OLG Koblenz 12 U 1331/22
Zur ausgleichspflichtigen Übertragung bei vorweggenommener Erbfolge

24.10.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Koblenz
22.12.2022
12 U 1331/22
ZErb 2023, 265

Leitsatz | OLG Koblenz 12 U 1331/22

  1. Wird erheblicher Grundbesitz „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ auf einen (von mehreren) Abkömmlingen übertragen, ohne dass sich in dem Grundstücksübergabevertrag oder in sonstigen Unterlagen Hinweise darauf finden, dass die (spätere) Erblasserin den Übertragungsempfänger durch die vorzeitige Grundstücksübertragung in irgendeiner Weise bevorzugen oder dessen Geschwister benachteiligen wolle, ist von einer im Erbfall ausgleichungspflichtigen Übertragung auszugehen.
  2. Wurde der Grundbesitz mit auf ihm lastenden Grundschulden übertragen, kann der ausgleichungspflichtige Erbe diese Wertminderung im Rahmen der durchzuführenden Ausgleichung zu seinen Gunsten in Ansatz bringen.

 

Sachverhalt | OLG Koblenz 12 U 1331/22

Die Erblasserin hatte im Jahr 1987 Grundstücke auf ihren Sohn (im Folgenden: Kläger) übertragen. Die Parteien streiten nun darüber, ob es sich bei der Übertragung um eine ausgleichspflichtige Zuwendung im Sinne des § 2050 Abs. 3 BGB handelt. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass eine solche nicht vorliegt. Das LG Koblenz wies die negative Feststellungsklage mit Urteil vom 28.07.2022 ab.

Entscheidung | OLG Koblenz 12 U 1331/22

Das OLG Koblenz hat im Berufungsverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO einen Hinweis erteilt, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das angefochtene Urteil mangels Erfolgsaussichten und fehlender grundsätzlicher Bedeutung zurückzuweisen. Der Kläger hat nach Erteilung des Hinweises seine Berufung zurückgenommen und das landgerichtliche Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.

Das OLG Koblenz schließt sich der Überzeugung des LG an, dass es sich bei der Übertragung der Grundstücke von der Erblasserin auf den Kläger im Jahr 1987 um eine ausgleichspflichtige Zuwendung handelt. Zuwendungen im Sinne des § 2050 Abs. 3 BGB sind grundsätzlich solche, die weder Ausstattung nach § 2050 Abs. 1 BGB noch Zuschüsse gemäß § 2050 Abs. 2 BGB sind. Nach § 2050 Abs. 3 BGB sind „andere Zuwendungen unter Lebenden“ zur Ausgleichung zu bringen, wenn der Erblasser bei der Zuwendung die Ausgleichung angeordnet hat. Die entsprechende Anordnung kann ausdrücklich oder stillschweigend geschehen. Sie muss allerdings so getroffen werden, dass der Empfänger sie erkennen und die Zuwendung ablehnen kann. Erfolgt in einem Übergabevertrag ohne weitere Bestimmung eine Zuwendung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge, ist durch Auslegung zu klären, was der Erblasser anordnen wollte. Dabei ist ausschlaggebend, ob eine teilweise Enterbung der nicht am Übertragungsvertrag Beteiligten festgelegt werden soll oder der Empfänger der Übertragung nur zeitlich vorgezogen bedacht sein soll und es im Übrigen bei den rechtlichen Wirkungen einer Zuwendung im Erbfall bleibt (Ausgleichung). Die Darlegungs- und Beweislast trifft denjenigen, der aus der Ausgleichung Rechte herleiten will.

Der notarielle Grundstücksübertragungsvertrag vom 16.03.1987 enthält keine ausdrückliche Anordnung der Erblasserin, die streitgegenständliche Zuwendung in Gestalt der Grundstücksübertragung zur Ausgleichung zu bringen. Im Grundstücksübergabevertrag ist allerdings geregelt, dass die Erblasserin dem Kläger den Grundbesitz im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen hat. Es ist nicht erkennbar, welchen Sinn die gewählte Formulierung („im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“) haben sollte, wenn die Grundstücksübertragung dann beim späteren Eintritt der tatsächlichen Erbfolge in keiner Weise anzurechnen wäre. In diesem Fall würde die eigentliche Erbfolge gerade nicht mehr eintreten. Die Auslegung des Grundstücksübertragungsvertrags ergibt, dass die Erblasserin im Wege der vorweggenommenen Erbfolge weder den Kläger bevorzugen, noch seine Schwester benachteiligen wollte. Somit ist der Kläger ausgleichspflichtig.

Praxishinweis | OLG Koblenz 12 U 1331/22

Die Entscheidung des OLG Koblenz stellt einen weiteren Mosaikstein für die Differenzierung dar, ob es sich bei einer Zuwendung des Erblassers an einen Abkömmling, der gesetzlicher Erbe wäre, um eine Ausstattung nach § 2050 Abs. 1 BGB oder eine „andere Zuwendung“ nach § 2050 Abs. 3 BGB handelt. Diese ist bei Anordnung des Erblassers zur Ausgleichung zu bringen (Reinert, jurisPR-FamR 20/2023 Anm.2).