OLG Karlsruhe 11 W 94/21 (Wx)
Auswirkungen der Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung durch Verzeihung auf die Wirksamkeit einer Enterbung

17.10.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Karlsruhe
08.02.2023
11 W 94/21 (Wx)
ZErb 2023, 261

Leitsatz | OLG Karlsruhe 11 W 94/21 (Wx)

  1. Von einem zur Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB berechtigenden Irrtum des Erblassers ist nur dann auszugehen, wenn die Fehlvorstellung des Erblassers der letztlich entscheidende, ihn bewegende Grund für die Enterbung gewesen wäre und er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände mit Sicherheit von der Enterbung abgesehen hätte.
  2. Eine Verzeihung kann die Unwirksamkeit einer Enterbung nur über § 2085 BGB herbeiführen, d.h. wenn sich ein Erblasserwille feststellen lässt, wonach die – durch eine Verzeihung nach § 2337 BGB eingetretene – Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung die Unwirksamkeit der Enterbung nach sich ziehen soll.

 

Sachverhalt | OLG Karlsruhe 11 W 94/21 (Wx)

Der Erblasser und seine nachverstorbene Ehefrau haben drei Kinder (K 1-3). Mit eigenhändigem Testament vom 08.03.2016 verfügte der Erblasser die Enterbung seiner Kinder und den Entzug ihres Pflichtteils wegen groben Undankes. Der letztwilligen Verfügung war eine Auseinandersetzung zwischen dem Erblasser und den K 1-3 um den Aufenthaltsort der Ehefrau vorangegangen, die seit 2015 an einem schweren dementiellen Syndrom litt. Die Auseinandersetzung wurde dadurch ausgelöst, dass die Kinder die Ehefrau in Abwesenheit des Erblassers aus der Ehewohnung holten und bei sich aufnahmen. Sie sahen die Gesundheit der Ehefrau, aufgrund einer vom Erblasser geplanten unmittelbar bevorstehenden USA-Reise mit ihr, bedroht. Bereits im Jahr 2012 hatte die Ehefrau der K2 eine umfassende Vollmacht, u.a. auch die Berechtigung zur Aufenthaltsbestimmung, erteilt.  Der bei der Unterzeichnung anwesende Erblasser ging allerdings später von einer Fälschung der Unterschrift aus. Ein gerichtlich eingeholtes Schriftgutachten bescheinigte im Jahr 2019 die Echtheit der streitgegenständlichen Signatur. Der Erblasser erteilte daraufhin K1 eine Vollmacht für alle Rechtsgeschäfte betreffend das Grundstück der Eheleute. Auch versuchte er kurz vor seinem Tod Kontakt zu K1 aufzunehmen.

Nach dem Tod des Erblassers beantragten seine Kinder einen Erbschein, der sie sowie die Ehefrau des Erblassers als Erben aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausweist. Zugleich fochten sie das Testament aufgrund der irrigen Annahme des Erblassers an, die Unterschrift der Ehefrau auf der Vollmacht sei gefälscht. Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der K1-3. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. 

Entscheidung | OLG Karlsruhe 11 W 94/21 (Wx)

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das OLG bestätigt die Zurückweisung des Erbscheinsantrags durch das Nachlassgericht.

Ein zur Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB berechtigender Irrtum des Erblassers im Hinblick auf die von ihm angenommene Fälschung der Vorsorgevollmacht lässt sich nicht feststellen. Hiervon wäre nur auszugehen, wenn die Fehlvorstellung des Erblassers der letztlich entscheidende, ihn bewegende Grund für die Enterbung gewesen wäre und er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände mit Sicherheit von der Enterbung abgesehen hätte. Der Erblasser hatte auch nach Vorliegen des Schriftgutachtens den Rechtsstreit vor dem Betreuungsgericht fortgeführt. Dies lässt erkennen, dass der Entschluss des Erblassers zur Enterbung seiner Kinder nicht entscheidend und ausschließlich auf seinen Fehlvorstellungen zu der Fälschung beruht hat, sondern seine Ursache in einer umfassenden Verärgerung des Erblassers wegen der Herausnahme der Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung hatte.

Des Weiteren liegt auch kein beachtlicher Motivirrtum nach § 2078 BGB vor. Die hieran zu stellenden strengen Anforderungen sieht das Gericht nicht als erfüllt an. Nach der Rechtsprechung genügen zur Heranziehung eines beachtlichen Motivirrtums zwar auch Vorstellungen des Erblassers. Dabei muss es sich allerdings um Umstände handeln, die jemand zwar nicht konkret im Bewusstsein haben muss, aber jederzeit abrufen und in sein Bewusstsein holen kann, mithin also selbstverständliche Vorstellungen. Zum Zeitpunkt des Erbfalls hat sich eine Aussöhnung des Erblassers mit seinen Kindern allerdings allenfalls angebahnt. Dies reicht nicht für die Annahme, dass der Erblasser bei Kenntnis seines späteren Verhältnisses zu den Kindern eine Enterbung nicht vorgenommen hätte. Gegen eine solche Annahme spricht außerdem, dass der Erblasser trotz Möglichkeit dazu, von einer anderweitigen Testierung abgesehen hat.

Das OLG bestätigt weiterhin die Annahme des Nachlassgerichtes, dass aus der Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung nicht die Unwirksamkeit der Enterbung folge. Pflichtteilsentziehung und Enterbung stellen zwei Verfügungen dar. Nach § 2337 S. 2 BGB wäre die Pflichtteilsentziehung durch eine erfolgte Verzeihung unwirksam. Selbst wenn man eine Verzeihung annehmen würde, hätte dies nur Auswirkungen auf die Pflichtteilsentziehung. Es finden sich keine Anhaltspunkte für eine analoge Anwendung des § 2337 BGB auf die Wirksamkeit der zusätzlich testierten Enterbung. Die Schutzrichtung der Norm zielt weniger dahin, dem Erblasserwillen Geltung zu verschaffen, sondern dem grundsätzlichen Schutz des Pflichtteilsberechtigten.

Die Verzeihung kann die Unwirksamkeit der Enterbung nur über § 2085 BGB herbeiführen. Es müsste sich ein Erblasserwillen feststellen lassen, wonach die durch Verzeihung nach § 2337 BGB eingetretenen Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung auch die Unwirksamkeit der Enterbung nach sich ziehen soll. Anhaltspunkte dafür sind aber nicht ersichtlich.  

Praxishinweis | OLG Karlsruhe 11 W 94/21 (Wx)

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe verdeutlicht die Schwierigkeit, eine letztwillige Verfügung aufgrund eines beachtlichen Motivirrtums des Erblassers erfolgreich anzufechten. Noch schwieriger wird es, wenn sich der Irrtum des Erblassers auf selbstverständliche oder unbewusste Vorstellungen stützen soll. Das Gericht stellt klar, dass aufgrund einer wegen Verzeihung unwirksamen Pflichtteilsentziehung nur bei entsprechend begründbarem Erblasserwillen auf die Unwirksamkeit der Enterbung geschlossen werden kann. Würde man einen Automatismus in diese Richtung annehmen, müsse dem Erblasser dringend geraten werden, im Falle einer Verzeihung sofort ein neues Testament mit ausdrücklicher Enterbung trotz erfolgter Verzeihung zu verfassen (Miehler/Hartmann, ZEV 2023, 439).