OLG Karlsruhe 6a U 1/21
Zu einer Mehrheitsklausel des Gesellschaftsvertrags einer KG

05.08.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Karlsruhe
27.04.2022
6a U 1/21
GmbHR 2022, 811

Leitsatz | OLG Karlsruhe 6a U 1/21

  1. Eine Klausel des Gesellschaftsvertrags einer Kommanditgesellschaft, wonach "alle Beschlüsse mit Mehrheit der Stimmen aller Gesellschafter" gefasst werden, kann dahin auszulegen sein und somit die formelle Legitimation dafür geben, dass sämtliche einer Beschlussfassung der Gesellschafter zugänglichen Gegenstände dem Mehrheitsprinzip unterworfen sind.
  2. Die Auflösung der Kommanditgesellschaft greift nicht in (relativ) unentziehbare Rechte der Kommanditisten ein; die materielle Legitimation eines darauf gerichteten Mehrheitsbeschlusses hängt daher nicht von einer Prüfung rechtfertigender Gründe, sondern lediglich davon ab, ob besondere Umstände dessen materielle Berechtigung (namentlich aufgrund Treuwidrigkeit) widerlegen.
  3. Dasselbe gilt grundsätzlich für einen Beschluss der Mehrheit der Gesellschafter, wonach die Liquidation der unbaren Vermögenswerte der Kommanditgesellschaft im Wege der Versteigerung unter den Gesellschaftern erfolgen soll.
  4. Die Bestellung eines Gesellschafters der Kommanditgesellschaft zum ausschließlichen Liquidator greift zumindest dann in die relativ unentziehbaren Rechte der Kommanditisten ein, wenn nicht bereits der Gesellschaftsvertrag diesem Gesellschafter die Geschäftsführung und Vertretung in der Liquidation zugewiesen hat (wie es im Fall einer Bestellung der Komplementärin einer "personenidentischen" GmbH & Co. KG zur Liquidatorin sein mag); die materielle Legitimation eines solchen Eingriffs durch Mehrheitsbeschluss setzt daher - vorbehaltlich einer Zustimmung der Kommanditisten - voraus, dass die Bestellung des Liquidators zumindest aus Sicht der Gesellschaft geboten, also nicht nur in deren Interesse, sondern für diese unerlässlich bzw. notwendig ist.

Sachverhalt | OLG Karlsruhe 6a U 1/21

Die Kläger wenden sich mit der Klage gegen drei mit den Stimmen des Beklagten zu 2 im Jahr 2019 gefasste Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zur Auflösung und Liquidation der XY GmbH und Co. KG (nachfolgend Gesellschaft), deren alleinige Gesellschafter die Parteien sind. Der Beklagte zu 2 verlangt widerklagend je nach Erfolg bzw. Misserfolg der Klage in bestimmten Punkten, die Gesellschaft für aufgelöst zu erklären und/oder die Kläger zur Anmeldung der Auflösung und gegebenenfalls zudem der Beklagten zu 1 als Liquidatorin zu verurteilen.

Der Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft in der von allen Gesellschaftern unterzeichneten Fassung enthält die nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Klausel:

Soweit dieser Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes bestimmt, werden alle Beschlüsse mit Mehrheit der Stimmen aller Gesellschafter gefaßt. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen. Je DM100,- des Festkapitals gewähren eine Stimme.

Das LG hat die die Klage als unbegründet abgewiesen und die Kläger gemäß den Widerklageanträgen zu 2. und zu 3. verurteilt.

Entscheidung | OLG Karlsruhe 6a U 1/21

Das OLG Karlsruhe stellte fest, dass die Klage nur hinsichtlich des Beschlusses betreffend die Bestellung der Liquidatorin entgegen der Beurteilung des Landgerichts begründet sei. Im Übrigen sei sie unbegründet. Bei keinem der Beschlussgegenstände sei eine Mehrheitsentscheidung generell durch zwingendes Recht ausgeschlossen.

Für die von den Gesellschaftern zu fassenden Beschlüsse bedürfe es zwar nach § 119 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB grundsätzlich der Zustimmung aller zur Mitwirkung bei der Beschlussfassung berufenen Gesellschafter. Der Gesellschaftsvertrag könne aber davon abweichen. Den Gesellschaftern stehe es im Rahmen der Privatautonomie frei, sich dahin zu einigen, ob und in welchem Umfang das starre, praktischen Erfordernissen oftmals nicht gerecht werdende Einstimmigkeitsprinzip durch das Mehrheitsprinzip ersetzt werde.

Insbesondere könne der Beschluss über die Auflösung und der Beschluss über die Feststellung der Liquidationseröffnungsbilanz einer Mehrheitsentscheidung zugänglich gemacht werden. Nach Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 17.09.2013 - II ZR 68/11, NZG 2014, 302) könne das Einstimmigkeitserfordernis beispielsweise hinsichtlich der Bestellung eines Liquidators vertraglich zu Gunsten des Mehrheitsprinzips abbedungen werden.

Das OLG führt aus, dass die Wirksamkeit von Mehrheitsbeschlüssen, die sich auf eine vereinbarte Abweichung vom Einstimmigkeitsprinzip stützten, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in zwei Stufen zu prüfen seien:

1. Stufe: „formelle Legitimation“; „Eingangsvoraussetzung für die Gültigkeit der Mehrheitsentscheidung“ im Gesellschaftsvertrag, ist nach Gesellschaftsvertrag der betreffende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen;

2. Stufe: „materielle Legitimation“, in der inhaltlichen Wirksamkeitsprüfung, ist der Beschluss eine treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit, oder gibt es sonstige zur materiellen Unwirksamkeit gegenüber allen oder einzelnen Gesellschaftern führende Gründe.

Die auf der ersten Stufe zu prüfende formelle Legitimation habe das Landgericht im Ergebnis zutreffend für sämtliche angefochtenen Beschlüsse bejaht.

Die formelle Legitimation einer auf eine Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft gestützten Mehrheitsentscheidung sei bereits dann gegeben, wenn die Auslegung des Gesellschaftsvertrags nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ergebe, dass dieser Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll. Das gelte auch bei einem ein außergewöhnliches oder ein „Grundlagengeschäft“ betreffenden Beschluss. Die (formelle) Reichweite allgemeiner Mehrheitsklauseln sei weder durch den sogenannten Bestimmtheitsgrundsatz noch aus anderen Gründen auf gewöhnliche Geschäfte beschränkt.

Die Auslegung des Gesellschaftsvertrags nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen habe nach §§ 133, 157 BGB vom Wortlaut und dem erkennbaren Sinn und Zweck auszugehen. Der objektive Sinn der jeweiligen Vertragsbestimmung sei bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Vertragsinhalts zu ermitteln. Bei Personenhandelsgesellschaft sei nach der gebotenen subjektiven Auslegung des Gesellschaftsvertrags nicht nur auf den Wortlaut des (schriftlichen) Gesellschaftsvertrags abzustellen, sondern auch außerhalb des Vertragstexts liegende heranzuziehen.

Dies habe das LG im Hinblick auf Auflösung und Liquidation der Gesellschaft ordnungsgemäß getan. Gerade auch die Auflösung einer Gesellschaft dürfe trotzdem erfolgen, auch wenn diese nicht ausdrücklich als möglichen Beschlussgegenstand genannt sei. Dies gelte ebenfalls für die Frage, ob eine Mehrheitsklausel die formelle Legitimation zu einem Beschluss umfasst, mit dem einzelnen Gesellschaftern allein die Liquidation übertragen wird.

Anders sehe dies aus bei der Frage, inwieweit die Bedeutung der Liquidatorenstellung und ihrer Abbedingung (also ihres schon anfänglichen Entzugs) die materielle Legitimation beeinflusse. Lediglich auf dieser Ebene habe der BGH etwa bei einer Entziehung der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis danach gefragt, ob eine (antizipierte) Zustimmung, welche die materielle Rechtmäßigkeit begründen kann, ausdrücklich oder hinreichend bestimmt sei (BGH, Urt. v. 13. 10.2020 - II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 mwN). Für die formelle Legitimation komme es nicht darauf an, ob die Geschäftsführungsbefugnis oder insgesamt die Stellung als Liquidator relativ unentziehbare Rechte seien.

Selbst eine Auseinandersetzung ohne Liquidation, also ohne die in § 149 S. 1 HGB vorgesehene Versilberung des Gesellschaftsvermögens, könne durch die Gesellschafter beschlossen werden. Der Gesellschaftsvertrag könne dazu die Mehrheit legitimieren, ohne dass es dafür auf die Wahrung des (aufgegebenen) Bestimmtheitsgrundsatzes ankomme.

Auch die Maßstäbe zur Prüfung der materiellen Legitimation habe das LG zutreffend in Einklang mit der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Die Beschlüsse betreffend die Auflösung und betreffend die Ausgestaltung der Liquidation seien materiell legitimiert. Nicht legitimiert sei aber der Beschluss über die Bestellung der Liquidatorin. Hier habe die Berufung Erfolg.

Bei der inhaltlichen Wirksamkeitsprüfung auf der zweiten Stufe sei zu berücksichtigen, ob trotz Zulassung der betreffenden Mehrheitsentscheidung im Gesellschaftsvertrag ein unzulässiger Eingriff in schlechthin unverzichtbare oder in „relativ unentziehbare“, d.h. in nur mit (gegebenenfalls antizipierter) Zustimmung des einzelnen Gesellschafters oder aus wichtigem Grund entziehbare Mitgliedschaftsrechte vorliege (vgl. BGH, Urt. v. 15.01.2007 - II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 - OTTO). Die Entziehung eines relativ unentziehbaren Rechts bedürfe einer besonderen Rechtfertigung (BGH, Urt. v. 13.10.2020 - II ZR 359/18, NZG 2020, 1384). Bei der Prüfung der materiellen Rechtswidrigkeit komme es abgesehen von unverzichtbaren und schon deshalb unentziehbaren Rechten - unabhängig davon, ob und in welchem Umfang man solche überhaupt anerkennen wolle - bei solchen Eingriffen in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters, d.h. in seine rechtliche und vermögensmäßige Position in der Gesellschaft, letztlich maßgeblich immer darauf an, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar sei, oder ob er dem Eingriff (ggf. antizipiert) zugestimmt habe (vgl. BGH, Urt. v. 21.10.2014 - II ZR 84/13, BGHZ 203, 77; BGH, Urt. v. 13.10.2020 - II ZR 359/18, NZG 2020, 1384). Fehle eine - sonst schon für sich genommen zur Rechtfertigung geeignete - (antizipierte) Zustimmung, seien Gebotenheit und Zumutbarkeit im vorstehenden Sinn zur materiellen Rechtfertigung erforderlich, aber auch ausreichend.

Eine antizipierte Zustimmung des Gesellschafters könne in einer im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Regelung nur erkannt werden, wenn diese hinreichend das Ausmaß und den Umfang einer möglichen zusätzlichen Belastung für den Gesellschafter deutlich werden lässt. An einer solchen ausdrücklichen oder hinreichend bestimmten Erklärung fehle es in einem Gesellschaftsvertrag, der nur allgemein sämtliche Beschlüsse unter das allgemeine Mehrheitserfordernis stelle (BGH, Urt. v. 13.10.2020 - II ZR 359/18, NZG 2020, 1384).

Fehle es an einer (antizipierten) Zustimmung des Gesellschafters, müsse die Entziehung eines relativ unentziehbaren Rechts aus der Sicht der Gesellschaft geboten sein. Nur im Interesse der Gesellschaft liegend, erfülle diese Voraussetzung nicht, weil dies nicht bedeute, dass sie für die Gesellschaft unerlässlich bzw. notwendig und damit geboten sei.

Das OLG Karlsruhe unterstreicht, dass es unabhängig davon darauf ankomme, ob die Gesellschaftermehrheit die inhaltlichen Grenzen der ihr erteilten Ermächtigung eingehalten und sich nicht etwa treupflichtwidrig über beachtenswerte Belange der Minderheit hinweggesetzt habe.

Bei Maßnahmen, die in absolut oder relativ unentziehbare Rechte der Minderheit eingriffen, sei - bei der Prüfung auf der zweiten Stufe - regelmäßig (lediglich) eine treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht anzunehmen, während in den sonstigen Fällen die Minderheit den Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung zu führen habe.
Nach diesen Grundsätzen ergebe sich:

Der Beschluss zur Auflösung der Gesellschaft sei materiell legitimiert, da die die Auflösung der Gesellschaft nicht in unentziehbare Rechte der Kläger als Gesellschafter (Kommanditisten) eingreife.

Der Beschluss zur Bestellung der Liquidatorin sei nicht materiell legitimiert. Er sei nur dann gerechtfertigt, wenn er nur eine schon nach dem Gesellschaftsvertrag angeordnete Rollenverteilung in der Liquidation (deklaratorisch) bestätigen würde. Die nach Auflösung der Kommanditgesellschaft gesetzlich berufenen Liquidatoren seien aber nach §§ 146 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB sämtliche Gesellschafter, also auch die Kommanditisten, sofern nicht durch Beschluss der Gesellschafter oder durch den Gesellschaftsvertrag die Liquidation nur einzelnen Gesellschaftern oder einem Dritten übertragen sei. Das gelte nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut grundsätzlich auch, wenn die alleinige Komplementärin eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung sei. Eine im Gesellschaftsvertrag nicht gerade (auch) für die Liquidation getroffene Regelung über die Geschäftsführung und Vertretung habe im Zweifel keine Wirkung für die Phase der Liquidation. Damit liege ein Eingriff in die relativ unentziehbaren Rechte der Kläger vor. Ohne antizipierte Zustimmung der Kläger hänge damit die materielle Rechtfertigung der beschlossenen Bestellung der Beklagten zu 1 zur alleinigen Liquidatorin davon ab, ob sie im Interesse der Gesellschaft geboten und den Kommanditisten, insbesondere den Klägern, zumutbar gewesen sei.

Praxishinweis | OLG Karlsruhe 6a U 1/21

Das sehr ausführlich begründete Urteil führt wieder einmal vor Augen, dass eine ausdifferenzierte Gestaltung des Gesellschaftsvertrages notwendig ist, gerade betreffend eine antizipierte Zustimmung.
Über die Jahre verschieben sich – insbesondere bei Familiengesellschaften – vielleicht die Interessen der Gesellschafter. Eine Überprüfung und Anpassung des Gesellschaftsvertrags ist daher in regelmäßigen Abständen anzuraten.