BFH II R 24/19
Zahlungen des Beschenkten zur Abwendung etwaiger Herausgabeansprüche als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO

29.12.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
06.05.2021
II R 24/19
DStR 2021, 2401

Leitsatz | BFH II R 24/19

  1. Zahlungen des Beschenkten zur Abwendung etwaiger Herausgabeansprüche des Vertragserben bzw. des Nacherben sind als Aufwendung zur Erlangung und Sicherung des Erwerbs gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 iVm § 1 Abs. 2 ErbStG bei der Besteuerung der Schenkung erwerbsmindernd zu berücksichtigen.
  2. Solche Zahlungen stellen rückwirkende Ereignisse i.S.v. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO dar.

 

Sachverhalt | BFH II R 24/19

In einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament, setzten die Eltern des Klägers sich gegenseitig zu befreiten Vorerben und ihre drei Kinder als Nacherben ein. Der Vater verstarb. Das Testament wurde zunächst allerdings dahingehend ausgelegt, dass die Mutter Alleinerbin nach ihrem verstorbenen Ehemann sei. Schlusserben seien der Kläger und seine Brüder nach dem Versterben der Mutter. Die Mutter übertrug Grundbesitz an den Kläger sowie einen weiteren Bruder, wofür das Finanzamt entsprechend Schenkungssteuer festsetze. Nach dem die Mutter verstorben war, stellte das das Nachlassgericht fest, dass das Testament bisher fehlerhaft ausgelegt worden war. Aufgrund eines im zivilgerichtlichen Verfahren zwischen den Geschwistern geschlossenen Vergleichs, leistete der Kläger wegen des an ihn übertragenen Grundstücks und zur Abgeltung sämtlicher wechselseitiger Ansprüche eine Zahlung von 150.000 € an einen seiner Brüder. ER beantragte aufgrund dessen die Änderung der Schenkungssteuerfestsetzung und machte geltend, dass die Vergleichszahlung erwerbsmindernd zu berücksichtigen sei. Nachdem Antrag und Einspruch erfolgslos blieben, erhob er Klage, der das Finanzgericht stattgab. Dagegen hat das Finanzamt Revision eingelegt und vorgebracht, dass die § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO und § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG verletzt seien.

Entscheidung | BFH II R 24/19

Der BFH wies die Revision des Finanzamts als zulässig, aber unbegründet zurück.

Das Finanzamt müsse den Schenkungssteuerbescheid ändern und die Zahlung in Höhe von 150.000 Euro steuermindern berücksichtigen. Steuermindernd zu berücksichtigen seien nach § 10 Abs. 5 ErbStG die dort aufgeführten Schulden und Lasten vom steuerpflichtigen Erwerb. Nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG gehörten hierzu auch jene Kosten, die dem Erwerber unmittelbar durch die Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses oder durch den Erwerb entstehen. Nachlassregelungskosten sind dabei weit auszulegen. Hierunter sind neben unmittelbaren Kosten auch jene Kosten umfasst, die aufgewendet werden müssen, um die Erben in den Besitz der ihnen aus dem Erbfall zustehenden Gegenstände zu bringen. Dies könne damit begründet werden, dass die Abfindung dem Zahlenden unmittelbar dazu verhelfe, die Erbenstellung endgültig und damit zugleich den Erwerb als Erbe zu erlangen.

Sowohl der Nacherbe als auch der Vertragserbe, diesem gleichgestellt der durch ein Ehegattentestament begünstigte Erbe, können Ansprüche gegen den Beschenkten aus einer beeinträchtigenden Schenkung haben. Diese Ansprüche aus § 2113 i. V. m. § 816 Abs. 1 BGB entstünden erst mit Eintritt des Nacherbfalls, weil sich erst dann ergebe, ob der Nachlass beeinträchtigt sei. Sei dies der Fall und würden Zahlungen zur Abwendung derartiger Herausgabeansprüche getätigt, könnten diese Erwerbserlangungskosten sein.

Nichts anderes könne gelten, wenn der Erblasser in der Absicht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht habe. Denn auch in einem solchem Falle stünden dem Vertragserben Herausgabeansprüche gegen den Beschenkten gemäß § 2287 Abs. 1 BGB zu, die auch entsprechend wechselbezügliche letztwillige Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments anwendbar seien und mit Anfall der der Erbschaft beim Vertragserben entstünden, vgl. § 1942 Abs. 1 BGB.

Eine wesentliche Vergleichbarkeit und damit eine Abzugsfähigkeit nach § 10 Abs. 5 nr. 3 ErbStG sei hier zu bejahen, weil in beiden Fällen die Zahlungen dem Beschenkten das Geschenkte sichern. Das gelte auch dann, wenn Zahlungen aufgrund eines Vergleichs erbracht werden, sofern die Ansprüche ernstlich geltend gemacht wurden. Unter diesen Umständen wird durch den Vergleich eine neue Rechtsgrundlage geschaffen, so dass nicht mehr zu prüfen sei, ob und in welchem Umfang die Ansprüche ursprünglich tatsächlich bestanden hätten.

Auch die Voraussetzungen für ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO seien gegeben. Für den Beschenkten, der die Zahlung als Nachlassverbindlichkeit abziehen kann, wirke die Geltendmachung auf den Zeitpunkt der Schenkung zurück. Mit dem Tod der Mutter des Klägers ist die aufschiebende Bedingung für etwaige Herausgabeansprüche gegen den Kläger eingetreten. Diese führt in Höhe des vergleichsweisen gezahlten Betrags rückwirkend zu einer Minderung des steuerpflichtigen Erwerbs.

Dem stehe auch § 29 Abs. 1 ErbStG, der gesonderte rückwirkend zu berücksichtigende Erlöschens-tatbestände normiere, nicht entgegen, weil dieser eine Berücksichtigung von Aufwendungen § 10 Abs. 5 ErbStG nicht aus.

 

Praxishinweis | BFH II R 24/19

Mit der Entscheidung beleuchtet der BFH das in der Praxis häufig vorkommende Problem, dass nach Eintritt des Erbfalls noch zu Lebzeiten der Erblasser getroffene Verfügungen seitens der Erben angefochten werden. Der BFH legt nun dar, dass Zahlungen aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs auch bezüglich einer Schenkung steuermindernd berücksichtigt werden können (Loose, jurisPR-SteuerR 2/2022 Anm. 1; Spieker, jurisPR-FamR 28/2021 Anm. 4).

Beachtenswert erscheint aber auch, dass der BFH – entgegen der Argumentation des Beklagten Finanzamtes – eine Sperrwirkung des § 29 Abs. 1 ErbStG verneinte (ausführlich hierzu Suabedissen, HFR 2021, 1188).