BFH 4 K 692/20
Keine mehrfache Begünstigung von Familienheimen

25.12.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
16.06.2021
4 K 692/20
BeckRS 2021, 21660

Leitsatz | BFH 4 K 692/20

  1. Der Auszug des Erblassers aus der bislang eigengenutzten Immobilie unter gleichzeitiger Verlegung des Lebensmittelpunkts in eine andere eigengenutzte Immobilie ist nicht mit dem Umzug in ein Senioren- oder Pflegeheim aus zwingenden gesundheitlichen Gründen gleichzustellen.
  2. Die Steuerbefreiung als Familienheim kann nur für ein einziges Objekt in Betracht kommen. Dies gilt sowohl bei gleichzeitiger Eigennutzung mehrerer Immobilien durch den Erblasser zu seinen Lebzeiten als auch im Falle zeitlich aufeinander folgender Eigennutzung verschiedener in seinem Eigentum stehender Immobilien.
  3. Die Steuerbefreiungsvorschrift begründet kein Recht des Erben, nach dem Erbfall auszuwählen, welche von mehreren ererbten Immobilien, die vom Erblasser nacheinander zeitweise selbst genutzt worden und aufgrund zwingender Gründe jeweils wieder verlassen worden waren, als Familienheim begünstigt sein soll.

 

Sachverhalt | BFH 4 K 692/20

Der Kläger und seine Schwester beerbten laut Erbschein je zur Hälfte deren Mutter. Im Nachlass der Erblasserin befand sich ein Haus in X und ein weiteres Wohnhaus in Y. In dem Wohnhaus in Y ist der Kläger mit Wohnsitz gemeldet. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 08.06.2016 setzten der Kläger und seine Schwester die Erbengemeinschaft dahingehend auseinander, dass der Kläger das Wohnhaus in Y und seine Schwester das Haus in X jeweils zum Alleineigentum erhält. Die Geschwister gaben nach Aufforderung des Beklagten Erbschaftssteuererklärungen ab. Der Kläger gab die Gesamtwohnfläche des von ihm vollständig eigengenutzten Hauses mit 188,87 m2 an, während seine Schwester ihr Haus teilweise als steuerbefreites Familienheim deklarierte.

Mangels Einreichung von Erklärungen über den Grundbesitzwert beim zuständigen Finanzamt stellte dieses die Grundbesitzwerte der Häuser in X und Y im Schätzungswege und unter Vorbehalt der Nachprüfung fest. Ab dem Erbfall rechnete das Finanzamt den Grundbesitz beider Häuser in voller Höhe allein der Schwester des Klägers zu. Gegen die Feststellung des Grundbesitzwertes des Wohnhauses in Y legte der Kläger in eigenem Namen ohne Begründung Einspruch ein, welchen das Finanzamt durch Einspruchsentscheidung gegenüber der Schwester als unbegründet zurückwies und darüber hinaus den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob.

Der steuerliche Vertreter des Klägers erklärte mit Schreiben vom 30.07.2019, dass es sich bei dem Wohnhaus in Y um ein von der Erbschaftssteuer befreites Familienheim handele. Er beantragt deshalb, dem Kläger die entsprechende Steuerbefreiung zu gewähren. Das Finanzamt gab dem Antrag nicht statt und setzte die Erbschaftssteuer stattdessen auf 408.519 Euro fest. Dieser Festsetzung lag ein Wert in Höhe von 2.318.115, 50 Euro, einschließlich des durch das Finanzamt festgesetzten Grundbesitzwertes für das Haus in Y, zugrunde. Gegen den Bescheid legte der Kläger am 18.12.2019 Einspruch ein, welcher als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Hiergegen richtet sich die Klage des Klägers. Er beantragt, den Erbschaftssteuerbescheid vom 27.11.2019 in Gestalt der diesen bestätigenden Einspruchsentscheidung vom 18.03.2020 dahingehend zu ändern, dass die Erbschaftssteuer auf 0,- Euro herabgesetzt wird.

Entscheidung | BFH 4 K 692/20

Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.

Die Klage ist insoweit begründet, als der Beklagte bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer des Klägers einen zu hohen Wert des erbschaftssteuerrechtlichen Erwerbes berücksichtigt hat. Erbschaftssteuerpflichtig ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unter anderem der Erwerb durch Erbanfall, also der Übergang des Vermögens des Erblassers auf den oder die mehreren Erben nach § 1922 BGB. Der Erbfall sei bei mehreren Erben, unabhängig vom Auseinandersetzungsvertrag, beim jeweiligen Miterben entsprechend seiner Erbquote erbschaftssteuerrechtlich zu erfassen. Da der Kläger und seine Schwester zu je ½ Miterben geworden sind, sei dem Kläger materiell-rechtlich somit jeweils die Hälfte des Wertes der beiden Häuser als Wert des erbschaftssteuerrechtlichen Erwerbes zuzurechnen.

Da die beiden Feststellungsbescheide lediglich an die Schwester des Klägers adressiert sind, sei auch die Vermögenszurechnung durch das Finanzamt für den Beklagten nicht verbindlich. Daher könne der Beklagte den Wert des erbschaftssteuerlichen Erwerbes des Klägers auf der Grundlage jeweils eines Hälfteanteils am Wert des Hauses in X und des Hauses in Y ermitteln. Wegen der erheblich höheren Bewertung des Hauses in Y ergebe sich zugunsten des Klägers eine Minderung der erbschaftssteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage.

Im Übrigen sei die Klage jedoch unbegründet. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der Zuerkennung der Steuerbefreiung des Grundbesitzwertes des Hauses in Y unter dem Gesichtspunkt des Familienheimes nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG.

Steuerfrei ist gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG der Erwerb von Todes wegen eines sogenannten Familienheims von bis zu 200 m2 durch Kinder des Erblassers, wenn die Voraussetzungen der Norm erfüllt sind. Das Gericht sieht diese im Streitfall in Bezug auf das Haus in Y als nicht gegeben an. Zu Recht habe der Beklagte der Steuerbefreiung nicht stattgegeben, da die Erblasserin das Haus weder bis zu ihrem Tode zu Wohnzwecken selbst genutzt noch der der Eigennutzung gleichgestellte Ausnahmetatbestand vorgelegen habe. Die Eigennutzung durch die Erblasserin sei dann entbehrlich, wenn sie aus zwingenden Gründen an der Fortsetzung der Eigennutzung gehindert war. Dazu zähle beispielsweise der Eintritt der Pflegebedürftigkeit verbunden mit einem Einzug in ein Pflegeheim. Die Erblasserin hatte ihren Lebensmittelpunkt zehn Jahre vor ihrem Tod in das Haus in X verlegt. Das Haus in X erfüllt ebenfalls die Voraussetzungen eines Familienheimes nach der Vorschrift im oben genannten Sinne. In einem solchen Fall scheide die Anwendung der Steuerbefreiung auf die bisherige Wohnung in Y aus. Der Sinn und Zweck der Vorschrift sei so zu verstehen, dass die Steuerbefreiung nur auf diejenige Wohnung angewendet werden soll, die als zeitlich Letzte vor dem Erbfall die Funktion als Familienheim des Erblassers erfüllt hat. Es kann mithin nur ein Objekt unter den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung fallen. Daher kam das Haus in Y für eine Steuerbefreiung nicht mehr in Betracht.

Der Kläger könne auch nicht die Steuerbefreiung im Hinblick auf das von ihm zur Hälfte erworbene Haus in X geltend machen, weil er dieses schon nach dem Erbfall nicht zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat.

Praxishinweis | BFH 4 K 692/20

Da der Feststellung der Erbschaftssteuer zunächst die Feststellung des Grundbesitzwertes zugrunde liegt, ist dem Steuerpflichtigen anzuraten diesen dem Finanzamt gegenüber zu erklären. Sollte dem Finanzamt keine solche Erklärung vorliegen, ist es angehalten den Wert durch Schätzung zu ermitteln. Eine Schätzung könnte für den Steuerpflichtigen nachteilig ausgehen. Eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG kommt grundsätzlich nur für das Familienheim in Betracht, welches von der Erblasserin zuletzt bewohnt wird. Damit ist eine Befreiung für mehr als ein Haus sogar dann ausgeschlossen, falls die Erblasserin mehrere Häuser zur gleichen Zeit bewohnen sollte. Eine Ausnahme macht der Gesetzgeber für den Umzug in ein Senioren- oder Pflegeheim.