KG 8 U 157/21
Keine Versagung der Berufung auf Schriftformmangel wegen drohender Insolvenz bei Räumung des Gewerbemieters

11.03.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
07.11.2022
8 U 157/21
NZI 2023, 148

Leitsatz | KG 8 U 157/21

Der bloße Umstand einer im Fall der Räumung zu erwartenden Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer juristischen Person als Mieterin von Gewerberäumen genügt nicht, um dem Vermieter nach § 242 BGB eine Berufung auf einen Schriftformmangel i.S.v. § 550 BGB unter dem Gesichtspunkt einer „Existenzgefährdung“ zu versagen.

Sachverhalt | KG 8 U 157/21

Zwischen den Parteien bestand ein Mietvertrag über Gewerberäume. Im ursprünglichen Mietvertrag war u.a. festgelegt, dass „der Mieter die Geh- und Fahrwege zu reinigen, Schnee zu beseitigen und bei Glätte der Streupflicht nachzukommen hat.“ Im Folgenden hatte der Kläger eine Nebenkostenabrechnungen für 2019 erhalten hatte, welche die Position „Winterdienst“ mit 5.385 € festsetzte. Diese Rechnung monierte er, woraufhin der beklagte Vermieter die Abrechnung korrigierte und erläuterte, dass er nun eine „pauschale Kostenbeteiligung“ an den Winterdienstkosten in Höhe von 1.900 € angesetzt habe. Gleichzeitig bat der Vermieter den Mieter um schriftliche Bestätigung dieser Abrechnungsmethode für alle künftigen Abrechnungen, was Letzterer tat.

Der Vermieter kündigte mit Schreiben vom 4.06.2021 das Mietverhältnis zum Ende des Jahres 2021 gem. §§ 550, 580a II BGB und berief dich dabei auf eine unzureichende Bestimmbarkeit des Mietgegenstandes. Im Nachgang führte er einen weiteren Schriftformmangel wegen der Änderung der Winterdienstregelung des Mietvertrags in den Prozess ein. Das LG hat die Klage abgewiesen und die Beendigung des Mietverhältnisses zum 31.03.2022 festgestellt.

Hiergegen wendet sich der Mieter mit seiner Berufung. Er ist der Ansicht, die Kündigung wegen Formmangels sei treuwidrig, da ein Umzug während der Coronapandemie zu einer Existenzbedrohung und drohenden Insolvenz seiner Person, führen würde. Der Vermieter beantragt im Wege der Anschlussberufung festzustellen, dass das Mietverhältnis bereits zum 31.12.2021 endet.

 

Entscheidung | KG 8 U 157/21

Das Kammergericht hat entschieden, dass die Kündigung nach der Regelung des § 580a II BGB bereits zum 31.12.2021 wirksam ist.

Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 04.06.2021 lag ein Schriftformmangel gem. § 550 BGB vor. Damit galt das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit geschlossen und konnte in der Frist des § 580a II BGB gekündigt werden. Die Kündigung wegen Unbestimmtheit greift hingegen nicht durch. Sofern eine Vertragsänderung in einem nicht unwesentlichen Punkt nicht in der Form des § 550 BGB beurkundet ist, ist die Form des Gesamtvertrags ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gewahrt. Eine solche Änderung lag darin, dass der Mieter nicht zur Ausführung des Winterdienstes verpflichtet ist, sondern zur Zahlung einer Kostenpauschale von 1.900 € pro Jahr. Diese Praxis wurde auch zuvor ausgeführt und entsprach dem übereinstimmenden Interesse der Parteien, auch wenn die Klägerin vorbringt, die Kosten nur irrtümlich bezahlt zu haben. Allerdings stellt die Einführung einer Nebenkostenpauschale anstatt einer Direktausführung eine wesentliche Vertragsänderung dar. Die dafür erforderliche Form wurde vorliegend nicht eingehalten. Die vertragsändernde Regelung kam auch vor dem Zeitpunkt der Kündigung zustande.

Der Beklagte ist nicht nach Treu und Glauben gem. § 242 BG daran gehindert, sich auf die Kündbarkeit des Mietvertrags zu berufen. Treuwidrigkeit läge vor, wenn der Beklagte eine nachträgliche, nicht formgerechte Abrede, die nur ihn begünstigt, zum Anlass nähme, einen ihm lästigen Mietvertrag zu kündigen. Nach der Rechtsprechung des BGH setzt eine Außerachtlassung eines Schriftformmangels nach Treu und Glauben aber ein nicht nur hartes, sondern „schlechthin untragbares“ Ergebnis voraus. Dies ist vorliegend nicht gegeben, da die Änderung nicht nur eine Zahlungspflicht des Mieters, sondern auch die Übernahme der Verkehrssicherungspflicht durch den Vermieter beinhaltet. Auch kann sich der Mieter als GmbH nicht auf die Gefährdung seiner „Existenz“ berufen. Denn im Gegensatz zu Menschen dienen Kapitalgesellschaften der Haftungsbegrenzung der hinter ihnen stehenden Gesellschafter. Ihre Existenzberechtigung wird von der Rechtsordnung nur anerkannt, solange sie aus eigener Kraft handeln können. Schließlich ist eine Betriebsunterbrechung regelmäßige Folge der Kündigung und Räumung und kann nicht als außergewöhnliches, schlechthin untragbares Ergebnis angesehen werden. Für eine Existenzgefährdung natürlicher Personen als Gesellschafter ist hier nichts erkennbar.

 

Praxishinweis | KG 8 U 157/21

Auch der vorliegende Fall zeigt, wie wichtig die Einhaltung der Schriftform im Mietrecht ist. Die Vertragsparteien sollten daher in jedem Fall Absprachen außerhalb des Mietvertrags vermeiden, um die vereinbarte Vertragslaufzeit nicht zu gefährden. Denn auch eine Berufung auf die Treuwidrigkeit der Kündigung ist regelmäßig abzulehnen, da das Außerachtlassen eines Schriftformmangels nach Treu und Glauben ein schlechthin untragbares Ergebnis voraussetzt, was in den wenigsten Fällen vorliegen wird.