OLG Karlsruhe 5 WF 77/22
Genehmigungsfähigkeit einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung von Minderjährigen

08.11.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Karlsruhe
09.11.2022
5 WF 77/22
RFamU 2023, 144

Leitsatz | OLG Karlsruhe 5 WF 77/22

  1. Für die Genehmigung einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung von Minderjährigen nach §§ 1643, 1697a BGB ist nicht in jedem Fall die Vertragskonstruktion mit dem geringsten Risiko zu wählen. Vielmehr ist eine Abwägung der Risiken und Vorteile vorzunehmen.
  2. Bei Eingehung eines Gesellschaftsvertrages ist eine Prognose geboten, bei der unternehmerische und wirtschaftliche Risiken unter Einbeziehung von Zweckmäßigkeitserwägungen zu bewerten sind. Dabei ist nicht jedes mit der Beteiligung an einem Erwerbsgeschäft verbundene wirtschaftliche Risiko vom Minderjährigen fernzuhalten. Es genügt, wenn im Ganzen gesehen, das Rechtsgeschäft für den Minderjährigen vorteilhaft ist. (Leitsätze der Redaktion)

 

Sachverhalt | OLG Karlsruhe 5 WF 77/22

Die Großtante der vier minderjährigen Betroffenen, Frau T. K., ist Kommanditistin der X. KG sowie der X. Beteiligungen KG. Außerdem ist sie Gesellschafterin der X. Familien GbR. Die Nachfolge der nächsten Generation in der Familie soll lebzeitig erfolgen. Hierfür ist die Übertragung von Teilen der Beteiligungen an die vier minderjährigen Betroffenen vorgesehen. Die Kommanditanteile sollen mit einem Nießbrauch der Schenkerin belastet werden. Der Eintritt in die Gesellschaften soll zum 31.03.2022 erfolgen. Hinsichtlich der Haftung zwischen diesem Zeitpunkt und der Eintragung ins Handelsregister übernimmt die Schenkerin im Innenverhältnis die Haftung.

Die Betroffenen machen geltend, diese Konstruktion sei gewählt worden, weil so die Schenkungssteuerlast von über 3 Mio. EUR pro Kind auf knapp 8.000 EUR gesenkt werden könne. Die X.-Gruppe habe mit enormem Aufwand bestimmte vermögenswirksame Tätigkeiten heruntergefahren, um für die Minderjährigen ein optimales Übertragungsfenster zu ermöglichen und die gesetzlichen Voraussetzungen der schenkungssteuerlichen Begünstigung (§§ 13 a ff. ErbStG) zu schaffen. Dies könne aus unternehmerischen Gründen nicht über unbestimmte Zeit weitergeführt werden, so dass sich nach dem festgelegten Übertragungsstichtag 31.03.2022 das Zeitfenster für eine Anteilsübertragung schließe. Das Haftungsrisiko falle angesichts des Überschusses der X. KG im Jahre 2021 von 761,4 Mio. EUR gering aus. Es handele sich um eine zentral koordinierte stichtagsgenaue Anteilsübertragung an insgesamt 103 Beschenkte.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht die familiengerichtliche Genehmigung versagt. Es sei nicht die haftungsrechtlich günstigste Variante gewählt worden, da die Betroffenen nach § 176 Abs. 2 HGB für den Zeitraum zwischen Eintritt und Eintragung als Kommanditisten wie persönlich haftende Gesellschafter haften.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde.

 

Entscheidung | OLG Karlsruhe 5 WF 77/22

Das OLG Karlsruhe stellte fest, dass die Beschwerde begründet sei. Das zur Entscheidung stehende Rechtsgeschäft sei nach §§ 1643, 1822 Abs. 1 Nr. 3 BGB sowohl genehmigungsbedürftig als auch genehmigungsfähig.

Mit der schenkweisen Übertragung der Kommanditanteile auf die Betroffenen gingen diese Gesellschaftsverträge zum Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ein, weshalb die Übertragungen genehmigungsbedürftig seien §§ 1643, 1822 Abs. 1 Nr. 3 BGB (a.F. vor Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts). Entgegen der Auffassung des Familiengerichts seien diese unter Berücksichtigung aller erkennbarer Umstände nach §§ 1643, 1697a Abs. 1 BGB aber auch genehmigungsfähig.

Die Genehmigung der Verträge orientiere sich am Wohl der betroffenen Kinder. Maßgeblich sei dabei nicht nur das rein finanzielle Interesse, sondern auch, ob das genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft im Gesamtinteresse der Kinder liege.  Bei der Entscheidung seien alle möglichen Vor- und Nachteile, insbesondere Vorteile, Risiken, Erträge und Aufwendungen, abzuwägen.  Zusätzlich zu rein materiellen Belangen komme es unter Umständen auch auf ideelle oder familiäre Interessen der Kinder an.  Der Genehmigungsvorbehalt sei eine Ausnahmen vom Prinzip der ungeschmälerten gesetzlichen Vertretungsmacht des sorgeberechtigten Elternteils, folglich dürfe die Genehmigung nur in begründeten Fällen versagt werden.

Das OLG Karlsruhe stellt fest, dass bei Eingehung eines Gesellschaftsvertrages eine Prognose gestellt werden müsse, in die die unternehmerischen und wirtschaftlichen Risiken unter Einbeziehung von Zweckmäßigkeitserwägungen einflössen. Entscheidend sei aber, dass nicht jedes mit der Beteiligung an einem Erwerbsgeschäft verbundene wirtschaftliche Risiko vom Minderjährigen ferngehalten werden müsse. Es reiche aus, wenn das Rechtsgeschäft als Ganzes betrachtet für den Minderjährigen vorteilhaft sei.  Die Genehmigung könne nicht nur deswegen versagt werden, weil der Minderjährige im Außenverhältnis gegenüber Gläubigern der Gesellschaft mit seinem Vermögen persönlich hafte, insbesondere, wenn diese Haftung nur für kurze Zeit oder in einem verhältnismäßig unerheblichen Umfang bestehe.

Das OLG Karlsruhe betont, die Risiken für die Minderjährigen seien vom Familiengericht sorgfältig und zutreffend herausgearbeitet worden. Auch bei einem nur kurzem Zeitfenster seien die Gefahren trotzdem nicht rein abstrakt. Gerade ein Pharmaunternehmen könne aufgrund von Klagen – vor allem in den USA – wirtschaftlich zusammenbrechen. Dies würde zur Haftung der Betroffenen führen. Die Freistellungserklärung der Schenkerin sei unter Umständen in einem solchen Fall nicht ausreichend, da ihr erhebliche Vermögen ebenfalls in Firmenbeteiligungen bestünde, die eben durch den Absturz an Werthaltigkeit verlieren dürften. Ein solcher Zusammenbruch in der kurzen Zeit der vollen Haftung sei aber extrem unwahrscheinlich.

Das OLG verneint, dass es einen Grundsatz gebe, in jedem Fall die Vertragskonstruktion zu wählen, die mit den geringsten Risiken für den Minderjährigen verbunden sei. Das Familiengericht habe zu Recht darauf hingewiesen, dass eine aufschiebend bedingte Anteilsübertragung auf Eintragungszeitpunkt keine persönliche Haftung begründen würde. Dies hätte jedoch eine erheblich höhere Steuerbelastung der Minderjährigen zur Folge. Hinzu komme, dass die Betroffenen nach § 1629 a Abs. 1 BGB ihre Haftung auf das im Zeitpunkt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen beschränken könnten.

Im Ergebnis könne nach dem oben dargestellten rechtlichen Maßstab die Entscheidung der Eltern für den Abschluss der Verträge unter Abwägung der relativ überschaubaren Risiken einerseits und der ganz erheblichen Vorteile andererseits nicht als dem Kindeswohl widersprechend angesehen werden.

Praxishinweis | OLG Karlsruhe 5 WF 77/22

Die Entscheidung ist äußerst praxisrelevant und für die Nachfolgeplanung in Familienunternehmen erfreulich. Der Komplex der Übertragung von Kommanditanteilen auf Minderjährige war in der Vergangenheit stark vom Einzelfall geprägt und wurde von Gerichten daher sehr unterschiedlich beurteilt.

Die vorliegende Entscheidung stärkt Vertragskonstruktionen, die die steuerrechtlichen Vorteile einer lebzeitigen Übertragung mittels stichtagsgenauer Anteilsübertragung nutzen, solange die Vertragsgestaltung einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung entspricht und das bestehende geringe Risiko der Haftung durch einen ganz erheblichen Vorteil – hier die Reduktion der Steuerlast um mehr als 99 % ausgeglichen wird.
Wichtig ist zu betonen, dass die besprochene Entscheidung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG ), und des am 01.01.2023 in Kraft getretenen Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts  erfolgte.

Das OLG Karlsruhe geht von der Genehmigungsbedürftigkeit der Übertragung der Kommanditanteile aus. Dies war jedoch bis zum 31.12.2022 umstritten. Da die vom Familiengericht ausgestellten „Negativatteste“ aber keinen Rechtsschutz boten, war den Beteiligten eher mit einer – positiven – Entscheidung des Familiengerichts gedient.

Mit Inkrafttreten der Reform ist auch der schenkungsweise derivativen Anteilserwerb unabhängig von der vollständigen Einzahlung und der Erwerbsart genehmigungspflichtig, solange die Gesellschaft nicht rein vermögensverwaltend ist, § 1852 n.F.

Das Inkrafttreten des MoPeG zum 01.01.2024 wird weitere Änderungen bei der Genehmigung von Übertragungen von Kommanditanteilen auf Minderjährige bringen.

Das Familiengericht versagte in erster Instanz die Genehmigung aufgrund der Haftungsmöglichkeit der Beschenkten gem. § 176 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 1 HGB für zwischen Anteilsübertragung und deren Eintragung im Handelsregister begründete Gesellschaftsverbindlichkeiten.

Eine solche Haftung ist nach Inkrafttreten des MoPeG ausgeschlossen, da nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers insbesondere „die Übertragung eines Kommanditanteils auf einen anderen – auch neuen – Gesellschafter bei gleichzeitigem Ausscheiden des bisherigen Anteilsinhabers nicht unter die Vorschrift“ fällt. Dies ist durch die Einfügung des Wortes „weiterer“ in § 176 Abs. 2 HGB n.F. erfolgt.  
Bei einer vollständigen Anteilsübertragung muss damit ab dem 01.01.2024 nicht mehr aufschiebend bedingten auf die Eintragung im Handelsregister übertragen werden.

Bei einer Teilübertragung - wie im vorliegenden Fall - wird dies in der Literatur aber auch anderes gesehen.  Die überwiegende Ansicht im Schrifttum geht jedoch davon aus, dass der derivative Teilerwerb ebenso wenig wie eine vollständige rechtsgeschäftliche Übertragung einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich einer Vermehrung der Haftungsmasse setze.