BGH II ZR 171/10
Zur Pflicht des Geschäftsführers bei der Prüfung der Insolvenzreife fachkundigen Rat einzuholen

25.07.2012

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
27.03.2012
II ZR 171/10
DB 2012, 1320

Leitsatz | BGH II ZR 171/10

1. Verfügt der Geschäftsführer einer GmbH nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen muss, hat er sich bei Anzeichen einer Krise der Gesellschaft unverzüglich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person beraten zu lassen.

2. Der Geschäftsführer darf sich nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen, sondern muss auch auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken.

Sachverhalt | BGH II ZR 171/10

Der Beklagte war Alleingeschäftsführer der nunmehr insolventen G.F.-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Im August 2003 beauftrage er eine Unternehmensberaterin mit der Prüfung der Vermögenslage der Schuldnerin sowie in Frage kommender Sanierungsmöglichkeiten. Diese erstattete ihre gutachterliche Stellungnahme Anfang November 2003. Sie gab dabei eine positive Fortführungsprognose ab. Etwa einen Monat später stellte der Geschäftsführer wegen Zahlungsunfähigkeit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, das im Februar 2004 eröffnet wurde. Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin behauptet nunmehr die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin spätestens Ende August 2003 und klagt daher auf Ersatz der Zahlungen im Zeitraum von September bis November 2003 gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (jetzt § 64 S. 1 GmbHG). Das Landgericht wies die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung wurde zurückgewiesen.

Entscheidung | BGH II ZR 171/10

Die Revision des Klägers hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur weiteren Tatsachenaufklärung hinsichtlich der Frage der Zahlungsunfähigkeit ab September 2003. Der BGH führte aus, dass die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a. F. Verschulden voraussetze, wobei einfache Fahrlässigkeit genüge. Maßstab sei nach § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a. F. die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns. Dabei werde zu Lasten eines Geschäftsführers, der in der in § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a. F. beschriebenen Lage der Gesellschaft Zahlungen aus ihrem Gesellschaftsvermögen leistet, vermutet, dass er dabei schuldhaft, nämlich nicht mit der von einem Vertretungsorgan einer GmbH zu fordernden Sorgfalt gehandelt hat (BGHZ 146, 264). Als Ausgangspunkt reiche die Erkennbarkeit der Insolvenzreife aus, wobei die Erkennbarkeit als Teil des Verschuldens vermutet wird (BGHZ 143, 184) Diese Vermutung sei im Streitfall nicht widerlegt. Denn Geschäftsführer seien verpflichtet, die wirtschaftliche Lage und eine mögliche Insolvenzreife der Gesellschaft stets zu überprüfen. Könnten fällige und eingeforderte Verbindlichkeiten nicht vollständig bedient werden, habe er die Zahlungsfähigkeit der GmbH anhand einer Liquiditätsbilanz zu überprüfen. Fehlen dem Geschäftsführer eigene Kenntnisse zur Beurteilung, ob er einen Insolvenzantrag stellen muss, sei er bei Vorliegen entsprechender Anzeichen zur unverzüglichen Hinzuziehung unabhängiger, fachlich qualifizierter Berater verpflichtet. Stellt der Berater eine Insolvenzreife nicht fest, dürfe sich der Geschäftsführer nur dann auf dieses Ergebnis verlassen, wenn er die Verhältnisse der Gesellschaft und die erforderlichen Unterlagen dem Prüfer umfassend offengelegt und das abschließende Ergebnis einer eigenen Plausibilitätskontrolle unterzogen habe. Nach der Auftragserteilung müsse der Geschäftsführer zudem für die unverzügliche Bearbeitung und Prüfung sorgen. Insoweit zieht der BGH die Parallele zum Sinn und Zweck des Zahlungsverbots und der Insolvenzantragspflicht und stellt dabei auf den dort geltenden Maßstab – „ohne schuldhaftes Zögern“ – ab. Dies sei im Streitfall bei der Zeitspanne zwischen August und November nicht der Fall gewesen. Im Übrigen habe der Beklagte die begutachtende Unternehmensberaterin nicht ausdrücklich mit der Prüfung der Insolvenzreife in Bezug auf die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages beauftragt.

Praxishinweis | BGH II ZR 171/10

Es ist festzuhalten, dass ein Geschäftsführer bei fehlendem eigenem ausreichendem Fachwissen in zweifacher Weise sofort handeln muss. Er muss sofort einen unabhängigen fachlich qualifizierten Berater zur Prüfung der Insolvenzreife, verbunden mit dem ausdrücklichen Bezug zur Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags, engagieren. Dabei muss der Berater nicht zwingend ein Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt sein, es genügt ein geeigneter Berufsträger. Zusätzlich muss er auf die zeitnahe Vorlage des Prüfungsergebnisses hinwirken.