BGH II ZR 141/21
Vorstandsbericht für Ermächtigung zur Ausnutzung eines genehmigen Kapitals

12.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
23.05.2023
II ZR 141/21
DStR 2023, 1542

Leitsatz | BGH II ZR 141/21

  1. Die Benennung der Zwecke der Ermächtigung zur Ausnutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts muss nicht im Ermächtigungsbeschluss, sondern kann auch in einem nach § 203 Abs. 2 S. 2, § 186 Abs. 4 S. 2 AktG der Hauptversammlung zugänglich zu machenden Vorstandsbericht durch eine nicht abschließende, beispielhafte Aufzählung von Ausschlussfällen erfolgen.
  2.  Beschließt die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft eine Satzungsänderung, durch die der Vorstand bei der Nutzung eines genehmigten Kapitals ermächtigt wird, über den Ausschluss des Bezugsrechts zu entscheiden, ist der entsprechend § 186 Abs. 4 S. 2 AktG zu erstellende Vorstandsbericht bei der Auslegung des Hauptversammlungsbeschlusses heranzuziehen.

 

Sachverhalt | BGH II ZR 141/21

Die Beklagte ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft. Klägerin und Nebenintervenientin sind Aktionäre der Beklagten. Am 10.05.2017 veröffentlichte die beklagte Aktiengesellschaft im elektronischen Bundesanzeiger die Einladung zur ordentlichen Hauptversammlung am 28.06.2017. Als Tagesordnungspunkt 6 war die Beschlussfassung über die Ermächtigung des Vorstands zur Schaffung eines neuen genehmigten Kapitels durch Änderung von § 5 Abs. 2 der Satzung aufgeführt, der wie folgt neu gefasst werden sollte:

„Der Vorstand ist ermächtigt, das Grundkapital der Gesellschaft mit Zustimmung des Aufsichtsrats bis zum 27.06.2022 einmalig oder mehrmalig um bis zu insgesamt 3.215.975 EUR gegen Bar- und/oder Sacheinlagen durch Ausgabe neuer, auf den Inhaber lautender nennwertloser Stückaktien zu erhöhen (Genehmigtes Kapital 2017). […] Der Vorstand ist jedoch ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen. […]“

Der in der Einberufung bekanntgemachte Vorstandsbericht sah „unter anderem, aber nicht ausschließlich“ Fälle für einen Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre vor.

Die klagende Aktionärin nahm an der Hauptversammlung teil. Sie erklärte Widerspruch gegen den Hauptversammlungsbeschluss. Im Wege der Anfechtungsklage möchte sie den Beschluss insoweit für nichtig erklären lassen, dass der Vorstand zum Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt wurde. Hilfsweise begehrt sie, den Beschluss insgesamt für nichtig zu erklären.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, die hiergegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.

 

Entscheidung | BGH II ZR 141/21

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.

Der von der Hauptversammlung gefasste Beschluss, mit dem der Vorstand zur Schaffung eines genehmigten Kapitals und zum Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre ermächtigt wurde, verstößt nicht gegen Gesetz oder Satzung (§ 243 Abs. 1 AktG).

Der BGH stellt klar, dass die Hauptversammlung die Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre nach § 203 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 186 Abs. 4 AktG im Rahmen eines genehmigten Kapitals uneingeschränkt in das pflichtgemäße Ermessen des Vorstands stellen kann. Es bedarf für die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss keiner abschließenden Aufführung der mit einer Ausschließung des Bezugsrechts verfolgten Zwecke. Ausreichend ist eine nicht abschließende, beispielhafte Aufzählung von Ausschlussfällen, die der Hauptversammlung durch den Vorstandsbericht zugänglich gemacht wurde. Das genehmigte Kapital soll der Aktiengesellschaft und ihren Verwaltungsorganen die Bewegungsfreiheit verschaffen, die es braucht, um auf dem Kapital- und Beteiligungsmarkt rasch, flexibel und erfolgreich agieren zu können. Dafür kann es im Einzelfall erforderlich und gerechtfertigt sein, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen. Hierzu kann der Vorstand nach § 203 Abs. 2 S. 1 AktG ermächtigt werden.

Dass die Hauptversammlung die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss in das pflichtgemäße Ermessen des Vorstands stellen kann, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut und der Historie des § 203 Abs. 2 S. 2 AktG. Der Wortlaut der Vorschrift lässt keine Beschränkung der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss auf bestimmte, vorgegebene Zwecke erkennen. § 203 Abs. 2 AktG dient dem Schutz des Bezugsrechts der Aktionäre. Der Gesetzgeber hatte allerdings auch vor Augen, dass der Vorstand das genehmigte Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts ausnutzen darf, wenn ein Fall eintritt, der im Zeitpunkt der Erteilung der Ermächtigung durch die Hauptversammlung noch nicht absehbar ist. Diesem verfolgten Ziel widerspräche ein Erfordernis, abschließende Vorgaben für die Ausübung der Ermächtigung zu verlangen.

Des Weiteren sind die Aktionäre durch den ihnen gegen die Vorstandsentscheidung zustehenden gerichtlichen Rechtsschutz vor einem rechtswidrigen Ausschluss ihres Bezugsrechts hinreichend geschützt. Die Entscheidung des Vorstands kann im Wege der Unterlassungs- oder Feststellungsklage dahingehend überprüft werden, ob der Vorstand bei Ausnutzung der Ermächtigung des Bezugsrechtsausschluss Entscheidungen getroffen hat, die von den gesetzlichen Vorgaben und/oder dem Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung nicht gedeckt sind. Stehen die tatsächlichen Voraussetzungen der Ermächtigung im Streit, haben die Aktionäre den Eingriff in ihr Bezugsrecht darzulegen und zu beweisen. Die Gesellschaft hingegen trifft die Darlegungs- und Beweispflicht dahingehend, dass die Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts sachlich gerechtfertigt ist und sich innerhalb der Grenzen der ihr erteilten Ermächtigung hält. Bestehende Unklarheiten im Hinblick auf die Ermächtigung dürfen angesichts der grundsätzlichen Kompetenz der Hauptversammlung für den Bezugsrechtsausschluss nicht zum Nachteil der die Ermächtigung erteilenden Aktionäre gehen. Bei Zweifeln über das Vorliegen der Voraussetzungen hat der Vorstand von der Ausübung abzusehen.

Weitergehende Anforderungen an die materielle Rechtfertigung des Ermächtigungsbeschlusses sind weder aufgrund der Aktionärsstruktur noch aufgrund des Umfangs der Ermächtigung zu stellen. Die Anforderungen an den Ermächtigungsbeschluss und den Vorstandsbericht unterscheiden sich nicht danach, wer die Aktien der Gesellschaft hält. Insbesondere findet das Erfordernis einer Verschärfung der Anforderungen bei Vorhandensein eines Großaktionärs im Gesetz keine Stütze und ist auch nicht sachgerecht.

Praxishinweis | BGH II ZR 141/21

Der BGH hat in der vorliegenden Entscheidung die in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene und nicht abschließend geklärte Frage, ob den rechtlichen Anforderungen genügt wird, wenn im Vorstandsbericht Gründe für einen künftigen Einsatz des genehmigten Kapitals unter Bezugsrechtsausschluss nur exemplarisch aufgelistet werden, bejaht. Für die unternehmerische Praxis bedeutet das Urteil zusätzliche Flexibilität. Zumindest in abstrakt-genereller Hinsicht müssen der Ermächtigung respektive dem Vorstandsbericht auch weiterhin Gründe für einen etwaigen Bezugsrechtsausschluss zu entnehmen sein. Nur so kann die Hauptversammlung prüfen, ob die anvisierte Maßnahme aus abstrakter Perspektive im Gesellschaftsinteresse liegt. Es ist mithin auch zukünftig empfehlenswert, eine Aufzählung denkbar relevanter Ausschlussfälle vorzunehmen. Bei der konkreten Ausgestaltung sind dabei die zusätzlichen Anforderungen und Erwartungen der institutionellen Investoren und Stimmrechtsberater im Kontext von Bezugsrechtsausschlüssen zu beachten.

Bei der Auslegung des Ermächtigungsbeschlusses unter Heranziehung des Vorstandsberichts ist zu beachten, dass der Bericht der Hauptversammlungsniederschrift als Anlage beigefügt und zum Handelsregister eingereicht worden war (§ 130 Abs. 3, 4 AktG). Weiterhin muss der Vorstandsbericht auch dann, wenn er nicht bereits in die Einladungsbekanntmachung aufgenommen wird, der notariellen Niederschrift als Anlage beigefügt werden (Herb, GWR 2023, 281; Lieder, NZG 2023, 1068).