OLG Düsseldorf 26 W 5/22
Vorläufige gerichtliche Verpflichtung zur Weiterbelieferung bei vertragswidriger Einstellung der Lieferung

13.09.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Düsseldorf
10.10.2022
26 W 5/22
AG 2023, 212

Leitsatz | OLG Düsseldorf 26 W 5/22

  1. Zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutzes kommt eine Befriedigungsverfügung in vorweggenommener Erfüllung des Hauptsacheanspruchs in Betracht, wenn das Unterbleiben der einstweiligen Verfügung zu einer existenziellen Notlage oder zu irreparablen Schädigungen des Ast. führt und keine vergleichbaren Nachteile zulasten des Ag. einzutreten drohen.
  2. Besteht zwischen der Ast. und der Muttergesellschaft ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, nach dessen § 3 Abs. 1 für die Verlustübernahme § 302 AktG gilt, lässt sich allein aus der finanziellen Situation der Ast. eine Existenzgefährdung nicht herleiten.

 

Sachverhalt | OLG Düsseldorf 26 W 5/22

Die Antragstellerin ist ein deutsches Gashandelsunternehmen und Tochtergesellschaft der V AG, mit der sie einen laufenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag hat. Sie hat mit der Antragsgegnerin, einer Tochter der PAO Gazprom, einen Erdgasliefervertrag zu festgelegten Preisen abgeschlossen. Die Vertragspartnerin stellte am 31.08.2022 die Gaslieferung vollständig ein und beruft sich darauf, von ihrer Lieferverpflichtung befreit zu sein. Es läge höhere Gewalt vor, da die drei zum Transport von Erdgas zur Verfügung stehenden Pipelines nicht mehr von ihr genutzt werden könnten und ihr ein Einkauf von Gas auf dem europäischen Markt nicht möglich sei.

Im Wege der einstweiligen Verfügung begehrt die Antragstellerin die Fortsetzung der Lieferung zu den vereinbarten Mengen und Konditionen. Die Antragsgegnerin könne sich nicht auf ein Entfallen ihrer Leistungspflicht berufen. Das LG hat den Antrag aufgrund unzureichenden Sachvortrags in der Sache zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

 

Entscheidung | OLG Düsseldorf 26 W 5/22

Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Formal kann der Vorsitzende des Gerichts gem. § 944 ZPO allein entscheiden, wenn eine Dringlichkeit in der Form vorliegt, dass das Zusammentreten des Kollegialgerichts zu einer erheblichen Verzögerung führen würde und der einstweilige Rechtschutzes gefährdet wäre. Auch eine abweisende Entscheidung ist in diesem Rahmen möglich. Die Antragstellerin beruft sich vorliegend selbst auf die Dringlichkeit ihres Verfahrens. In jedem Fall könnte der Senat aber bei einem Verfahrensfehler selbst als Beschwerdegericht entscheiden, da sich eine fehlerhafte Besetzung des Erstgerichts nicht auf die Besetzung des Beschwerdegerichts auswirken würde. Sowohl bei einer Beschwerde gegen eine Kammerentscheidung als Kollegialgericht, als auch gegen eine durch ihre Vorsitzenden, würde der Senat in voller Besetzung entscheiden.

An eine Vorwegnahme der Hauptsache sind strenge Anforderungen zu stellen, grundsätzlich ist sie aufgrund des vorläufigen Charakters der einstweiligen Verfügung unzulässig, insoweit fehlt der erforderliche Verfügungsgrund gem. §§ 935, 940 ZPO. Ausnahmsweise kommt jedoch zur Wahrung des effektiven Rechtsschutzes eine Vorwegnahme der Hauptsache in Betracht, wenn der Antragsteller sonst in eine existenzielle Notlage gerät oder irreparabel geschädigt wird, dass ihm eine spätere Entscheidung nicht zumutbar wäre. Dem Antragsgegner dürfen keine entsprechenden Nachteile drohen.

Ein solcher Nachteil wurde jedoch durch die Antragstellerin nicht hinreichend dargelegt. Sie gibt an, dass sich ihre existenzielle Notlage aus dem fehlenden Eigenkapital und ihrer unzureichenden Liquidität zur Tätigung von Deckungskäufen zur Befriedigung ihrer Kunden ergibt. Außerdem erhalte sie keine staatliche Unterstützung und eine solche sei nicht absehbar. Die wirtschaftlichen Mehrkosten beziffert sie hierbei mit 14 Mio. pro Tag. Eine Konkretisierung des Gesagten findet jedoch nicht statt. Auch die eidesstattlichen Versicherungen ihres Prokuristen geben nur Einschätzungen der finanziellen Lage allerdings ohne belastbare Zahlen wieder. Damit sind die Ausführungen zu unkonkret.

Zusätzlich kann ohnehin nicht von einer unmittelbaren Existenzbedrohung ausgegangen werden, da zwischen der Antragstellerin und der V AG ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag besteht. Dieser bestimmt, dass für die Verlustübernahme § 302 AktG gilt. Dementsprechend hat die abhängige Gesellschaft einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung für den Jahresfehlbetrag. Im Fall einer ernsthaften Bedrohung der Zahlungs- oder Kreditwürdigkeit besteht auch ein Anspruch auf eine zwischengeschaltete Abschlagszahlung. Solange das herrschende Unternehmen solvent ist, besteht damit keine Existenzgefährdung der abhängigen Gesellschaft. Für die Antragstellerin gilt dies, da die Muttergesellschaft nach eigener Einschätzung die Verluste im Jahr 2022 decken kann.

Aus den Entscheidungen des LG Weiden v. 22.07.2022 (1 HK O 16/22) und des LG Frankfurt a. M. v. 29.08.2022 (3-03 O 42/22) folgt nichts anderes. In jedem Fall ersetzt die Vorlage anderer Entscheidungen nicht den erforderlichen Sachvortrag. Auf den substanziellen Mangel in ihrem Sachvortrag wurde die Antragstellerin jedoch mehrfach durch das Landgericht hingewiesen.

 

Praxishinweis | OLG Düsseldorf 26 W 5/22

Es ist umstritten, ob die Untergesellschaft bei Bedrohung ihrer Zahlungsfähigkeit aufgrund eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags auch während des laufenden Geschäftsjahres Abschlagszahlungen auf den am Ende des Geschäftsjahres fällig werdenden Verlustausgleich verlangen kann. Hiergegen wird eingewandt, dass der Anspruch erst mit Abschluss der jeweiligen Rechnungsperiode fällig wird und die gesetzliche Regelung nicht ausreicht, um eine allgemeine Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der Liquidität der Untergesellschaft zu begründen. (Grigoleit/Servatius AktG, 2. Aufl. 2020, AktG § 302 Rn. 14). Hingegen begründet die Gegenansicht einen solchen Anspruch mit dem Interesse an einem umfassenden Schutz der Lebensfähigkeit der Untergesellschaft. Dies entspreche dem gesetzlichen Grundgedanken, dass das herrschende Unternehmen mit Vertragsschluss für eine existenzsichernde Ausstattung zu sorgen hat (Emmerich/Habersack AktG, 10. Aufl. 2022, AktG § 302 Rn. 41).