BGH II ZR 116/21
Wirksamkeit des Gesellschafterausschlusses durch Urteil nicht mehr von Abfindungsleistung abhängig

05.02.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
11.07.2023
II ZR 116/21
DStR 2023, 2183

Leitsatz | BGH II ZR 116/21

  1. Der Gesellschafter einer Zwei-Personen-GmbH kann unter den Voraussetzungen der actio pro socio die Ausschließungsklage gegen den anderen Gesellschafter erheben.
  2. Wird ein Gesellschafter wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes ohne statutarische Regelung durch Urteil aus der GmbH ausgeschlossen, wird die Ausschließung des betroffenen Gesellschafters bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam und ist nicht durch die Leistung der Abfindung bedingt (Aufgabe von BGHZ 9, 157 (174), NJW 1953, 780).

Sachverhalt | BGH II ZR 116/21

Der Kläger und der Beklagte sind Gesellschafter der Nebenintervenientin, einer GmbH und an dieser jeweils hälftig beteiligt. Das Stammkapital von 25.000 € haben die Gesellschafter vollständig eingezahlt. Die Satzung der GmbH enthält keine Regelung zum Ausschluss eines Gesellschafters oder zur Einziehung von Geschäftsanteilen.

Der Kläger hat beantragt, den Beklagten aus der Nebenintervenientin auszuschließen und dessen Geschäftsanteil nach Wahl des Klägers entweder gegen Zahlung einer Abfindung einzuziehen oder den Kläger für befugt zu erklären, die Abtretung des Geschäftsanteils an sich, die Gesellschaft oder einen Dritten herbeizuführen. Hilfsweise hat er beantragt, den Beklagten unter der Bedingung auszuschließen, dass die Gesellschaft innerhalb eines Zeitraums von höchstens sechs Monaten ab Rechtskraft des Urteils an den Beklagten eine im Ermessen des Gerichts liegende Abfindung zu zahlen hat.

Das LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Ausschließungsklage voraussetze, dass die Nebenintervenientin die Abfindung des Beklagten aus ihrem freien, ungebundenen Vermögen zahlen könne. Dies war vorliegend nicht der Fall.

 

Entscheidung | BGH II ZR 116/21

Die Revision ist erfolgreich. Der Kläger ist zunächst prozessführungsbefugt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Ausschließungsklage grundsätzlich von der GmbH zu erheben. Die Frage, ob in einer Zwei-Personen-GmbH auch die einzelnen Gesellschafter eine Ausschließungsklage erheben können, wurde vom BGH bisher offengelassen. Eine Ansicht verneint ein Bedürfnis für eine unmittelbare Klagebefugnis. Da die Gesellschafterversammlung über die Erhebung der Ausschließungsklage zu befinden habe und der betroffene Gesellschafter nicht stimmberechtigt sei, bestehe ein praktisches Bedürfnis nur dann, wenn der auszuschließende Gesellschafter zugleich der einzige Geschäftsführer der GmbH sei. Überwiegend wird hingegen angenommen, dass in einer Zwei-Personen-GmbH jeder Ge-sellschafter persönlich eine Ausschließungsklage gegen den Mitgesellschafter anstrengen kann. Begründet wird die Prozessführungsbefugnis zum Teil mit Praktikabilitätserwägungen oder mit den Grundsätzen bzw. dem Rechtsgedanken der actio pro socio.

Der Senat schließt sich der überwiegenden Meinung an und bejaht die Prozessführungsbefugnis des Gesellschafters in der Zwei-Personen-GmbH unter den Voraussetzungen der actio pro socio. Der Gesellschafter kann einen Mitgesellschafter insbesondere dann in Anspruch nehmen, wenn dieser seine zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht verletzt hat und dadurch das Vermögen der Gesellschaft sowie mittelbar das Vermögen des klagenden Gesellschafters geschädigt hat. Diese Befugnis wurzelt im Gesellschaftsverhältnis und ist Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts des Gesellschafters. Die Übertragung der Grundsätze der actio pro socio auf die Ausschließungsklage ist gerechtfertigt. Denn die actio pro socio soll die Gesellschafter auch vor Beeinträchtigungen durch eine unrechtmäßige Einflussnahme auf die Geschäftsführung bei der Verfolgung von aus der gesellschafterlichen Treuepflicht erwachsenden Ansprüchen schützen. Diese Gefahr besteht auch bei Ausschließungsklagen, da sich der Streit zwischen den Gesellschaftern auf die Geschäftsführung und damit auch auf die Durchsetzung einer gebotenen Ausschließung auswirkt. Vorliegend scheitert die Klage auch nicht an der Subsidiarität der actio pro socio, weil es dem Gesellschafter angesichts laufender Verfahren über die Personen der Geschäftsführung unzumutbar ist, zunächst die GmbH zur Klage zu zwingen.

Nach der früheren Bedingungslösung des BGH war der gerichtliche Gesellschafterausschluss bedingt durch die Abfindungszahlung innerhalb einer bestimmten Frist. Dadurch konnte der ausscheidende Gesellschafter seine Mitgliedsrechte zunächst weiter ausüben und auch die Abfindungszahlung verzögern oder verhindern. An dieser Bedingungslösung hält der BGH für den Gesellschafterausschluss jedoch nicht mehr fest. Wird ein Gesellschafter wegen eines wichtigen Grundes ohne statutarische Regelung  durch Urteil aus der GmbH ausgeschlossen, wird der Ausschluss bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam und ist nicht durch die Leistung der Abfindung bedingt. Denn die, bei der Bedingungslösung, entstehende Schwebelage nach Rechtskraft des Urteils ist den anderen Gesellschaftern unzumutbar. Ein Ausschluss ist ohnehin nur zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der den Verbleib des Gesellschafters unmöglich macht. Bei Vorliegen eines solchen Grundes, besteht jedoch die erhöhte Gefahr, dass der Gesellschafter seine verbliebenen Gesellschafterrechte nutzt, um die Wirkung des Urteils zu vereiteln. Zudem wird der Abfindungsanspruch des Gesellschafters auch ohne die Be-dingungslösung ausreichend gesichert: Zum einen durch das Gebot der Kapitalerhaltung, zum anderen haften die verbliebenen Gesellschafter nach Ausschluss persönlich für die Abfindung des ausgeschlossenen Gesellschafters, wenn die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des Ausgeschiedenen als treuwidrig anzusehen ist.

Allerdings wurden bisher keine ausreichenden Feststellungen getroffen, ob die Nebenintervenientin in der Lage ist, die Abfindung aus ihrem freien Vermögen zu begleichen. Das Berufungsgericht hat insbesondere nicht festgestellt, ob die Ausstattungszusage des Klägers eine in der Bilanz der Nebenintervenientin im Zeitpunkt der Zahlung der Abfindung aktivierbare Forderung begründet. Daher wird das Urteil aufgehoben und der Fall zur erneuten Prüfung zurückverwiesen.    

 

Praxishinweis | BGH II ZR 116/21

Der BGH hat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden, dass bei einem Ausschluss eines GmbH-Gesellschafters aus wichtigem Grund der Ausschluss bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam wird und nicht unter der Bedingung der Zahlung der Abfindung steht.

Weiterhin hat sich der Senat erstmals zur Zulässigkeit der actio pro socio für die Ausschließungsklage in einer Zwei-Personen-GmbH geäußert und die Prozessführungsbefugnis des zweiten Gesellschafters bejaht. Dies sei gerechtfertigt, da die actio pro socio die Gesellschafter auch vor einer Beeinflussung der Geschäftsführung bei der Verfolgung ihrer Ansprüche schützen solle.