OLG Hamm 22 U 28/22
Konkreter Blindgänger-Verdacht ist offenbarungspflichtig

18.03.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
28.11.2022
22 U 28/22
NZM 2023, 140

Leitsatz | OLG Hamm 22 U 28/22

  1. Ein über einen bloßen Mangelverdacht hinausgehender, offenbarungspflichtiger Sachmangel (hier: Blindgängerverdachtspunkt auf dem Nachbargrundstück) liegt vor, wenn dieser zu einer verkehrserheblichen Einschränkung der Nutzung des veräußerten Grundstücks führt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Bauvorhaben auf dem veräußerten Grundstück einer vorhergehenden Anzeige bedürfen und behördliche Anordnungen, etwa eine Untersuchung des Grundstücks mittels Bohrungen, nach sich ziehen können.
  2. Der Feststellung von Arglist iSv § 444 BGB steht nicht entgegen, dass die Verkäuferseite die Käufer über die Existenz eines objektiv offenbarungspflichtigen Sachmangels nicht aufklärte, weil sie diesen als unbedeutend ansah.

 

Sachverhalt | OLG Hamm 22 U 28/22

Der Kläger wollten von den Beklagten ein Haus kaufen. Vor Beurkundung des Kaufvertrags besichtigte er das Kaufobjekt zweimal, wobei jeweils eine Zeugin anwesend war und Auskünfte und Erläuterungen bezüglich des Hausgrundstücks gab. Allerdings wurde der Kläger nicht darüber informiert, dass sich auf dem benachbarten Flurstück ein Blindgängerverdachtspunkt befindet. Hierzu hatten die Eltern der Beklagten bereits eine umfangreiche Korrespondenz mit der Stadt geführt, eine Überprüfung hatte jedoch noch nicht stattgefunden.

Am 23.10.2020 wurde zwischen den Parteien ein notariell beurkundeter Kaufvertrag geschlossen, die Rechte des Käufers wegen eines Sachmangels wurden dabei ausgeschlossen. Am Tag nach der Beurkundung wurde der Kläger erstmals durch die Zeugin über den Blindgängerverdachtspunkt auf dem Nachbargrundstück aufgeklärt. In der Folge zahlte er zunächst einen Teilbetrag und behielt den Rest unter Hinweis auf den ihm verschwiegenen Blindgängerverdachtspunkt bis zur Klärung des Sachverhalts ein.

Der Kläger hat u.A. beantragt festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm sämtliche möglichen Schäden zu erstatten, die ihm künftig im Zusammenhang mit dem Bombenverdachtspunkt entstehen werden. Das LG Bielefeld hat diesem Antrag stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

 

Entscheidung | OLG Hamm 22 U 28/22

Die Berufung ist zulässig und dahingehend begründet, dass der Käufer zwar einen Anspruch auf Erstattung sämtlicher Schäden hat, die die ihm künftig im Zusammenhang mit dem Bombenverdachtspunkt entstehen werden.

Zunächst ist der Verdacht auf einen Blindgänger ein offenbarungspflichtiger Sachmangel, weil das Kaufobjekt nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich sind und die der Käufer erwarten kann. Anders als in den „Altlastenfällen“ oder „Kontaminationsfällen“ führt vorliegend bereits der Verdacht eines Blindgängers zu einer verkehrserheblichen Einschränkung der Nutzung. Denn aus der Korrespondenz zwischen der Stadt und den Verkäufern folgt, dass der Verdachtspunkt voraussichtlich geprüft wird, wenn eine Baumaßnahme in dessen Nähe, also auch auf dem streitgegenständlichen Grundstück, durchgeführt werden soll. Sollte ein Bauvorhaben im betroffenen Bereich realisiert werden, würden behördliche Anordnungen getroffen werden, die die uneingeschränkte Nutzung des Grundstücks zumindest beeinträchtigen würden.

Der vereinbarte Haftungsausschluss scheitert an § 444 BGB, da der Blindgängerverdachtspunkt arglistig verschwiegen wurde. Ein arglistiges Verschweigen liegt vor, wenn der Verkäufer den Mangel kennt und zugleich damit rechnet, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag zumindest nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgeschlossen hätte. Zunächst war der Mangel offenbarungspflichtig, da er bei der Besichtigung des Objekts nicht erkennbar gewesen ist und offensichtlich für den Kläger von Bedeutung war. Dabei müssen sich die Beklagten das Wissen und Verhalten der Zeugin gem. § 166 BGB zurechnen lassen. Denn die Zeugin war Verhandlungsgehilfin der Beklagten. Dies ergibt sich daraus, dass sie alle Besichtigungstermine durchgeführt hat, für den Kläger auch nach Vertragsabschluss die erste Ansprechperson war und das Haus in der Vergangenheit mit gebaut, besessen und bewohnt hat. Die erforderliche Aufklärung fand jedoch nicht statt. Die Zeugin hat selbst zugegeben, dass sie Kenntnis von dem Mangel hatte. Selbst wenn sie tatsächlich gedacht hätte, eine Aufklärung sei nicht erforderlich gewesen, obliegt die Darlegungslast für einen die Arglist ausschließenden Rechtsirrtum bei den Beklagten. Entsprechendes wurde jedoch nicht vorgetragen.

 

Praxishinweis | OLG Hamm 22 U 28/22

Die vorliegende Entscheidung zeigt, wie weit die Offenbarungspflicht des Verkäufers gehen kann. Sollte dem Verkäufer aus der Kommunikation mit Behörden bekannt sein, dass sich auf den angrenzenden Grundstücken Verdachtspunkte für Blindgänger befinden, muss geprüft werden, ob dies offengelegt werden muss. Hierbei können sowohl die Größe des benachbarten Grundstücks als auch die spezifische Lage des Verdachtspunktes von Bedeutung sein. Selbst wenn der Verkäufer den Mangel für unerheblich erachtet, kann die fehlende Offenlegung als Arglist gewertet werden.