BGH V ZR 92/20
Reichweite einer Grunddienstbarkeit im Falle einer Nutzungsänderung

21.09.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
22.10.2021
V ZR 92/20
BeckRS 2021, 46554

Leitsatz | BGH V ZR 92/20

Amtliche Leitsätze:

  1. Der aus dem durch eine Grunddienstbarkeit begründeten Schuldverhältnis folgende Anspruch auf Bestellung einer deckungsgleichen Baulast setzt voraus, dass die mit der Bestellung der Dienstbarkeit bezweckte Sicherstellung der Bebaubarkeit des herrschenden Grundstücks mit der Baulast tatsächlich erreicht werden kann; dies gilt gleichermaßen, wenn die Baulast für die behördliche Genehmigung einer Nutzungsänderung benötigt wird.
  2. Kann die Baugenehmigung für das herrschende Grundstück mit der verlangten Baulasterklärung nur unter weiteren Voraussetzungen erteilt werden, setzt der Anspruch auf die Erklärung voraus, dass diese Voraussetzungen vorliegen oder eine Befreiung in Betracht kommt (Fortführung von Senat, Urteil vom 6. Oktober 1989 - V ZR 127/88, DNotZ 1991, 250, 252 und Urteil vom 3. Juli 1992 - V ZR 218/91, NJW 1992, 2885, 2886).

 

Sachverhalt | BGH V ZR 92/20

Die Klägerin ist Eigentümerin eines nicht an einer öffentlichen Straße gelegenen Grundstücks in Mecklenburg-Vorpommern. Die Zufahrt erfolgt u.a. über Grundstücke des Beklagten. An diesen besteht zugunsten des jeweiligen Eigentümers des klägerischen Grundstücks eine Grunddienstbarkeit in Form eines Leitungs- und Wegerechts. Die Klägerin unterhält auf ihrem Grundstück eine Lagerhalle, die sie vermietet. Sie beantragte bei der Bauaufsichtsbehörde, die Änderung der Nutzung dieser Halle dahingehend zu genehmigen, dass künftig anstelle von Kühlprodukten Waren aller Art mit Ausnahme brennbarer Flüssigkeiten gelagert werden. Die Behörde lehnte die Erteilung der Genehmigung mit der Begründung ab, dass die Zuwegung über die Grundstücke des Beklagten nicht durch eine Baulast gesichert sei. Mit der Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten die Einräumung einer Baulast.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, für seine Grundstücke jeweils eine Verpflichtungserklärung gegenüber der Bauaufsichtsbehörde abzugeben, nach der er es gestattet, dass die 6 m breite Zufahrt i.S.d. § 4 I LBO M-V durch Eintragung einer Baulast zur Breite von 3 Metern Feuerlösch- und Rettungsfahrzeuge zur Benutzung ermächtigt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision möchte die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.

Entscheidung | BGH V ZR 92/20

Nach der Entscheidung des BGH lege das Berufungsgericht seiner Entscheidung im Ausgangspunkt zutreffend die Rechtsprechung des Senats zu Grunde, nach der sich die Verpflichtung, eine Baulasterklärung abzugeben, als Nebenpflicht aus dem durch die Grunddienstbarkeit geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis ergeben kann. Voraussetzung hierfür sei, dass eine beiderseitige Interessenabwägung einen Vorrang des Grunddienstbarkeitsberechtigten ergibt. Rechtsfehlerfrei nehme das Berufungsgericht im Rahmen der von ihm angestellten Interessenabwägung an, dass die Bestellung der Grunddienstbarkeit dazu diente, das begünstigte Grundstück baulich zu nutzen. Zutreffend sei auch, dass der Verpflichtung des Beklagten zur Abgabe der Baulasterklärung nicht entgegensteht, dass die Baulast nicht für die Bebauung des Grundstücks, sondern für eine Nutzungsänderung benötigt wird. Denn eine Änderung der Nutzung des Grundstücks steht dessen Bebauung insoweit gleich, wenn sie - wie hier - nach Art und Umfang einer Baugenehmigung bedarf.

Auch richtig sei im Ausgangspunkt, dass der Anspruch auf Bestellung einer deckungsgleichen Baulast nach der Rechtsprechung des Senats voraussetze, dass die mit der Bestellung der Dienstbarkeit bezweckte Sicherstellung der Bebaubarkeit des herrschenden Grundstücks mit der Baulast tatsächlich erreicht werden kann. Unzutreffend sei aber die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin könne die Bewilligung der Baulast deswegen nicht verlangen, weil die Erteilung einer Baugenehmigung nach den §§ 4, 5 LBauO M-V eine öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt für den gesamten Verkehr zu dem klägerischen Grundstück erfordere, so dass die mit der Klage verlangte, auf Feuerlösch- und Rettungsfahrzeuge beschränkte Baulast nicht ausreiche. Die Annahme, dass die Baulasterklärung für sich genommen allein ausreichen müsse, um die Genehmigung zu erlangen, sei mit der Rechtsprechung des Senats zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Abgabe einer Baulasterklärung nicht zu vereinbaren. Nicht richtig sei daher die Annahme, dass die Abgabe der Baulasterklärung für sich genommen hinreichen, d.h. der einzige (noch) erforderliche Schritt zur Erteilung der Baugenehmigung sein muss.

Schließlich sei vom Berufungsgericht der Frage nachzugehen, ob sich die neue Nutzung in den Grenzen der Grunddienstbarkeit hält. Da der Anspruch auf Einräumung einer Baulast nur auf eine deckungsgleiche, d.h. nach Inhalt und Umfang der Dienstbarkeit entsprechende Baulast gerichtet sei, setzte er im Falle der Nutzungsänderung voraus, dass sich die geänderte Nutzung, deren Genehmigung die Baulast erfordert, im Rahmen der Grunddienstbarkeit hält. Inhalt und Umfang einer zeitlich unbegrenzten Dienstbarkeit ständen allerdings nicht in jeder Beziehung von vornherein für alle Zeiten fest, sondern seien gewissen Veränderungen unterworfen, die sich aus der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ergeben. Maßgeblich sei nicht die augenblickliche, bei Bestellung der Dienstbarkeit gerade bestehende Nutzung. Dementsprechend könne der Umfang einer Dienstbarkeit mit dem Bedürfnis des herrschenden Grundstücks wachsen, wenn sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach gleich bleibenden Benutzung dieses Grundstücks hält und nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht vorhersehbare oder auf eine willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen sei. Da der Wortlaut der Grundbucheintragung und der dort in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung keine Einschränkungen hinsichtlich des Zwecks und Umfangs der Zufahrt zu dem Grundstück der Klägerin enthalte, wäre zunächst davon auszugehen, dass auch eine Nutzung der Halle zur Lagerung von Waren aller Art mit Ausnahme brennbarer Flüssigkeiten von der Dienstbarkeit umfasst sei. Auch das Argument der Beklagten, die Grunddienstbarkeit gehe nur mit der Nutzung der Zufahrt für LKW bis 7,5 t einher, während die Nutzung einer Halle zur Lagerung von Waren jeglicher Art üblicherweise das mehrfache Befahren von LKW bis 40 t zur Konsequenz hätte, sei bei der Bewertung der Entwicklungsgrenzen der Grunddienstbarkeit mit einzubeziehen. Die Beweislast dafür, dass diese Änderung jedoch die Grenzen der Grunddienstbarkeit überschreite, träge der Beklagte. Allein der Umstand, dass der bisher vorhandene Weg einer derartigen Mehrbelastung nicht standhalte, wäre jedoch unzureichend – vielmehr wäre die Zuwegung zu ertüchtigen.

Praxishinweis | BGH V ZR 92/20

Eine einmal eingetragene Grunddienstbarkeit ist nach Auffassung des BGH fortlaufend Veränderungen ausgesetzt. So können zeitliche und technische Entwicklungen den Sinn und Zweck der Grunddienstbarkeit beeinträchtigen und ggf. eine Einräumung einer Baulast von Nöten machen. Grundlage hierfür bildet insbesondere die Verkehrsauffassung. Eine Verweigerung allein aus dem Umstand, dass eine Zustimmung für eine Genehmigung der Nutzungsänderung durch die Bauaufsichtsbehörde nicht ausreiche, kann als Grund allein nicht genügen. Dass die Grenzen der Grunddienstbarkeit z.B. durch eine Mehrbelastung der Zufahrt überschritten werde, kann ebenfalls nicht per se genügen, um die Zustimmung zu verweigern. Für den Umstand, dass die Grenzen der Grunddienstbarkeit trotz möglicher Verbesserung des Weges durch die Mehrbelastung überschritten werden, trägt der Eigentümer des belasteten Grundstücks die Beweislast.