OLG Rostock 1 U 115/14
Zur Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers wegen Verletzung der Treuepflicht und Missachtung der Verbandssouveränität

22.09.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Rostock
22.03.2021
1 U 115/14
GmbHR 2023, 793

Leitsatz | OLG Rostock 1 U 115/14

Der mit Sperrminorität ausgestattete Minderheitsgesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH missachtet die Verbandssouveränität der Gesellschaft und verletzt die ihm als Gesellschafter obliegende Treuepflicht, wenn er in seiner Geschäftsführung die Gesellschafterversammlung grundsätzlich mit der Begründung übergeht, die Gesellschafterversammlung könne ihm stimmrechtsbedingt ohnehin keine gegenteiligen Weisungen erteilen.

Sachverhalt | OLG Rostock 1 U 115/14

Der Kläger wendet sich in erster Linie gegen seine sofortige Abberufung als Geschäftsführer, die fristlose Kündigung seines Anstellungsvertrages und die Einziehung seiner Geschäftsanteile, die die Beklagte in einer ersten Gesellschafterversammlung am 3. Juni 2013 (14.00 Uhr) beschlossen hat. Darüber hinaus wendet sich der Kläger gegen Beschlüsse, die die Beklagte unmittelbar im Anschluss an die Einziehung seiner Geschäftsanteile in einer zweiten Gesellschafterversammlung (3. Juni 2013, 15.30 Uhr) gefasst hat, des Weiteren gegen Maßnahmen, die die Beklagte - nach Streichung des Klägers aus der am 29. August 2013 zum Handelsregister eingereichten Gesellschafterliste - in ihren am 6. September 2013, 24. September 2018 und 12. November 2019 abgehaltenen Gesellschafterversammlungen beschlossen hat.

Der Kläger war am 3. Juni 2013 Gesellschafter der Beklagten, der von ihr beherrschten Agroservice L. GmbH (im Folgenden: Agroservice) und der Landwirtschaftsgesellschaft B. mbH (im Folgenden: LWG B.), die ihrerseits von der Beklagten und der Agroservice beherrscht wurde.  Der Kläger war bis zu seiner Abberufung am 3. Juni 2013 Geschäftsführer der Beklagten und bis zum Widerruf seiner Bestellung am 20. Mai 2013 Geschäftsführer der LWG B. Die Ausübung dieser Sperrminorität durch den Kläger begegnete Anfang 2013 dem zunehmenden Widerstand der Mehrheitsgesellschafter der Beklagten, führte am 3. Juni 2013 zur gänzlichen Trennung vom Kläger (Abberufung/Kündigung/Einziehung) und bildet den Kern des vorliegenden Rechtsstreits. Die Beklagte begründet die vom Kläger angefochtenen „Trennungs“-Beschlüsse vom 3. Juni 2013 im Wesentlichen mit vorangegangenen - in den nachfolgenden Gründen im Einzelnen dargestellten - Maßnahmen, die der Kläger gegen den Willen der Gesellschaftermehrheit und ohne einen deshalb erforderlichen Beschluss der Gesellschafterversammlung getroffen habe, und im Übrigen mit einer vom Kläger im Mai 2011 zu ihrem Nachteil für sich genutzten Geschäftschance - dem lukrativen Erwerb weiterer Anteile an der LWG B. Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung beantragt der Kläger unter anderem die Aufrechterhaltung und Erweiterung seines Klagebegehrens, die Beschlüsse vom 3. Juni 2013 (erste Gesellschafterversammlung) über seine Abberufung als Geschäftsführer (Klageantragantrag 1), die Kündigung seines Geschäftsführeranstellungsvertrages (Klageantrag 2), die Einziehung seiner Geschäftsanteile (Klageantrag3).

Entscheidung | OLG Rostock 1 U 115/14

Hinsichtlich der Anträge 1 bis 3 hatte die Berufung des Klägers keinen Erfolg:

Klageantrag 1 und 2

Das OLG Rostock sah die Abberufung als Geschäftsführer und die Kündigung des Anstellungsverhältnisses als rechtmäßig an. Insbesondere sah es den hierfür erforderlichen Grund als gegeben an. Denn der Kläger habe seine Pflichten als Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter unter Ausnutzung seiner Sperrminorität grob verletzt. Er habe sich wiederholt über die Gesellschafterversammlung hinweggesetzt und damit den Mehrheitswillen der Beklagten missachtet. Die Beklagte hatte ihrem Geschäftsführer nicht gestattet, eine außerordentliche Gesellschafterversammlung der von ihr beherrschten Agroservice L. GmbH für den 22. Mai 2013 mit dem Ziel einzuberufen, dort einen weiteren Geschäftsführer zu bestellen und eine neue Satzung beschließen zu lassen. Der Kläger war ohne vorherige Beschlussfassung der Beklagten auch die mit Schreiben vom 14. Mai 2013 unternommene Versuch verwehrt, im Namen der Beklagten eine außerordentliche Gesellschafterversammlung der Agroservice mit dem Ziel einzuberufen, deren Geschäftsführerin U. Th. anzuweisen, in einer Gesellschafterversammlung der Landwirtschaftsgesellschaft mbH B. (im Folgenden: LWG B.) mit den Stimmen der Agroservice gegen die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer und gegen ihre eigene Bestellung zur Geschäftsführerin zu stimmen. Dabei musste dem Kläger bewusst sein, dass er gegen den Willen der Mehrheit der Gesellschafter der Beklagten zu handelte. Das Fehlverhalten des Klägers stelle zugleich einen Verstoß gegen seine gesellschafterliche Treuepflicht dar und berechtigte (jedenfalls) zur Abberufung und Kündigung.

Im hierarchischen Aufbau der GmbH-Verfassung sei die Gesellschafterversammlung das zentrale Entscheidungsorgan. Dem Geschäftsführer einer GmbH stehe die Geschäftsführungsbefugnis nur zu, soweit die Gesellschafterversammlung von ihrer Geschäftsführungsbefugnis weder durch Regelung im Gesellschaftsvertrag noch durch Übertragung auf den Geschäftsführer Gebrauch gemacht habe. Auch bei deren Fehlen sei der Geschäftsführer verpflichtet, bei besonders wichtigen Geschäften eine Willensbildung der Gesellschafterversammlung herbeizuführen. Er habe den wirklichen oder mutmaßlichen (Mehrheits-) Willen der Gesellschafter zu beachten und eine Angelegenheit zur Beschlussfassung vorzulegen, wenn mit dem Widerspruch einer Mehrheit der Gesellschafter zu rechnen sei. Die vom Kläger als Geschäftsführer der Beklagten initiierten Beschlussgegenstände - Bestellung eines weiteren Geschäftsführers (1); Neufassung der Satzung (2) - und die Einberufung einer Gesellschafterversammlung der Agroservice zu deren Beschlussfassung bedurften schon aus dem Grunde der Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Beklagten, dass die Mehrheit der Gesellschafter zuvor ihren entgegenstehenden Willen ausdrücklich zum Ausdruck gebracht hatte.

Ebenso sah das OLG eine Pflichtwidrigkeit darin begründet, dass versuchte, eine außerordentliche Gesellschafterversammlung der Agroservice einzuberufen, um dort mit den Stimmen der dort herrschenden Beklagten die Geschäftsführerin der Agroservice, U. Th., anzuweisen, gegen seine Abberufung als Geschäftsführer der LWG B. und gegen seine Bestellung zur neuen Geschäftsführerin zu stimmen. Dies ergebe sich aus dem Rechtsgedanken des § 47 Abs. 4 GmbHG, dass niemand Richter in eigener Sache sein dürfe. Daher hätte der Kläger bei dem Versuch, durch mittelbare Einflussnahme der Beklagten auf die Agroservice und letztlich die LWG B. seine eigene Abberufung aus wichtigem Grund zu verhindern, Zurückhaltung üben müssen. Daher habe sich der Kläger bewusst über den Mehrheitswillen der Beklagten hinweggesetzt.

Die mit der Sperrminorität begründete Weigerung Beschlüsse der Gesellschafterversammlung umzusetzen, verletze den Grundsatz der Verbandssouveränität. Dies begründe einen Verstoß gegen die mitgliedschaftliche Treuepflicht. Aus dem der GmbH immanenten Grundsatz der Verbandssouveränität folge, dass die Gesellschafterversammlung ihre Zuständigkeit als oberstes Organ nicht aufgeben dürfe; andernfalls würde sie sich entmündigen. Nach § 46 Nr. 6 GmbHG sei es Aufgabe der Gesellschafterversammlung, die Geschäftsführer zu überwachen. Diese Aufgabe könne zwar einem anderen Organ übertragen werden. Eine Übertragung auf die zu überwachenden Geschäftsführer scheidet jedoch von Anfang an aus. Gleiches gilt für das Weisungsrecht. Dessen Ausübung stehe grundsätzlich den Gesellschaftern zu. Der Geschäftsführer könne nicht vollständig von Weisungen der Gesellschafterversammlung freigestellt werden. Derartige Klauseln verstießen gegen den Grundsatz der Verbandsouveränität.

Aufgrund der Sperrminorität des Klägers seien ohne seine Zustimmung eine Weisung an den Kläger rechnerisch nicht möglich gewesen. Kern des Treuepflichtgedankens im Kapitalgesellschaftsrecht sei ein Ausgleich zwischen Einflussnahme auf die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter und der damit korrespondierenden gesellschaftsrechtlichen Pflicht, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen. Dieser Gedanke gelte auch für den Minderheitsgesellschafter sofern dieser eine Beteiligung erreiche mit der er die Durchsetzung bestimmter Rechte erzwingen oder das Zustandekommen wirksamer Beschlüsse verhindern könne. Vor einer Maßnahme hätte der Kläger daher in einer Gesellschafterversammlung eine gemeinsame Willensbildung aller Gesellschafter ermöglichen und sich nicht über sachlich begründete Bedenken der Mitgesellschafter hinwegzusetzen dürfen. Dies gebiete seine Treuepflicht.

 

Klageantrag 3

Auch die Einziehung der Geschäftsanteile bestätigte das OLG Rostock. Die Satzung der Beklagten knüpfe die zwangsweise Einziehung nach § 34 Abs. 2 GmbHG an das Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person des Gesellschafters, der seine Ausschließung aus der Gesellschaft rechtfertigt. Ein wichtiger Grund kann insbesondere bei einer nachhaltigen und groben Verletzung der Gesellschafterpflichten oder bei einem tiefgreifenden Zerwürfnis der Gesellschafter, das eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lässt, gegeben sein. Weiter muss das Zerwürfnis zumindest überwiegend von dem betroffenen Gesellschafter verursacht worden sein und es dürften in der Person des oder der die Ausschließung betreibenden Gesellschafter keine Umstände vorliegen, die deren Ausschließung oder die Auflösung der Gesellschaft rechtfertigten. Die Einziehung eines Geschäftsanteils erfordert ebenso wie die Ausschließung eines Gesellschafters eine umfassende Prüfung aller Umstände des Einzelfalls und eine Gesamtabwägung der betroffenen Interessen sowie des Verhaltens der übrigen Gesellschafter.

Das Zerwürfnis zwischen dem Kläger und den übrigen Gesellschaftern war am 3. Juni 2013 aus allein vom Kläger zu vertretenden Gründen bereits unheilbar. Der Kläger habe sein Stimmrecht und die sich daraus ergebenden Handlungsmöglichkeiten über die allgemeine Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung gestellt und den gesellschaftsimmanenten Grundsatz der Souveränität des Vereins missachtet. Weisungen der Gesellschafterversammlung, die seinen Vorstellungen widersprachen, wollte er sich grundsätzlich nicht unterwerfen. Folgerichtig sah er sein Handeln als Geschäftsführer einer Kontrolle durch die Gesellschafter entzogen. Im Bewusstsein seiner Sperrminorität habe er wiederholt über den geäußerten Willen der Gesellschaftermehrheit hinweggesetzt. Somit seien die Pflichtverletzungen als Geschäftsführer und Gesellschafter als schwerwiegend und nachhaltig zu bewerten.

Hinzu komme, dass der Kläger als ihr Geschäftsführer Geschäftsanteile an der LWG B. nicht für sie, sondern für sich selbst erworben hat. Mit der Ausnutzung einer Geschäftschance zum eigenen Vorteil habe der Kläger nicht nur gegen seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, sondern auch gegen seine gesellschaftliche Treuepflicht als geschäftsführender Gesellschafter verstoßen. Das folge aus der sog. Geschäftschancenlehre: Bei der Übertragung der Geschäftsführungsbefugnis dürften die (übrigen) Gesellschafter darauf vertrauen, dass der Geschäftsführer oder geschäftsführende Gesellschafter seine Tätigkeit getreu seiner Zusage dem Gesellschaftszweck widmen und sich uneigennützig für den gemeinsamen Zweck einsetzen wird. Hieraus folge, dass es ihm ohne ausdrückliche Ermächtigung nicht gestattet sei, im Geschäftszweig der Gesellschaft Geschäfte für eigene Rechnung zu tätigen oder tätigen zu lassen oder die Durchführung bereits von der Gesellschaft abgeschlossener Verträge durch die Ausführung für eigene Rechnung oder in sonstiger Weise zu beeinträchtigen oder zu vereiteln. Der Geschäftsführer darf Geschäftschancen nicht für sich, sondern nur für die Gesellschaft ausnutzen und habe ihr, wenn er hiergegen verstößt, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Missbrauche der Geschäftsführer seine Stellung, um hinter dem Rücken der Gesellschaft Geschäfte auf eigene Rechnung und zum eigenen Vorteil zu tätigen, liege regelmäßig ein schwerer Vertrauensbruch vor; inwieweit das Geschäft selbst die Interessen der Gesellschaft beeinträchtigt, spiele keine wesentliche Rolle.

Nicht zu klären war hingegen die Frage, ob sich etwas anderes dadurch ergebe, dass die Geschäfte bereits mehr als 2 Jahre zurücklagen. Wann eine tatsächliche Kenntnisnahme der Beteiligten Gesellschafter in diesem Zusammenhang stattfand, war nicht durch das Berufungsgericht zu ermitteln, weil dieses insofern die Wirkung des § 314 ZPO zu beachten hatte.

Praxishinweis | OLG Rostock 1 U 115/14

Das rechtskräftige, nur hinsichtlich des Streitwerts angefochtene Urteil (vgl. BGH, Beschluss vom 08.11.2022, II ZR 74/21), nimmt umfassend Stellung zu den Anforderungen an die Treupflicht des GmbH-Geschäftsführers. So kann insbesondere eine eigenmächtige Einberufung und wiederholte Nichtbeachtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung eine Abberufung rechtfertigen. Insgesamt eine sehr ausführlich begründete Entscheidung, die die Pflichten des GmbH-Geschäftsführers sinnvoll begrenzt und die Wichtigkeit der Gesellschafterversammlung als zentrales Entscheidungsorgan betont.