OLG Karlsruhe 14 W 144/21
Anfechtung der Erbschaftsannahme

04.03.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Karlsruhe
23.08.2023
14 W 144/21
juris

Leitsatz | OLG Karlsruhe 14 W 144/21

  1. Der Bestand der im Insolvenzverfahren des Erblassers angemeldeten Forderungen stellt eine Eigenschaft des Nachlasses dar. Erfolgt die Annahme der Erbschaft in der unrichtigen Vorstellung, der Nachlass sei überschuldet, kann dies eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums rechtfertigen.
  2. Wenn der Annehmende selbst Gemeinschuldner eines Insolvenzverfahrens war, kann die Erwägung, dass im Fall der Ausschlagung des Erbes der Wert des Nachlasses nicht den eigenen Insolvenzgläubigern, sondern seinen als Erben nachrückenden Abkömmlingen zugutekommt, für die Frage, wie der Annehmende bei Kenntnis der wahren Sachlage entschieden hätte, maßgeblich sein. Es kommt insoweit vornehmlich auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an. Dass ein Schuldner in diesem Fall in erster Linie anstreben würde, seine Verbindlichkeiten zu bedienen, ist bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise in der Regel nicht anzunehmen.

 

Sachverhalt | OLG Karlsruhe 14 W 144/21

Der Beteiligte zu 1 ist der einzige Abkömmling der verstorbenen A und des vorverstorbenen B. Die Erblasserin erlitt 1998 schwere Gesundheitsschäden nach einer durch das Universitätsklinikum durchgeführten Biopsie. Im Jahr 2004 verklagte sie diesbezüglich das Klinikum, durch ihren als Betreuer bestellten Ehemann. Nach dessen Tod führte der Beteiligte zu 1 den Schadensersatzprozess fort.

Am 30.04.2015 wurde über das Vermögen des Beteiligten zu 1, der ab 01.07.2000 die Gastwirtschaft seiner Eltern als Pächter betrieben hatte, das Insolvenzverfahren eröffnet. Wenige Monate später wurde auch über das Vermögen der Erblasserin das Insolvenzverfahren eröffnet. In der Folge wurde die Gaststätte veräußert. Nach dem Tod der Erblasserin erklärte der Beteiligte zu 1 am 28.09.2018 zu Protokoll der Rechtspflegerin am Nachlassgericht Offenburg, dass er die Erbschaft seiner Mutter angenommen habe und beantragte die Erteilung eines Erbscheins.

Im Schadensersatzprozess kam es 2020 zu einem Vergleich über 1,5 Millionen Euro. Die Vergleichssumme wurde auf das Anderkonto des Nachlassinsolvenzverwalters überwiesen. Nach der Verteilung ergab sich nach Abzug aller Kosten ein Überschuss von 294.100 €, den der Nachlassinsolvenzverwalter am 12.08.2021 beim Amtsgericht Offenburg hinterlegt hat. Nach diesem Ereignis focht der Beteiligte zu 1 die Erbschaftsannahme wegen Irrtums an und beantragte die Einziehung des Erbscheins. Er führte an, dass er die Erbschaft wegen seiner Insolvenzlage nicht angenommen hätte, wenn er den tatsächlichen Nachlasswert gekannt hätte. Das Nachlassgericht lehnte die Einziehung ab, da der Irrtum des Beteiligten 1 nicht wirtschaftlich relevant sei. Es hat eine darauf folgende Beschwerde des Beteiligten zu 1 nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt.

 

Entscheidung | OLG Karlsruhe 14 W 144/21

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der erteilte Erbschein ist gem. § 2361 BGB wegen Unrichtigkeit einzuziehen, da die Erbschaft nach der wirksamen Anfechtung der Annahme gem. § 1957 Abs. 1 BGB als ausgeschlagen gilt.

Es lag zunächst ein wirksamer Anfechtungsgrund vor, da sich der Beteiligte zu 1 in einem Eigen-schaftsirrtum gem. § 119 Abs. 2 BGB befand. Die Eigenschaften eines Nachlasses umfassen dessen Bestandteile sowie mögliche Schulden, jedoch nicht eine fehlerhafte Vorstellung bezüglich des Gesamtwerts. Fehlvorstellungen darüber, dass die Verbindlichkeiten den Wert der Nachlassgegenstände übersteigen, berechtigen nur dann zu einer Anfechtung, wenn sie sich auf die Zusammensetzung des Nachlasses beziehen, etwa auf das Vorhandensein wesentlicher Aktiva. Dies war vorliegend der Fall. Der Beteiligte ging nach den Berichten des Insolvenzverwalter davon aus, dass Forderungen von circa 2 Millionen Euro gegen den Nachlass bestanden. Ihm war nicht bewusst, dass sich diese Forderungen erledigen konnten. Diese Annahme erwies sich jedoch als Irrtum, da die Verbindlichkeiten den Wert des Nachlasses nicht überstiegen und der Nachlass folglich werthaltig und nicht überschuldet war.

Der Beteiligte zu 1 hat zudem erklärt, dass er die Erbschaft nur deshalb angenommen habe, weil er fälschlicherweise geglaubt hätte, der Nachlass sei überschuldet. Hätte er die tatsächliche finanzielle Lage des Nachlasses gekannt, hätte er die Erbschaft abgelehnt. Er machte geltend, dass im Falle seiner Annahme der Erbschaft der wertvolle Nachlass seiner Mutter infolge seines eigenen Insolvenzverfahrens ausschließlich den Massegläubigern zugutegekommen wäre. Aus der Perspektive einer objektiven Beurteilung wäre die Erbschaftsannahme unter Berücksichtigung der wirklichen Vermögenslage im September 2018 von einem vernünftigen Dritten ebenfalls abgelehnt worden. Denn in diesem Fall wären die Vermögenswerte aus dem Nachlass an die drei Kinder als weitere Abkömmlinge übergegangen. Daher kann festgestellt werden, dass der Irrtum maßgeblich für die Annahme der Erbschaft verantwortlich war.

Abschließend wurde die Anfechtung in einer rechtskräftigen notariell beglaubigten Form eingereicht. Die sechswöchige Anfechtungsfrist gemäß § 1954 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wurde durch die Kenntnis des Anfechtungsgrundes in Bewegung gesetzt. Dies geschah konkret am 01.10.2020, als die Niederschrift des Insolvenzgerichts Offenburg, die Informationen über den verbleibenden Nachlass enthielt, übermittelt wurde. Davon ausgehend wurde die Frist durch die Erklärung des Beteiligten zu 1 vom 29.10.2020 eingehalten.

Praxishinweis | OLG Karlsruhe 14 W 144/21

Das OLG Karlsruhe stellt in seiner vorliegenden Entscheidung klar, dass die Annahme der Erbschaft in der unrichtigen Vorstellung, der Nachlass sei überschuldet, eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums rechtfertigen kann. Denn der Bestand der im Insolvenzverfahren des Erblassers angemeldeten Forderungen stellt eine Eigenschaft des Nachlasses dar. Die Anfechtung muss gegenüber dem Nachlassgericht und innerhalb der gesetzlichen Frist erklärt werden, die mit der Erkenntnis des Anfechtungsgrundes in Bewegung gesetzt wird.