BGH XII ZR 140/08
Begrenzung nachehelichen Unterhalts bei Krankheit

15.02.2011

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
17.02.2010
XII ZR 140/08
NJW 2010, 1598

Leitsatz | BGH XII ZR 140/08

  1. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über eine Herabsetzung oder zeitliche Begrenzung des nachehelichen Unterhalts ist vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. § 1578b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität (im Anschluss an BGH NJW 2009, 989 = FamRZ 2009, 406; NJW 2009, 2450 = FamRZ 2009, 1207).
  2. Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs, der nach § 1578b BGB regelmäßig die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts bildet, bemisst sich nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Dabei ist auch auf die konkrete Lebenssituation des Unterhaltsberechtigten abzustellen. Beim Krankheitsunterhalt kann deswegen nur auf das Einkommen abgestellt werden, das der Unterhaltsberechtigte ohne die Ehe und Kindererziehung im Falle seiner Krankheit zur Verfügung hätte. Aus dem Begriff der Angemessenheit folgt aber zugleich, dass der nach § 1578b BGB herabgesetzte Unterhaltsbedarf jedenfalls das Existenzminimum des Unterhaltsberechtigten erreichen muss (im Anschluss an BGH NJW 2009, 3783 = FamRZ 2009, 1990).

Sachverhalt | BGH XII ZR 140/08

Die Eheleute streiten über die Begrenzung und Befristung des nachehelichen Krankheitsunterhalts. Im Jahre 2000 trennten sich die Ehegatten nach 19-jähriger Ehe. Aus der Ehe sind die 1980 geborene gemeinsame Tochter und der 1984 geborene gemeinsame Sohn hervorgegangen. Der Sohn starb auf Grund seiner schweren Behinderung im Jahre 1993 verstarb und wurde bis dahin von den Eltern häuslich gepflegt. Die Ehefrau ist seit Mitte 2001 arbeitsunfähig erkrankt und wurde zum 1. 1. 2006 verrentet. 2004 wurde die Ehe rechtskräftig geschieden. Die Folgesache nachehelicher Unterhalt wurde abgetrennt. Das OLG änderte die Entscheidung des AG, wonach ab Januar 2005 monatlich 1698 Euro Unterhalt zu zahlen sei, dahingehend ab, dass es zuletzt ab Januar 2006 monatlich 847 Euro zusprach und diesen Betrag ab Oktober 2010 auf 337 Euro herabsetzte. Der Ehemann begehrt mit der Revision die Herabsetzung des Unterhalts bereits ab Januar 2008 und die zeitliche Befristung bis Dezember 2009. Der BGH hat die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Entscheidung | BGH XII ZR 140/08

Der Billigkeitsprüfung von § 1578 b BGB fällt in den Aufgabenbereich des Tatrichters. Dieser ist hier aber nicht zu entnehmen, ob sich das OLG bewusst war, dass bis zur Herabsetzung auf den angemessenen Lebensbedarf nach § 1578b BGB seit der Trennung der Parteien zehn Jahre und der rechtskräftigen Scheidung etwa sechs Jahre vergangen sind. Dieser Zeitraum fällt jedoch überwiegend in die Zeit vor Geltung des § 1578b BGB. Zudem haben Begrenzungs- und Befristungsmöglichkeiten erst nach dem Grundsatzurteil des BGH vom 12.4.2006 (NJW 2006, 2401) an Bedeutung gewonnen. Vor der Gesetzesänderung zum 1.1.2008 konnte Krankheitsunterhalt lediglich auf den angemessenen Lebensbedarf herabgesetzt werden. Deswegen hat das OLG erneut zu prüfen, ob eine ab diesem Zeitpunkt laufende Übergangsfrist von viereinhalb Jahren bis zum 1.10.2010 der Billigkeit entspricht. Die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts bildet der angemessene Lebensbedarf. Bei der Bemessung des angemessenen Lebensbedarfs wurde zu Lasten des Mannes von einem zu hohen Bedarf ausgegangen. Mangels Berufstätigkeit der Ehefrau kann nicht auf einen Bedarf von monatlich 1100 Euro, sondern lediglich auf den Mindestunterhalt in Höhe des notwendigen Selbstbehalts eines Erwerbslosen von zurzeit 770 Euro abgestellt werden. Eine zeitliche Befristung des Krankheitsunterhalts sei im Hinblick auf die zu berücksichtigende nacheheliche Solidarität, die durch die Rollenverteilung in der mehr als 20 Jahre andauernden Ehe ein erhebliches Gewicht erhalten hat, hier nicht geboten. § 1578b BGB beschränkt sich nach dem Willen des Gesetzgebers nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch (wie sich aus dem Wort „insbesondere” des § 1578b BGB I 2 BGB ergibt) eine darüber hinausgehende Solidarität.

Praxishinweis | BGH XII ZR 140/08