BGH XII ZB 557/20
Unterhaltsberechnung bei Immobilienbesitz

01.01.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
15.12.2021
XII ZB 557/20
openJur 2022, 2194

Leitsatz | BGH XII ZB 557/20

  1. Steuerliche Abschreibungen für die Abnutzung von Gebäuden berühren das unterhaltsrechtlich maßgebende Einkommen nicht (Bestätigung des Senatsurteils vom 1. Dezember 2004 - XII ZR 75/02, FamRZ 2005, 1159).
  2. Bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die mittels kreditfinanzierter Immobilien erzielt werden, ist bis zur erzielten Miete nicht nur die - die Einkünfte bereits steuerrechtlich vermindernde - Zins-, sondern auch die Tilgungsleistung unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen (Fortführung von Senatsbeschlüssen vom 18. Januar 2017 - XII ZB 118/16, BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519 und vom 4. Juli 2018 - XII ZB 448/17, FamRZ 2018, 1506).
  3. Selbständige können in der Summe 24% ihres Bruttoeinkommens des jeweiligen Jahres für die Altersvorsorge aufwenden und damit - soweit eine solche Vorsorge tatsächlich betrieben wird - von ihrem unterhaltsrelevanten Einkommen absetzen (im Anschluss an Senatsurteil vom 16. Juli 2008 - XII ZR 109/05, BGHZ 177, 272 = FamRZ 2008, 1739). Im Rahmen der Ermittlung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte Tilgungsleistungen sind auf diese Altersvorsorgequote nicht anzurechnen (Fortführung von Senatsbeschluss vom 18. Januar 2017 - XII ZB 118/16, BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519).
  4. Werden die mit der Berufsausübung verbundenen höheren Aufwendungen bereits pauschal oder konkret bei der Einkommensermittlung berücksichtigt, bedarf es im Einzelnen einer Begründung des Tatgerichts, wenn es mehr als ein Zehntel des Erwerbseinkommens der Bedarfsbemessung entzieht.
  5. Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch steht in einem Alternativverhältnis zu den Unterhaltsansprüchen des Kindes, weil er nur entsteht, wenn der Unterhaltsanspruch erfüllt worden ist.

 

Sachverhalt | BGH XII ZB 557/20

Die Antragstellerin und der Antragsgegner schlossen im November 1988 ihre Ehe, aus welcher drei – mittlerweile- volljährige Kinder hervorgingen. Die Ehe endete im Jahr 2010 durch Scheidung. Während der Trennung lebten die Kinder größtenteils bei der Antragstellerin, mit Ausnahme des jüngsten Kindes, das zeitweise beim Antragsgegner lebte. Der Antragsgegner hat seit der Trennung zwei weitere Kinder aus einer neuen Beziehung.

Die Antragstellerin arbeitete bis zur Geburt des ersten Kindes als Hotelfachfrau, bezog ab September 2014 Kranken- sowie Übergangsgeld und später Leistungen der Agentur für Arbeit. Seit März 2016 ist sie wieder erwerbstätig.

Der Antragsgegner hingehen ist seit 1999 selbstständig, bezog als alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH Geschäftsführergehalt. Außerdem hat er -eheprägend- Gewerbeeinkünfte aus Vermietung und Verpachtung (VuV) sowie aus Kapitalvermögen.

Im Jahr 2007 schlossen die Parteien eine notarielle Trennungsvereinbarung, in der sie Gütertrennung und den Ausschluss von Zugewinn- und Versorgungsausgleich vereinbarten. Die Antragstellerin verpflichtete sich, ihre Miteigentumsanteile an gemeinsamem Grundbesitz auf den Antragsgegner zu übertragen, der wiederum bestimmte Zahlungen und Verpflichtungen übernahm. Die Antragsstellerin erlangte zudem Zahlungen i.H.v. 20.000 € sowie ein Wohngrundstück und durfte das eheliche Anwesen mietfrei für 10 Jahre nutzen, nur verbrauchbedingte Nebenkosten hatte sie selbst zu tragen. Außerdem war festgelegt, dass bestimmte Leistungen und Erträge bei Unterhaltsansprüchen nicht angerechnet werden würden.

Die Antragstellerin forderte den Antragsgegner mehrfach auf, Auskunft über sein Einkommen für Kindes- und Ehegattenunterhalt zu geben. Sie reichte im November 2010 einen Antrag auf Unterhalt ein, der auch rückständigen und laufenden Kindesunterhalt für die Kinder umfasste. Die älteren Kinder zogen später ihre Unterhaltsansprüche zurück.
Das Amtsgericht sprach der Antragstellerin Unterhalt bis einschließlich Juli 2013 zu, reduzierte jedoch den Unterhaltsanspruch schrittweise und wies ab Januar 2017 eine Befristung ein. Zudem erkannte es auf familienrechtliche Ausgleichsansprüche zugunsten der Antragstellerin.

Das Oberlandesgericht reduzierte die Unterhaltszahlungen weiter und reduzierte auch die familienrechtlichen Ausgleichsansprüche, ließ jedoch die Ansprüche für die Zeit ab Dezember 2013 unverändert.

Gegen diese Entscheidung legten sowohl die Antragstellerin als auch der Antragsgegner Rechtsbeschwerden ein. Die Antragstellerin fordert eine höhere Unterhaltszahlung bis Juli 2013.

Entscheidung | BGH XII ZB 557/20

Die zulässigen Rechtsbeschwerden führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG, soweit es um den Getrenntlebens- und nachehelichen Unterhalt der Antragstellerin bis Ende 2012 geht, ansonsten bleibt die weitergehende Rechtsbeschwerde des Antragsgegners ohne Erfolg.

Einerseits sind die Einkünfte aus VuV um die steuerlich berücksichtigten Abschreibungen für Gebäudenutzungen (AfA - § 7 IV EstG) zu erhöhen, denn die AfA von Gebäuden berühren das unterhaltsrechtlich maßgebende Einkommen nicht. Dies begründet sich daraus, dass die AfA von Gebäuden auf dem Verschleiß von Vermögenswerten, insb. von Immobilien basieren. Diese Abschreibungen spiegeln den natürlichen Wertverlust dieser Vermögensgegenstände wider. Des Weiteren sind die steuerlichen Pauschalen, die für Abschreibungen verwendet werden, oft großzügiger bemessen als der tatsächliche Wertverlust und Verluste aufgrund von Abschreibungen können durch günstige Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt ausgeglichen werden. Schließlich erstreckt sich der Wertverlust eines Gebäudes, sofern überhaupt vorhanden, über einen längeren Zeitraum, welcher aufgrund der Länge vernachlässigt werden kann, wenn es um die Berechnung der Unterhaltspflicht geht.

Denn bei der Berechnung von Unterhaltsansprüchen muss die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltschuldners erfasst werden, welche periodengerecht zu erfolgen hat. Eine Berücksichtigung des Wertverlustes eines Gebäudes, das zur Einkunftserzielung genutzt wird, wäre nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der Wertverlust anhand konkreter Zahlen nachgewiesen werden kann, was in vorliegendem Fall nicht gegeben ist.
Richtigerweise ist bei der Berechnung der Unterhaltshöhe auch das Saldo der Einnahmen aus allen vermieteten Objekten zu berücksichtigen, auch solche mit negativem Jahreszins, denn ansonsten erfolge eine Vermögensbildung auf Kosten der unterhaltsberechtigten Antragstellerin. Zudem bedarf es keiner fiktiven Steuerberechnung für Objekte mit negativen Einkünften, denn diesen Beträgen stehen keine tatsächlichen Aufwendungen gegenüber, sondern sie stehen vollständig für Unterhaltszwecke zur Verfügung.

Bei der Berechnung des einkommenserhöhenden Vorteils, den jemand aus dem Wohnen in einer Immobilie zieht, sind nicht nur die Zinsleistungen gegenzurechnen, die zur Finanzierung der Immobilie erbracht werden. Stattdessen sollen auch die Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnwerts in die Berechnung einfließen, denn ohne Zinsen und Tilgung gäbe es den Wohnvorteil in Form einer eingesparten Miete nicht.

Dieselbe Argumentation gilt auch für die Beurteilungen des Ehegattenunterhalts, insb. für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die mittels kreditfinanzierter Immobilien erzielt werden. Bis zur erzielten Miete sollen sowohl die Zinsen als auch die Tilgungsleistungen bei der Berechnung des Unterhalts berücksichtigt werden. Der Unterhaltsschuldner, der mit den Mieteinnahmen aus einem darlehensfinanzierten Objekt neben Zinszahlungen auch die Tilgung bestreitet, bildet zwar sukzessive unbelastetes Immobilieneigentum, das grundsätzlich zur Altersvorsorge geeignet ist. Jedoch geht die Tilgung bis zur Obergrenze der Mieteinnahmen nicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigten, weil die Mieteinnahmen erst durch Zins und Tilgung ermöglicht werden.

Die Berechnung hat je Objekt der Einkünfte aus VuV und periodengerecht zu erfolgen, sonst kommt es zur unzulässigen Vermögensbildung auf Kosten des Unterhaltsberechtigten, da Erlöse aus anderen Immobilien zur objektfremden Darlehenstilgung genutzt werden.

Selbstständige können in der Summe 24 % ihres Bruttoeinkommens des jeweiligen Jahres - nicht des Vorjahres - für die Altersvorsorge aufwenden und damit - soweit eine solche Vorsorge tatsächlich betrieben wird - von ihrem unterhaltsrelevanten Einkommen absetzen. Dies entspricht dem Prinzip, nach dem Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auf Grundlage des aktuellen Erwerbseinkommens berechnet werden. Im Rahmen der Ermittlung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte Tilgungsleistungen sind auf diese Altersvorsorgequote nicht anzurechnen, da sie notwendig sind, um die Mieteinnahmen zu generieren und daher nicht als zusätzliche Einkünfte für die Altersvorsorge betrachtet werden können. Nur die Tilgung, die über die Kosten der Miete hinausgeht, kann als unterhaltsrechtlich relevante Altersvorsorge betrachtet werden.

Bei der Bestimmung des Bedarfs muss von dem zur Verfügung stehenden Einkommen zuvor das abgezogen werden, worauf nach § 1609 BGB vorrangig Unterhaltsberechtigte – hier der Kindesunterhalt- Anspruch haben. Nur der verbleibende Rest steht zur Bedarfsermittlung zur Verfügung.  

Zwar kann bei der Bedarfsbemessung ein Erwerbstätigenbonus beim Unterhaltspflichtigen als auch beim Unterhaltsberechtigten berücksichtigt werden, um den mit einer Berufsausübung verbunden höheren, nicht anderweitig absetzbaren, Aufwand zu honorieren und einen Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu schaffen. Jedoch kann der Bonus nicht vollständig gewährt werden, wenn bereits andere höhere Kosten im Zusammenhang mit der Berufsausübung - entweder bei Selbstständigen von vornherein im Rahmen der Gewinnermittlung oder bei Nichtselbstständigen (pauschal mit 5 % oder konkret) - berücksichtigt werden. Insoweit das mehr als ein Zehntel des Erwerbseinkommens der Bedarfsbemessung entzogen wird, bedarf es im Einzelnen einer Begründung des entsprechenden Tatgerichts.

Lebt der Unterhaltsberechtigte in einer verfestigten Lebensgemeinschaft nach § 1579 Nr. 2 BGB, so findet ein Versagen, Herabsetzen oder zeitliches Begrenzen des Unterhaltsanspruchs nicht statt, wenn die vertraglich herabgesetzten Unterhaltsbetröge bereits weit unterhalb der Beträge liegen, die sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen ergeben würden.

Ist der Unterhaltsanspruch gemeinsamer Kinder von dem nicht verpflichteten Elternteil ganz oder teilweise erfüllt worden, entsteht ein familienrechtlicher Ausgleichanspruch, welcher jedoch nicht nebeneinander, sondern in einem Alternativverhältnis mit dem Anspruch auf Kindesunterhalt steht. Insoweit sind Kind und Elternteil nicht Gesamtgläubiger i.S.d. § 428 BGB.

Praxishinweis | BGH XII ZB 557/20

Aufgrund von Uneinigkeiten zwischen verschiedenen Gerichten über die Höhe, in welcher der Erwerbstätigenbonus gewährt werden soll, kann es gerichtsabhängig zu unterschiedlichen Unterhaltsansprüchen führen.

Der Erwerbstätigenbonus kann auch mehr als 1/10 des Erwerbseinkommens der Bedarfsbemessung entzogen werden, dies muss jedoch im Einzelfall näher begründet werden. Grundsätzlich haben mittlerweile fast alle Oberlandesgerichte ihre Leitlinie auf von 1/7 zu 1/10 Abzug für den Erwerbstätigenbonus geändert.

Tilgungsraten können bis zur Höhe der erzielten Miete abgezogen werden, jedoch muss bei der Berechnung zwischen den verschiedenen Immobilien differenziert werden. Den Mieteinnahmen aus dem jeweiligen Objekt müssen die auf dieses entfallenden Kreditraten gegenübergestellt werden.

Ein nicht rentenversicherter oder selbstständiger Beteiligter kann Aufwendungen für die Altersvorsorge i.H.v. 24 % des Bruttoeinkommens geltend machen, insofern diese tatsächlich betrieben wird. Zudem wird nur der Teil der monatlichen Darlehenstilgungen, der über die Mieteinnahmen hinausgeht, als Altersvorsorge betrachtet.