OLG Hamm 10 W 91/20
Keine Geltendmachung des Pflichtteils, wenn zuvor erhobene Ansprüche nach Kenntnis von der Pflichtteilsstrafklausel alsbald zurückgezogen werden

30.10.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
29.03.2023
10 W 91/20
ZEV 2023, 231

Leitsatz | OLG Hamm 10 W 91/20

  1. Die in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Pflichtteilsstrafklausel lässt allein noch nicht auf den Willen der Eheleute schließen, ihre Kinder als Schlusserben einzusetzen.
  2. Für das Eingreifen der Verwirkungsklausel ist es nicht erforderlich, dass der Pflichtteil tatsächlich ausgezahlt oder gerichtlich geltend gemacht wird. Es genügt vielmehr, dass der Abkömmling versucht hat, den Pflichtteil zu erhalten. Das ist der Fall, wenn er in objektiver Hinsicht den Pflichtteil ausdrücklich und ernsthaft fordert und in subjektiver Hinsicht dabei bewusst in Kenntnis der Verwirkungsklausel handelt. Weitere subjektive Voraussetzungen, etwa ein bewusstes oder gar böswilliges Auflehnen gegen den Erblasserwillen, sind nicht erforderlich.
  3. An einer ernsthaften Geltendmachung des Pflichtteils fehlt es, wenn der Berechtigte den Pflichtteil nicht durch anwaltliche Schreiben anmahnt, sondern alsbald erklärt, die Ansprüche zurückzuziehen, nachdem ihm eine Kopie des die Pflichtteilsstrafklausel enthaltenen Testaments übersandt worden war.

 

Sachverhalt | OLG Hamm 10 W 91/20

E und die vorverstorbene F errichteten 2003 ein gemeinsames Testament. In diesem setzten sie sich als gegenseitige Erben ein. Außerdem regelten sie darin eine Pflichtteilsstrafklausel zulasten ihrer Kinder (B1 und B2): sollte ein Kind nach dem Tod des ersten Verstorbenen den Pflichtteil verlangen, sollte es auch nach dem Tod des Zweiten nur den Pflichtteil erhalten. Nach Es Tod erhielt B1 am 18.11.2019 ein Schreiben von B2s Rechtsanwalt. In diesem wurde er zur Zahlung eines Pflichtteils einschließlich einer Pflichtteilsergänzung an B2 aufgefordert. Am 11.12.2019 erklärte B2, dass sie keine Pflichtteilsansprüche geltend machen wollte und diese sämtlich zurückziehe.

B1 hat für sich einen Alleinerbschein beantragt, da durch das Anwaltsschreiben die Pflichtteilsstrafklausel in Gang gesetzt worden sei. Zudem hätten die Eltern ihm im Oktober 2016 erklärt, es sei ihr Wille, dass er das gesamte Erbe bekomme. Das Nachlassgericht hat B1s Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde.

 

Entscheidung | OLG Hamm 10 W 91/20

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Nachlassgericht hat den Antrag des B1 zu Recht zurückgewiesen.

B1 und B2 haben nicht aufgrund einer Erbeinsetzung, sondern kraft gesetzlichen Erbrechts gem. § 1924 Abs. 2 BGB gemeinsam geerbt. Aus dem Testament ergibt sich nur die gegenseitige Einsetzung der Eheleute, jedoch keine ausdrückliche Erbeinsetzung der Beteiligten als Schlusserben. Zwar kann sich auch durch ergänzende Auslegung eine Einsetzung als Schlusserben ergeben. Hierfür kann insbesondere bei einem privatschriftlichen eigenhändigen Testament eine Pflichtteilsstrafklausel sprechen. Allerdings bedarf es weiterer entsprechender Hinweise. Im vorliegenden Fall enthielt das Testament jedoch keine weiteren Hinweise für eine solche Auslegung. Außerhalb des Testaments liegende Umstände, die für eine solche Auslegung sprechen könnten, wurden nicht vorgetragen. Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass E und F bewusst auf eine Erbeinsetzung ihrer Kinder verzichtet haben und es bei der gesetzlichen Erbfolge belassen wollten.

Eine Enterbung des B2 aufgrund der Pflichtteilsstrafklausel liegt nicht vor. Bei einer Schlusserbeneinsetzung im gemeinschaftlichen Testament geht der BGH davon aus, dass diese infolge der Pflichtteilsklausel auflösend bedingt ist. Die auflösende Bedingung kann dabei auch nach dem Tod des überlebenden Ehegatten herbeigeführt werden. Ob sich dies auf den vorliegenden Fall ohne Schlusserbeneinsetzung übertragen lässt, ist umstritten, wird jedoch zumindest vom OLG Stuttgart abgelehnt. Dieses geht davon aus, dass in einem solchen Fall eine aufschiebend bedingte Enterbung ohne Erbeinsetzung gem. § 1938 BGB vorläge. Da aber die gesetzliche Erbfolge mit dem Eintritt des Erbfalls feststeht, könne sie nicht von Ereignissen nach dem Erbfall abhängen. Folglich könne ein Pflichtteilsverlangen auf den Tod des Zuerstversterbenden nur bis zum Tod des Letztversterbenden zum Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge führen.

Im vorliegenden Fall ist diese Frage jedoch nicht relevant, da B2 die Pflichtteilsstrafklausel nicht ausgelöst hat. Hierfür wäre notwendig, dass der Abkömmling versucht hätte, den Pflichtteil zu erhalten. Dabei muss in objektiver Hinsicht der Pflichtteil ausdrücklich und ernsthaft gefordert und subjektiv in Kenntnis der Verwirkungsklausel gehandelt werden. Das Verlangen muss dabei von einer gewissen Ernsthaftigkeit und Intensität gekennzeichnet sein. B2 hat ihr Anliegen nicht durch mehrfache anwaltliche Schreiben oder sonstige Maßnahmen verfolgt. Sie hat vielmehr sehr schnell von der Verfolgung abgesehen und die Ansprüche zurückgezogen. Auch hat B2 erst nach der Eröffnung des Testaments Kenntnis von der Pflichtteilsstrafklausel erhalten. Damit hatte sie bei Geltendmachung der Ansprüche im Zweifel keine Kenntnis von der Pflichtteilsstrafklausel.

 

Praxishinweis | OLG Hamm 10 W 91/20

Die Frage, ob eine Pflichtteilsstrafklausel auch nach dem Tod des Zuletztversterbenden greift, hat die Rechtsprechung bisher nur für den Fall der Anordnung einer Schlusserbeneinsetzung geklärt. Für die Praxis kann es daher sinnvoll sein, den Pflichtteil im Wege von Pflichtteilsverzichtsverträgen zu regeln.