelehnt, die Berufung blieb ohne Erfolg.

Entscheidung | BGH X ZR 3/20

Die Revision führt zur Aufhebung und Rückverweisung der Sache.

Die Geschäftsfähigkeit durfte nicht ohne Beweisaufnahme angenommen werden. Die Darlegungspflicht trifft die Person, die sich auf die Geschäftsunfähigkeit beruft, hier also den Kläger. Dafür müssen konkrete Anhaltspunkte im Parteivortrag die Geschäftsunfähigkeit zumindest wahrscheinlich erscheinen lassen. Auf die Wahrscheinlichkeit des Vortrags kommt es hingegen nicht an. Vorliegend hat der Kläger das Gutachten seines behandelnden Arztes vorgelegt, welches eine deutliche kognitive Beeinträchtigung und erhebliche Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit darlegt. Ergänzend beantragte er die Einholung eines Sachverständigengutachtens, sowie die Vernehmung der ihn behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Damit bestehen zumindest hinreichende Anhaltspunkte für eine fehlende Geschäftsfähigkeit während der Zeit auf der Intensivstation. Auch für den 30.08. war eine Beweisaufnahme erforderlich. Grundsätzlich bedarf es für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit besonderer Sachkunde. Das Berufungsgericht hat vorliegend jedoch aus den Indizien des Klägers eigene Schlussfolgerungen gezogen, ohne über hinreichende Sachkunde zu verfügen. Hinzu kommt, dass weder aus dem Verhalten der Ärzte auf das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit geschlossen werden kann, da die Klärung dieser Frage nicht im Fokus der Behandlung stand. Noch gibt es einen Erfahrungssatz, dass nur geschäftsfähige Personen aus dem Krankenhaus entlassen werden. Schließlich ist die Verwertung der Niederschrift einer Zeugenaussage zwar grundsätzlich zulässig. Allerdings kann sie die Vernehmung der entsprechenden Person als Zeuge nicht ersetzen, vor allem wenn eine Partei dies beantragt. Folglich hätte das Gericht zumindest ein Sachverständigengutachten einholen oder Zeugenvernehmungen durchführen müssen.

Des Weiteren kann auch die Sittenwidrigkeit nicht allein deshalb verneint werden, weil der Kläger die Beklagte als Kind annehmen und finanziell absichern wollte und Zuwendungen an Partner einer Liebesbeziehung für sich gesehen nicht sittenwidrig sind. Dem Grundsatz nach kann ein Geschäft sittenwidrig sein, weil sein Inhalt oder sein Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Bei einem unentgeltlichen Geschäft kommt es maßgeblich auf das Motiv des Zuwendungsempfängers an. Auch die Merkmale des § 138 II BGB können in die Bewertung des § 138 I BGB miteinfließen. Allerdings hat das Berufungsgericht nur auf die Motivation des Klägers abgestellt. Insbesondere wurde die behauptete Geschäftsunfähigkeit des Klägers nicht hinreichend berücksichtigt. Selbst wenn eine solche nicht vorlag, kann eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder der Krankenhausaufenthalt zu einer leichteren Beeinflussbarkeit geführt haben und daher die Nichtigkeit des Vertrags begründen. Diesbezüglich hätte das Berufungsgericht klären müssen, ob der Beklagten dieser Zustand des Klägers bewusst war und sie ihn gezielt ausgenutzt hat.

 

Praxishinweis | BGH X ZR 3/20

Da die Sache zurückverwiesen wurde, bleibt abzuwarten, wie das Berufungsgericht entscheiden wird. Nach Ansicht des BGH muss das OLG zunächst die Geschäftsunfähigkeit mithilfe eines Sachverständigengutachtens prüfen. Sollte eine solche nicht vorliegen, ist insbesondere zu prüfen, ob der Vertrag sittenwidrig war. Dabei bleibt zu beachten, dass die Sittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts nicht unbedingt die Sittenwidrigkeit der Übereignung zur Folge hat. Sollte eine Sittenwidrigkeit abgelehnt werden, bleibt die Prüfung des Rückforderungsbegehrens wegen groben Undanks aus § 530 BGB.