BGH V ZR 191/22
Der erbbaurechtliche Heimfallanspruch wegen nicht fristgerechter Fertigstellung einer Moschee

31.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
19.01.2024
V ZR 191/22
juris

Leitsatz | BGH V ZR 191/22

  1. Eine Gemeinde, die als Grundstückseigentümerin mit einem Privaten den Ausschluss der Vergütung für das Erbbaurecht beim Heimfall in dem Erbbaurechtsvertrag vereinbart, verstößt hierdurch nicht gegen das Gebot angemessener Vertragsgestaltung.
  2. Die Geltendmachung des Anspruchs auf Rückübertragung des Erbbaurechts ohne Vergütung unterliegt einer strengen Ausübungskontrolle hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des gemeindlichen Handelns.

 

Sachverhalt | BGH V ZR 191/22

Die Klägerin ist eine Stadt in Baden-Württemberg. Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, der Menschen islamischen Glaubens soziale, kulturelle und religiöse Dienste anbietet. Die Stadt vereinbarte mit dem Verein, dass dieser ein Grundstück der Stadt in einem ersten Bauabschnitt mit einer Moschee und einem Kulturhaus bebauen sollte. Am 26.11.2014 schlossen die Parteien einen Erbbaurechtsvertrag, mit dem die Stadt dem Verein für eine Dauer von 60 Jahren und einer Verlängerungsmöglichkeit von weiteren 30 Jahren ein Erbbaurecht an ihrem Grundstück einräumte. Außerdem wurde ein gestaffelter Erbbauzins von anfänglich 35.336 € jährlich ab dem 01.07.2017 vereinbart. Der Verein verpflichtete sich, innerhalb von vier Jahren ab dem 01.11.2014 den ersten Bauabschnitt fertigzustellen. Andernfalls sollte die Stadt berechtigt sein, die Rückübertragung des Erbbaurechts zu verlangen (Heimfall). Eine Vergütung für das Erbbaurecht haben die Parteien für diesen Fall ausgeschlossen und der Verein sollte verpflichtet sein, die Moschee und das Kulturhaus auf Verlangen der Stadt auf eigenen Kosten zu beseitigen. Das Erbbaurecht wurde in das Grundbuch eingetragen. Die Baugenehmigung wurde erteilt, allerdings verzögerten sich Baubeginn und Bauausführung. Der erste Bauabschnitt war Ende Oktober 2018 noch nicht fertiggestellt. Im Dezember 2018 machte die Stadt den Heimfall geltend und übte ihr Wiederkaufsrecht aus.

Sowohl das LG als auch das OLG Stuttgart gaben der Stadt Recht. Mit der vom OLG Stuttgart zugelassenen Revision verfolgt der Verein seinen Antrag auf Klageabweisung und seine Widerklageanträge weiter.

Entscheidung | BGH V ZR 191/22

Der BGH hat die Revision des Vereins zurückgewiesen. Die Stadt hat gegen den Verein einen Heimfallanspruch, gerichtet auf Übertragung des Erbbaurechts. Der Verein hat gegen seine vertraglich geregelte Bauverpflichtung verstoßen, indem er den ersten Bauabschnitt nicht innerhalb des vereinbarten Zeitraums von vier Jahren fertiggestellt hat. Dies hatte er auch selbst zu verschulden. Somit war nach den vertraglichen Regelungen auch keine Nachfrist zu gewähren.

Die Vereinbarung über die Bebauungspflicht ist wirksam. Sie ist insbesondere nicht unangemessen, da es Ziel der Gemeinde ist, mit der Ausgabe eines Erbbaurechts ein Grundstück für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen. Daher muss es ihr grundsätzlich möglich sein, die Bestellung des Erbbraurechts von der Verpflichtung des Erbbauberechtigten zur Errichtung des Gebäudes abhängig zu machen, das diese Nutzung ermöglicht. Auch die Pflicht zur Errichtung des Gebäudes innerhalb einer Frist von vier Jahren ist keine schwerwiegende Belastung und nicht unangemessen, da der Erbbauberechtigte bei unverschuldeter Verzögerung des Bauvorhabens nach dem Erbbaurechtsvertrag einen Anspruch auf Verlängerung der Bebauungsfrist hat.

Der Wirksamkeit der vertraglichen Vereinbarung steht auch nicht der Ausschluss der Vergütung für den Heimfall entgegen. Die Vergütung kann nach § 32 Abs. 1 S. 2 ErbbauRG individualvertraglich ausgeschlossen werden. Dies ist auch sachgerecht, da der Heimfall nach den vertraglichen Regelungen regelmäßig nur eintritt, wenn der Erbbauberechtigte gegen seine vertraglichen Pflichten verstößt. Somit hat es der Erbbauberechtigte selbst in der Hand, den entschädigungslosen Heimfall zu vermeiden. Er kann sich darauf einstellen, keine Vergütung für seine Investitionen zu erhalten, wenn er seinen vertraglichen Pflichten nicht nachkommt. Für die Gemeinde allerdings hätte eine Vergütungspflicht erhebliche Nachteile. So könnte sie dazu gezwungen sein, kurzfristig erhebliche Haushaltsmittel für das Bauwerk bereitstellen zu müssen oder auf die Geltendmachung des Anspruchs zu verzichten, weil ihr die entsprechenden Haushaltsmittel fehlen.

Der BGH stellt fest, dass die Geltendmachung des Heimfallanspruchs auch der nach den Grundsätzen des Verwaltungsprivatrechts vorzunehmenden Ausübungskontrolle standhält. Sie ist insbesondere auch verhältnismäßig. Der Heimfall darf zwar im Ergebnis nicht dazu führen, dass der Erbbauberechtigte für seinen Verstoß gegen vertragliche Pflichten übermäßig sanktioniert wird. Der vergütungslose Heimfall würde sich sonst als unangemessene Vertragsstrafe darstellen. Die Gemeinde muss bei der Ausübung ihres Ermessens eine Abwägung zwischen Art und Bedeutung des Heimfallgrundes, also der Schwere des Vertragsverstoßes, und den Folgen des vergütungslosen Heimfalls für den Erbbauberechtigten vornehmen. Im vorliegenden Fall steht beides in einem angemessenen Verhältnis zueinander. Der Verein hat seine Bauverpflichtung schuldhaft missachtet. Bei Rückübertragung des Erbbaurechts steht ihm insoweit eine Vergütung für das Bauwerk zu, als dieses einen Verkehrswert hat.

Praxishinweis | BGH V ZR 191/22

So erfreulich die Entscheidung des V. Zivilsenats zu dem zu entscheidenden Sachverhalt ist, so problematisch sind die durch den Sachverhalt auch nicht ansatzweise gerechtfertigten obiter dicta.
Der Senat beschäftigt sich losgelöst von dem völlig überzeugend gelösten Fall mit der Frage, wann der entschädigungslose Heimfall unangemessen ist. Dies soll u.a. dann der Fall sein, wenn der Verstoß des Erbbauberechtigen nicht sehr schwerwiegend ist, das Bauwerk genutzt werden kann und die Gemeinde einen Vorteil hat. Dies mag im Einzelfall für eine Unangemessenheit sprechen, warum untersucht der Senat, der hier versucht, rechtsfortbildend tätig zu sein, dann aber nicht auch, welche Aspekte gegen eine Unangemessenheit in solchen Fällen sprechen?

Wie ist es, wenn z. B. der Erbbaurechtszins sehr weit unter dem Verkehrswert liegt, wenn der Erbbaurechtsnehmer seine Investition in hohem Maß aus Subventionen, Beihilfen und Spenden finanziert hat? Schon diese Fragen zeigen auf, wie unglücklich in aller Regel obiter dicta sind.