BGH II ZR 71/20
Verlustausgleich bei der GmbH; Überlebenshilfe nach Vertragsende

02.11.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
18.01.2022
II ZR 71/20
AG 2022, 579

Leitsatz | BGH II ZR 71/20

Haben die Parteien eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags bei der Aufhebung des Unternehmensvertrags vereinbart, dass der Untergesellschaft zur finanziellen Absicherung für die Zeit nach Vertragsbeendigung eine Zahlung tatsächlich zufließen soll, ist die Forderung bei der Berechnung des fiktiven Jahresfehlbetrags auf den Aufhebungsstichtag nicht zu berücksichtigen.

Sachverhalt | BGH II ZR 71/20

Die Klägerin ist eine Finanzdienstleistungsunternehmen GmbH als Untergesellschaft, die Beklagte ist die Obergesellschaft. Seit 2012 besteht ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, der erstmals zum Jahresende 2018 ordentlich kündbar war. Ab Ende 2015 betreiben die Parteien die Trennung des Unternehmensverbunds, am 31.10.2016 wurde die Trennungsvereinbarung unterzeichnet. Danach sollen der Beherrschungs- und der Gewinnabführungsvertrag aufgehoben werden, Anteilskäufe und -übertragungen werden entsprechend vorgenommen. Die Klägerin bildete daraufhin ein Rumpfgeschäftsjahr vom 01.01.2016 - 11.12.2016 und der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vom 08.12.2016 wurde mit Wirkung zum 11.12.2016 einvernehmlich aufgehoben.

Im Aufhebungsvertrag heißt es:

„3.1 Im Hinblick auf die Aufhebung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags und dem damit verbundenen Wegfall der Verlustausgleichspflicht des Organträgers, verpflichtet sich der Organträger aufschiebend bedingt auf den unter Nr. 1 festgelegten Eintritt der Wirksamkeit der Aufhebung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, als Ersatz für die wegfallende Verlustübernahmeverpflichtung an die A GmbH als Organgesellschaft eine Entschädigung iHv 1.300.000 EUR zu zahlen.“ Diese Zahlung, so der Vertrag, sei im Januar 2017 fällig.

Die Beklagte zahlte im Januar 2017 876.855,43 €. Nach Berechnung der Klägerin ist für das Rumpfgeschäftsjahr 2016 jedoch ein Jahresfehlbetrag iHv 419.032,21 € entstanden, welchen sie als Verlustausgleich neben dem Restbetrag der Entschädigung iHv 423.144,57 € neben Zinsen und Rechtsverfolgungskosten verlangt. Die Beklagte hat jedoch gegen den Entschädigungsanspruch einen Anspruch auf Gewinnabführung, hilfsweise einen Anspruch auf Schadensersatz aufgerechnet.

Entscheidung | BGH II ZR 71/20

Das LG Frankfurt a.M. 21.12.2017 – 3-05 O 57/17 gibt der Klage als erste Instanz statt. Das OLG Frankfurt a.M 10.3.2020 5 U 7/18 hebt LG Urteil in der Berufungsinstanz auf und weist die Klage ab. Die Beklagte schulde keinen Verlustausgleich und der Jahresabschluss habe auf den 11.12.2016 bilanziert werden müssen, weshalb kein Jahresfehlbetrag entstanden sei (den die Obergesellschaft auszugleichen hätte), sondern vielmehr ein Jahresüberschuss. Deshalb schulde die Obergesellschaft auch nicht die Entschädigung, dieser Anspruch sei mit Aufrechnung gegen den Anspruch auf Gewinnabführung erloschen.
Die Revision vor dem BGH war erfolgreich: die Klägerin/Untergesellschaft hat einen Anspruch auf Verlustausgleich für das Rumpfgeschäftsjahr das am 11.12.2016 endete. Die angefochtenen Entscheidungen werden aufgehoben und soweit die Klägerin Verlustausgleich iHv 419.032,21 € Jahresfehlbetrag/Verlustausgleich geltend macht wird an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Entschädigungszahlung soll der beherrschten Gesellschaft nach Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags tatsächlich zufließen. Die Zahlungsverpflichtung war vorliegend nach dem Willen der Parteien (siehe Vertrag) abhängig vom Eintritt der Wirksamkeit der Aufhebung (erst danach zahlbar und fällig). Die vereinbarte Entschädigung war zum Ausgleich zukünftiger, nach Beendigung des Unternehmensvertrags entstehender, Verluste bestimmt. Hätten die Parteien gewollt, dass die vereinbarte Entschädigung zur Befriedigung des in § 302 AktG geregelten Anspruchs auf Ausgleich der während der Vertragsdauer entstandenen Verluste dienen soll, wäre dies wohl in der Aufhebungsvereinbarung bestimmt worden. Jedoch heißt es dort „Ersatz für die wegfallende Verlustübernahmeverpflichtung“ was für das Gegenteil spricht. Solche Verluste, die im Zeitraum nach der Beendigung des Unternehmensvertrags eintreten, können auch nicht durch die im Folgejahr zahlbare Entschädigung ausgeglichen werden, wenn der Anspruch der Untergesellschaft durch Verlustausgleich/Gewinnabführung im Rumpfgeschäftsjahr 2016 neutralisiert wird. In dem Fall zahlt die Obergesellschaft dann nichts und der Wegfall der Verlustübernahmeverpflichtung wird nicht entschädigt trotz dem entgegenstehender Aufhebungsvereinbarung. Die Zahlung fließt dann über die Gewinnabführung an die Obergesellschaft zurück und gleich den Verlust des Rumpfgeschäftsjahres aus – jedoch keine künftigen Verluste! Die vereinbarte finanzielle Absicherung für die Zeit nach der Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags wäre wertlos. Der Entschädigungsbetrag von ca. 1,3 Mio. € welcher der Untergesellschaft nach dem Aufhebungsvertrag 2017 zufließen sollte, muss also bei der Berechnung des sonst entstehenden Jahresfehlbetrags iSv § 302 AktG außer Acht bleiben. Bei der Untergesellschaft ist kein an die Obergesellschaft abzuführender Gewinn für das am 11.12.2016 abgelaufene Geschäftsjahr entstanden und auch bei der Berechnung des abzuführenden Jahresüberschusses ist der Entschädigungsanspruch von 1,3 Mio. € nicht zu beachten.

Praxishinweis | BGH II ZR 71/20

Der Untergesellschaft soll die vereinbarte Entschädigung auch tatsächlich zufließen. Man muss sich also eines Kunstgriffs für den Jahresabschluss der Untergesellschaft bedienen: Bei der Berechnung des fiktiven Jahresfehlbetrags nach § 302 I AktG bzw. eines abzuführenden Gewinns § 291 I 1 AktG muss die versprochene Entschädigung unbeachtet bleiben. Ansonsten muss es aber bei der Anwendung der handelsbilanziellen Grundsätze bleiben. In einem Fall wie vorliegend entsteht dann ein fiktiver Jahresfehlbetrag (von der Obergesellschaft auszugleichen) und ein Jahresüberschuss (wegen der versprochenen Entschädigungszahlung) – dieser ist dann nicht Gegenstand der Gewinnabführung nach § 291 I 1 AktG. Darüber ist stattdessen im folgenden Jahr ein Gewinnverwendungsbeschluss zu fassen und im Fall der Ausschüttung fließt der Jahresüberschuss dann den Gesellschaftern zu welche zu dieser Zeit Anteilsinhaber sind (evtl. also nicht mehr der früheren Obergesellschaft!).