BFH VII R 20/20
Prüfungsmaßstab für die objektive Gläubigerbenachteiligung bei einer Grundstücksübertragung

29.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
18.04.2023
VII R 20/20
BeckRS 2023, 22963

Leitsatz | BFH VII R 20/20

Die Frage, ob ein übertragenes Grundstück wertausschöpfend belastet war und damit keine objektive Gläubigerbenachteiligung im Sinne von § 1 des Anfechtungsgesetzes vorliegt, ist nicht unter Zugrundelegung des Verkehrswerts, sondern unter Zugrundelegung des voraussichtlichen Zwangsversteigerungserlöses für das Grundstück zu beantworten.

Sachverhalt | BFH VII R 20/20

Die Schuldnerin und Mutter der Klägerin hatte nach dem Erlass bestandskräftiger Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für 2002 - 2007, die auf der Grundlage der Feststellungen der Steuerfahndung erlassen wurden, Steuerschulden. Eine Vollstreckung blieb erfolglos.

Im Oktober 2011 erwarb die Klägerin von der Schuldnerin ein von den beiden bis 2015 bewohntes Grundstück gegen Übernahme der valutierenden Sicherheiten und Einräumung eines dinglich gesicherten Wohnrechts. Eine Auflassungsvormerkung wurde im November 2011 eingetragen, die Eigentumsumschreibung auf die Klägerin erfolgte aber nicht. Im August 2014 verkaufte die Klägerin das Grundstück weiter, das dingliche Wohnrecht wurde gelöscht. Zusätzlich erwarb die Klägerin 2012 von der Schuldnerin ein unbebautes Grundstück. Einen Anteil daran übertrug die Klägerin 2013 unentgeltlich an ihren Ehemann, den anderen Teil verkaufte sie ihm 2014.

Das beklagte Finanzamt erließ am 15.09.2015 einen Duldungsbescheid. In diesem focht es die beiden Grundstücksübertragungen gem. § 3 Abs. 1 S. 1, 4 AnfG, 191 AO an. Es war der Meinung, die Schuldnerin habe in Kenntnis der Steuerschulden andere Gläubiger durch die Übereignung der Grundstücke vorsätzlich benachteiligt. Die Klägerin machte dagegen klageweise geltend, der Duldungsbescheid leide unter formellen Mängeln, weil jeglicher Verfügungssatz oder Tenor fehle. Die Überschrift „Duldungsbescheid“ widerspreche dem auf Wertersatz gerichteten Inhalt. Da zudem nur eine Gesamtsumme ohne Zuordnung zu den beiden Grundstücksverkäufen genannt wurde, sei der Bescheid auch zu unbestimmt. Eine Gläubigerbenachteiligung habe nicht vorgelegen.

 

Entscheidung | BFH VII R 20/20

Die Vorentscheidung wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Bei der Frage, ob ein übertragenes Grundstück wertausschöpfend belastet war, hätte der voraussichtliche Zwangsversteigerungserlös zugrunde gelegt werden müssen. Diesen kann der Senat nicht selbst treffen. Das Finanzgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Anfechtung gem. §§ 191 Abs. 1 S. 1, 2 AO, 1 ff AnfG durch Duldungsbescheid erfolgt. Dieser war auch inhaltlich hinreichend bestimmt, da die der Anfechtung zugrundeliegenden Forderungen im Einzelnen aufgeführt waren und der Gesamtbetrag genannt wurde. Zudem ergibt sich aus dem Bescheid, in welcher Höhe das Finanzamt eine Unentgeltlichkeit der jeweiligen Grundstücksübertragung annimmt. Somit konnte auch zugeordnet werden, welcher Wertersatz aus welcher angefochtenen Rechtshandlung verlangt wird.

Zu Recht hat das beklagte Finanzamt außerdem die allgemeinen Anforderungen nach §§ 2, 1 Abs. 1 AnfG angenommen. Gem. § 2 AnfG war der Beklagte anfechtungsberechtigt, da fällige und vollstreckbare Steuerschulden bestehen und die Vollstreckung nicht erfolgreich war. Auch waren die Grundstücksübertragungen Rechtshandlungen nach § 1 Abs. 1 AnfG. Allerdings hat das FG fälschlicherweise bei der Frage, ob das erste Grundstück wertausschöpfend belastet war, auf den Verkehrswert abgestellt und keine Feststellungen zum voraussichtlichen Versteigerungserlös getroffen. Nach § 1 AnfG liegt eine erforderlich objektive Gläubigerbenachteiligung vor, wenn der Schuldner durch die Weggabe eines Vermögenswerts die Befriedigungsmöglichkeit seines Gläubigers beeinträchtigt. Dabei kommt es auf die Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an. Eine Beeinträchtigung kann jedoch nicht erfolgen, wenn Gegenstände weggegeben werden, die wertlos sind oder für die nie eine Zugriffsmöglichkeit bestand. Bei belasteten Grundstücken kann nur dann eine Benachteiligung bestehen, wenn der in der Zwangsvollstreckung erzielbare Wert die vorrangigen Belastungen übersteigt. Das Finanzgericht hat jedoch, für die Frage der Wertausschöpfung nur den Verkehrswert laut Kaufvertrag zugrunde gelegt, ohne zu prüfen, ob dieser auch bei einer Zwangsversteigerung hätte erzielt werden können.

Schließlich handelte es sich bei den Grundstücksübertragungen um teilweise unentgeltliche Leistungen i.S.d. § 4 Abs. 1 AnfG. Eine Leistung ist unentgeltlich, wenn sie nicht von einer ausgleichenden Zuwendung abhängt. Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist der Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs, bei einem Grundstückserwerb also der Eingang des Einigungsantrags. Zwar stellt ein dingliches Wohnrecht bei einer Grundstücksübertragung für den Übertragenden keinen Gegenwert dar, sondern kann nur den Grundstückswert mindern. Hinsichtlich des ersten Grundstücks liegt aber eine gemischte Schenkung vor, da die Übernahme der Verbindlichkeiten den Grundstückswert unterschreiten. Auch bezüglich des zweiten Grundstücks besteht ein Wertüberschuss. Auf eine Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung durch die Klägerin als Anfechtungsgegnerin kommt es nicht an, denn § 4 AnfG stellt nicht auf die subjektive Vorwerfbarkeit ab.

 

Praxishinweis | BFH VII R 20/20

Der BFH weist darauf hin, dass das FG ein entsprechendes Sachverständigengutachten einholen müssen wird, um das voraussichtliche Zwangsversteigerungsergebnis festzustellen. Sollte eine objektive Gläubigerbenachteiligung erneut bejaht werden, wird man den Duldungsbescheid nicht allein auf § 4 AnfG stützen können, weil der Schenkungsanteil die Duldungssumme nicht erreicht. Daher wird auch zu prüfen sein, ob eine Anfechtung nach § 3 Abs. 1 AnfG Erfolg hat.