OLG Frankfurt 4 UF 205/21
Unbilligkeit des Versorgungsausgleichs

27.05.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Frankfurt
22.11.2021
4 UF 205/21
NZFam 2021, 1103

Leitsatz | OLG Frankfurt 4 UF 205/21

  1. Haben Ehegatten über eine längeren Zeitraum (hier ein Drittel der Ehezeit) getrennt gelebt, kann die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs allein deshalb grob unbillig sein (§ 27 VersAusglG), sofern in der Trennungszeit eine wirtschaftliche Verselbstständigung eingetreten ist und keine ehebedingte Bedürfnislage eintritt.
  2. Werden die getrennt lebenden Ehegatten allerdings noch über 7 Jahre nach ihrer Trennung gemeinsam zur Einkommenssteuer veranlagt, liegt in dieser Zeitspanne noch keine wirtschaftliche Verselbstständigung vor. Der Versorgungsausgleich ist dann nach den gesetzlichen Bestimmungen durchzuführen.

 

Sachverhalt | OLG Frankfurt 4 UF 205/21

Das Familiengericht schied mit Beschluss 2019 die im Jahr 1983 geschlossene Ehe der beteiligten früheren Eheleute und führte den Versorgungsausgleich durch. Das Gericht holte zur Ermittlung der Ausgleichswerte Auskünfte der Deutschen Rentenversicherung als einzigen Versorgungsträger ein und richtete sich allein danach. Die Antragsgegnerin begehrte die Anordnung eines Teilausschlusses des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG. Allerdings ging das Gericht hierauf in seiner Entscheidung nicht ein.

Die Antragsgegnerin legte Beschwerde gegen den ergangenen Beschluss ein. Sie begehrt eine Abänderung dahingehend, dass ein Versorgungsausgleich nicht durchgeführt wird, da ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs geboten sei. Sie habe ehezeitlich überwiegend allein den Lebensunterhalt der Familie finanziert und die Eheleute hätten sich bereits im März 2008 getrennt. Ein Aufbau einer eigenen zureichenden Altersvorsorge sei nicht mehr möglich.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Beschwerde. Er ist der Meinung, die Trennungszeit mache 29,15% der Ehezeit aus, weshalb ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs nicht gerechtfertigt sei. Die Antragsgegnerin habe ihre Anstellung zweimal aufgrund ihrer Alkoholerkrankung verloren, weshalb sie sich danach selbstständig gemacht hat. Der Antragsteller sei ihr Angestellter gewesen und er habe den Lebensunterhalt allein durch seine Tätigkeit finanziert. Dieses Unternehmen habe die Antragsgegnerin ebenfalls durch ihre Alkoholsucht ruiniert, sodass der Antragsgegner anschließend keine weitere Altersvorsorge mehr habe betreiben können. Die Antragsgegnerin habe bei der Trennung einen erheblichen Betrag für sich vereinnahmt, welchen die Eheleute für die gemeinsame Altersvorsorge bestimmt hatten. Obwohl der Antragsgegner bereits seit 2008 mit einer anderen Frau zusammenlebte, habe die Antragsgegnerin seinen Scheidungswunsch sowohl im Jahr 2008 als auch im Jahr 2016 abgelehnt. Der Senat wies die Beteiligten mit Beschluss vom 07.07.2021 darauf hin, dass der Versorgungsausgleich für den Zeitraum 2009 bis 2019 ausgeschlossen sei. Später gaben die Eheleute zu, dass sie bis zum Steuerjahr 2016 einschließlich gemeinsam steuerlich veranlagt wurden.

Entscheidung | OLG Frankfurt 4 UF 205/21

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, jedoch unbegründet und bleibt daher ohne Erfolg.

Ein Versorgungsausgleich finde nach § 27 VersAusglG nur dann ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies sei jedoch nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung der Versorgungsanrechte abzuweichen. Die Vorschrift sei zum 01.09.2009 an die Stelle des § 1587c BGB getreten, allerdings ohne Änderungen der Rechtslage. Die Härteklausel soll wirtschaftlich fragwürdige Ergebnisse verhindern, welche mit der bisherigen und fortwirkenden Versorgungsgemeinschaft der geschiedenen Eheleute nicht zu rechtfertigen sei. Dabei seien in die Gesamtabwägung sämtliche Lebensumstände einzubeziehen, die für den gegenwärtigen und künftigen wirtschaftlichen Stand der Eheleute von Bedeutung sind. Das Ziel des Versorgungsausgleichs ist es, zu einer ausgewogenen sozialen Sicherheit der Ehegatten für den Fall des Alters oder der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit beizutragen. Daher sei ein vollständiger oder teilweiser Ausschluss gerechtfertigt, wenn dieser zu einem erheblichen wirtschaftlichen Ungleichgewicht zu Lasten des Ausgleichspflichtigen führen würde.

Zwar komme bei einer außergewöhnlich langen Trennungszeit eine Ausklammerung der auf die Trennungszeit entfallenden Anwartschaften beider Ehegatten in Betracht, wovon im vorliegenden Fall jedoch nicht ausgegangen werden könne. Denn dem Getrenntleben von 11 Jahren stehe ein eheliches Zusammenleben von 24 Jahren gegenüber. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sei die Tatsache, dass die Antragsgegnerin bis 2016 mit Zweitwohnsitz beim Antragsteller gemeldet war und die Eheleute gemeinsam steuerlich veranlagt wurden. Dies stehe einer wirtschaftlichen Verselbstständigung entgegen. Vielmehr seien die Ehegatten nach § 4 Abs. 1 AO Gesamtschuldner der Steuerschuld. Die Durchführung des Versorgungsausgleichs für den Zeitraum bis 2016 kann nicht als grob unbillig angesehen werden, da die Ehe im Jahr 2019 geschieden wurde. Damit hält das Gericht zusammenfassend fest, dass sich die Eheleute nicht steuerlich verselbstständigt und damit ihre eheliche Versorgungsgemeinschaft trotz der Trennung nicht in vollem Umfang aufgehoben hätten.

Praxishinweis | OLG Frankfurt 4 UF 205/21

Der § 27 VersAusglG fasst die vier Härtefallregelungen aus dem alten Recht generalklauselartig zusammen. Dabei macht der Wortlaut „soweit“ deutlich, dass auch ein Teilausschluss des Versorgungsausgleichs grundsätzlich möglich ist. Ein Ausschluss ist bei einer langen Trennungszeit im Verhältnis zur Ehezeit und der wirtschaftlichen Verselbstständigung währenddessen in Betracht zu ziehen, wobei alle vergangenen und künftigen Lebensumstände in die Gesamtabwägung einbezogen werden. Grundsätzlich könne bei einer Trennungszeit von einem Drittel der Ehezeit von einer Versorgungsgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr ausgegangen werden, wobei es überwiegend auf ein wirtschaftliches Getrenntleben ankommt. Sollte ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs gewollt sein, kommt es auf eine frühzeitige Aufhebung der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung an.