BGH V ZR 180/21
Vertretung verwalterloser Wohnungseigentümergemeinschaft

28.03.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
16.09.2022
V ZR 180/21
NJW 2022, 3577

Leitsatz | BGH V ZR 180/21

  1. Hat die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer keinen Verwalter, wird sie bei einer gegen einzelne Wohnungseigentümer gerichteten Klage durch die übrigen Wohnungseigentümer gemeinschaftlich vertreten. Verbleibt nur ein Wohnungseigentümer, der keinem Vertretungsverbot unterliegt, vertritt er den klagenden Verband allein (Fortführung von Senat NJW 2022, 3003).
  2. In einer verwalterlosen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bedarf die Erhebung einer gegen einen einzelnen Wohnungseigentümer gerichteten Klage auf anteilige Zahlung einer beschlossenen Sonderumlage keiner auf die Klageerhebung bezogenen Beschlussfassung.
  3. Erhebt der Verwalter im Namen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Klage gegen einzelne Wohnungseigentümer, sind Beschränkungen seiner Vertretungsmacht im Innenverhältnis, die die Befugnis zur Klageerhebung betreffen, jedenfalls im Grundsatz nicht zu überprüfen. Einer Vereinbarung, nach der der Berechtigte bei Ausübung seines Nießbrauchs nur die Sorgfalt, die er in eigenen Dingen anzuwenden pflegt, schuldet, kommt keine dingliche Wirkung zu und sie kann daher nicht in das Grundbuch eingetragen werden.

Sachverhalt | BGH V ZR 180/21

Die früheren Kl. zu 1 und 2 sowie die Bekl. bildeten die Kl. zu 3, eine verwalterlose Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Den Klägern zu 1 und 2, die über eine knappe Mehrheit der Stimmen verfügen, gehören gemeinsam zwei Einheiten. Die Bekl. waren bis 28.4.2021 gemeinsame Eigentümer der beiden anderen Einheiten. In der Eigentümerversammlung vom 19.11.2019 wurde mit den Stimmen der Kl. zu 1 und 2 zu TOP 1 die Sanierung des Daches und zu TOP 2 die Erhebung einer Sonderumlage von 100.000 EUR mit Fälligkeit 31.12.2019 beschlossen. Die allein gegen den Beschluss zu TOP 1 gerichtete Anfechtungsklage der Bekl. hatte in der Berufungsinstanz Erfolg. Auf Nichtzulassungsbeschwerde der hiesigen Kl. zu 1 und 2 (dort Bekl.) hin hob der BGH das Urteil auf und verwies die Sache an das LG zurück.

Im vorliegenden Verfahren hat das AG die zunächst noch von den Kl. zu 1 und 2 erhobene Klage auf Zahlung der Sonderumlage an die GdWE abgewiesen. Dagegen haben die Kl. zu 1 und 2 Berufung eingelegt und die Klage im Weg des Parteiwechsels geändert, sodass nunmehr die GdWE Klägerin ist. Danach veräußerten die Bekl. ihre beiden Einheiten; die Umschreibung im Grundbuch sei erfolgt. Das LG hat der geänderten Klage, den Parteiwechsel auf Klägerseite für zulässig haltend, stattgegeben: Die GdWE werde gem. § 9b I 2 WEG durch die früheren Kl. zu 1 und 2 vertreten. Die spätere Veräußerung der Einheit der Bekl. stehe dem nicht entgegen, weil die Bekl. im Zeitpunkt der Erklärung des Parteiwechsels gegenüber dem Gericht noch Wohnungseigentümer gewesen seien. Auf die Frage, ob es für die Erhebung einer solchen Klage eines Beschlusses bedürfe, komme es nur im Innenverhältnis und nicht im Verhältnis zum Gericht an. In der Sache sei der Zahlungsanspruch begründet, denn ein Wohnungseigentümer müsse die Beitragsvorschüsse zahlen, die während der Dauer seiner Mitgliedschaft fällig geworden sind.

Die vom LG für die Bekl. zugelassene Revision ist erfolglos geblieben.

Entscheidung | BGH V ZR 180/21

Die Revision der Bekl. ist zulässig, allerdings ohne Erfolg.

ie GdWE wird vor Gericht zulässig vertreten. Hat die GdWE keinen Verwalter, wird sie bei einer gegen einzelne Wohnungseigentümer gerichteten Klage durch die übrigen Wohnungseigentümer gemeinschaftlich vertreten. Der Zweck des § 9b I WEG besteht darin die Vertretung der Gemeinschaft zu gewährleisten, insoweit waren die Kl. zu 1 und 2 befugt die GdWE zu vertreten und einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Auch die spätere Veräußerung der Einheiten des Bekl. ändert nichts an dem Fortbestand der wirksam erteilten Prozessvollmacht. Weiterhin kommt es für die Zulässigkeit der Klage nicht darauf an, ob ein Beschluss der GdWE über die Erhebung der Zahlungsklage gefasst worden war.

Bei der verwalterlosen Gemeinschaft entspricht die Vertretungsmacht der Wohnungseigentümer grundsätzlich derjenigen des Verwalters nach § 9b I 1 WEG. Erhebt der Verwalter im Namen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Klage gegen einzelne Wohnungseigentümer, sind Beschränkungen seiner Vertretungsmacht im Innenverhältnis, die die Befugnis zur Klageerhebung betreffen, jedenfalls im Grundsatz nicht zu überprüfen. Die Klageerhebung als Prozesshandlung gegenüber dem Gericht ebenso wie die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch die im Außenverhältnis unbeschränkte Vertretungsmacht des Verwalters gedeckt wird. Dies dient der Effizienz des Rechtsverkehres. Der gewünschte Effizienzgewinn träte nicht ein, wenn beklagte Wohnungseigentümer einer Klage der GdWE wie bislang unter Verweis auf die fehlende Ermächtigung im Innenverhältnis entgegentreten könnten; auch die Ausübungsbefugnis der GdWE bezogen auf Klagen gem. § 1004 I BGB wegen einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums wäre entwertet, wenn weiterhin auch die auf die Klageerhebung bezogene interne Willensbildung überprüft werden müsste. Davon zu unterscheiden ist die materielle Begründetheit der Klage, die, sofern sie von Beschlüssen der GdWE abhängt, eine darauf bezogene Prüfung des Gerichts fordert.

Ob – und ggf. unter welchen Voraussetzungen – evident bestehende Beschränkungen im Innenverhältnis der Vertretungsmacht im Prozess entgegenstehen können oder sogar ein Missbrauch der Vertretungsmacht anzunehmen sein kann, bedürfte allerdings noch abschließender Klärung. Hier kommt es darauf aber nicht an, da eine solche Beschlussfassung jedenfalls in Beitragsverfahren entbehrlich ist. Sofern das Ergebnis der Beschlussfassung, anders als in diesem Fall, nicht bereits zweifelsfrei feststeht, insbesondere falls eine zerstrittene verwalterlose GdWE beträchtliche Probleme aufwirft, bedarf es ggf. einer Beschlusserfassung durch Gestaltungsurteil.

Praxishinweis | BGH V ZR 180/21

Wie zunächst für Passivprozesse entschieden, wird eine verwalterlosen GdWE auch in Aktivprozessen durch die übrigen Wohnungseigentümer vertreten. Eine Beschränkung der Vertretungsmacht im Innenverhältnis der Gemeinschaft, kann einer Prozesshandlung nicht entgegengehalten werden. Die übrigen Wohnungseigentümer können, soweit der Beschluss eindeutig feststeht, auch ohne einen offiziellen Beschluss eine Klage erheben, da sie die Gemeinschaft vertreten. Sofern der Beschluss der übrigen Wohnungseigentümer nicht feststeht, bedarf es eines Beschlusses oder eines Gestaltungsurteils als Beschlussersetzung.