BGH IV ZB 12/22
Keine Anfechtung einer „lenkenden Erbausschlagung“

15.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
22.03.2023
IV ZB 12/22
NJW 2023, 1725 (m. Anm. Krätzschel)

Leitsatz | BGH IV ZB 12/22

Irrt sich der eine Erbschaft Ausschlagende bei Abgabe seiner Erklärung über die an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende Person, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Ein solcher Motivirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB. (amtl. Ls.)

Sachverhalt | BGH IV ZB 12/22

Der Erblasser verstarb ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung. Aufgrund gesetzlicher Erbfolge wurde er von seiner Witwe und seinen Kindern beerbt. Alle Kinder des Erblassers schlugen durch notariell beglaubigte Erklärungen gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft aus. Ihr Ziel war, die Witwe zur Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge werden zu lassen. Die Witwe beantragte daraufhin einen Erbschein, der sie als Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausweisen sollte. Das Nachlassgericht wies aber darauf hin, dass die überlebende Ehefrau nach § 1931 Abs. 1 BGB nur dann Alleinerbin sei, wenn es weder Erben erster noch zweiter Ordnung noch Großeltern gebe, weshalb der Sohn des Erblassers und der Witwe (S1) seine Ausschlagungserklärung durch notariell beglaubigte Erklärung fristgerecht wegen Irrtums anfocht. Hier stellte sich im Verfahren herausheraus, dass der Erblasser noch Halbgeschwister hatte.

Die Witwe und ihr Sohn beantragten einen gemeinschaftlichen Erbschein, der sie als Miterben zu je ein Halb ausweisen sollte. Das Nachlassgericht wies den Erbscheinsantrag zurück, da es sich bei der Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen der Ausschlagung um einen unbeachtlichen Motivirrtum handele. Das OLG Hamm wies die Beschwerde zurück, ließ die Rechtsbeschwerde aber zu.

 

Entscheidung | BGH IV ZB 12/22

Der BGH wies die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurück. Der Sohn, der ursprünglich Erbe geworden sei, habe seine Miterbenstellung durch die Ausschlagung rückwirkend verloren, § 1953 Abs. 1 BGB. Die Erwartung, dass der Nachlass in vollem Umfang an die Witwe fallen werde, habe keinen Niederschlag in der Ausschlagungserklärung gefunden. Es liege darin keine Bedingung im Rechtssinne, die gem. § 1947 BGB die Unwirksamkeit der Ausschlagung zur Folge habe.

Damit sei die Wirkung der Ausschlagung nicht durch die Anfechtungserklärung beseitigt worden, denn die erklärte Anfechtung sei unwirksam, da sich anhand des Vorbringens des Sohnes kein rechtlich beachtlicher Anfechtungsgrund feststellen lasse.

Das OLG Hamm habe zu Recht angenommen, dass sich der Sohn bei Abgabe der Ausschlagungserklärung nicht in dem allein in Betracht kommenden Irrtum i.S.d. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB befand. Ein Inhaltsirrtum könne zwar auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irre, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeuge, sondern solche, die sich davon unterschieden. Ein Rechtsirrtum berechtige aber nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeuge.

Der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzuträten, seien kein Irrtum mehr über den Inhalt der Erklärung, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum.
Der Sohn sei daher keinem Irrtum über die unmittelbaren Rechtswirkungen der Ausschlagung erlegen, wenn er geltend mache, er sei bei Abgabe der Ausschlagungserklärung davon ausgegangen, dass dadurch seine Mutter Alleinerbin sei. Der Irrtum über die konkrete Person des Nächstberufenen begründe unabhängig davon, welche rechtlichen oder tatsächlichen Fehlvorstellungen dem zugrunde lagen, so eine irrige Annahme einer Anwachsung beim verbleibenden Miterben oder Irrtum über Inhalt der gesetzlichen Erbfolge im deutschen Erbrecht, lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum. Es komme somit auch nicht darauf an, dass der Sohn nicht wusste, dass der Erblasser Halbgeschwister hatte.

Der BGH führt aus, dass die Frage der Anfechtung bei einer „lenkenden Ausschlagung“, bei der es dem Ausschlagenden gerade um den Eintritt des Anfalls an einen bestimmten Dritten ankomme, in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur seit einiger Zeit umstritten sei. Eine Auffassung gehe davon aus, dass der Irrtum über die nächstberufene Person stets ein Irrtum über die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und damit ein beachtlicher Inhaltsirrtum sei . Die Gegenansicht vertrete, dass es sich um einen bloßen unbeachtlichen Motivirrtum handele.

Der BGH schließt sich nun Ansicht an, dass es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum handelt. Es liege nur ein Irrtum über eine mittelbare Nebenfolge der Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften vor. Diese Entscheidung stützt er auf historische und auch auf dogmatische Argumente.

Die Anfechtung sei auch weder dadurch gerechtfertigt, dass der Ausschlagende den Anfall der Erbschaft an eine bestimmte Person als das primäre Ziel seiner Ausschlagung und seinen Wegfall als bloßes Mittel zu diesem Zweck erachte, noch durch eine sonstige an der Vorstellung oder Willensrichtung des Ausschlagenden ausgerichtete wertende Betrachtung. Eine Rechtsfolge werde nicht dadurch zu einer unmittelbaren, dass sie der Hauptgrund für die Erklärung der Ausschlagung gewesen sei. Dies ergebe sich aus der gesetzlichen Konzeption der §§ 119 ff. BGB und der §§ 1942 ff. BGB. Die Rechtsfolge anhand der Vorstellung und Absicht des Ausschlagenden zu qualifizieren, mit der Ausschlagung falle die Erbschaft einer bestimmten anderen Person an, führte sie zudem dem Inhalt der Ausschlagungserklärung zu, der hier allerdings ausschließlich darin bestehe, die Erbschaft nicht anzunehmen. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung beruhten nicht auf der Willensentschließung des Ausschlagenden, sondern ergäben sich aus § 1953 BGB.

Der BGH hält die Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit darüber hinaus im Interesse der Rechtssicherheit für erforderlich. Erweitere man die Anfechtungsmöglichkeit konterkariere dies die besondere Interessenlage bei der Ausschlagung, den Schwebezustand durch Annahme oder Fristablauf nach möglichst kurzer Zeit zu beenden.

Praxishinweis | BGH IV ZB 12/22

Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass „lenkende Ausschlagungen“ nur noch in Ausnahmefällen sinnvoll seien können. Selbst die beste erbrechtliche und steuerrechtliche Beratung des Ausschlagenden kann nicht verhindern, dass plötzlich z.B. Kinder ermittelt werden, von denen der Rest der Familie nichts wusste, oder wie hier (Halb-)Geschwister. Als Alternative bleibt z.B. die Erbteilsübertragung, auch wenn diese ggf. unerwünschte steuerliche Nachteile hat.

Um solche Probleme zu vermeiden, sollte die Erbfolge nicht dem Zufall und den gesetzlichen Regeln überlassen werden, sondern eine Verfügung von Todes wegen mit fachkundiger Beratung errichtet werden.