BGH V ZR 22/22
Umfang der Rechtskraft einer Entscheidung zur Nichtigkeit eines Grundstückskaufvertrags

20.11.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
17.02.2023
V ZR 22/22
MDR 2023, 832

Leitsatz | BGH V ZR 22/22

  1. Die rechtskräftige Entscheidung, mit der die Nichtigkeit eines Grundstückskaufvertrags festgestellt wird, hat präjudizielle Bedeutung für die Entscheidung über die Berichtigung des Grundbuchs wegen Erlöschens des durch Vormerkung gesicherten Anspruchs aus diesem Vertrag; mit Rechtskraft des Feststellungsurteils steht fest, dass die Auflassungsvormerkung nicht entstanden und das Grundbuch hinsichtlich deren Eintragung unrichtig ist.
  2. Ist in einem Vorprozess eine Klage auf Bewilligung der Löschung einer Auflassungsvormerkung im Wege der Grundbuchberichtigung rechtskräftig abgewiesen worden, ist ein mit dem Klageantrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags verbundener erneuter Antrag auf Berichtigung des Grundbuchs hinsichtlich der Vormerkung nur dann zulässig, wenn die Klageanträge dergestalt in ein Eventualverhältnis gestellt werden, dass der auf Grundbuchberichtigung gerichtete Antrag nur hilfsweise für den Fall gestellt wird, dass der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags Erfolg hat.

 

Sachverhalt | BGH V ZR 22/22

Die Parteien streiten über einen Antrag auf Bewilligung der Löschung einer Auflassungsvormerkung. In einem notariell beurkundeten Kaufvertrag vereinbarten die Parteien den Kauf eines Grundstücks im Eigentum des Klägers zum Preis von 200.000 Euro. Darüber hinaus vereinbarten sie, aufschiebend bedingt, dass die Wirksamkeit des Vertrages von der jeweiligen Erklärung der Parteien gegenüber dem jeweils anderen Teil abhänge, der Vertrag solle wirksam zustande kommen. Zugunsten des Beklagten wurde eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen. Eine Auflassung des Grundstücks an den Kläger ist bis jetzt nicht erfolgt. Im Vorfelde des Vertrags kam es zu einem persönlichen Zusammentreffen der Parteien, in welchem der Beklagte dem Kläger einen Barbetrag in Höhe von 50.000 € zahlte. Im Jahr 2016 reichte der Kläger Klage auf Bewilligung der Löschung der Vormerkung ein und berief sich darauf, dass der Beklagte das Optionsrecht nicht wirksam ausgeübt habe. Die Klage wurde mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22. März 2017 rechtskräftig abgewiesen. In einem weiteren Vorprozess mit umgedrehtem Rubrum vor demselben Landgericht wurde der hier klagende Kläger aufgrund eines von der Beklagten gewährten Darlehens rechtskräftig zur Rückzahlung von 50.000 € verurteilt. Der Kläger behauptet, es sei tatsächlich ein Kaufpreis von 350.000 € vereinbart worden. Er begeht daher die Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags und erneut die Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormerkung. Das Landgericht hat die Nichtigkeit des Kaufvertrags festgestellt und die Klage im Übrigen als unzulässig abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen und die Revision des Klägers zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormerkung weiter. Der Beklagte verfolgt mit der Anschlussrevision die vollständige Klageabweisung.

Entscheidung | BGH V ZR 22/22

Auf die Rechtsmittel des Klägers und unter Zurückweisung der Anschlussrevision des Beklagten hob der BGH das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart im Kostenpunkt und insoweit auf, als die auf den Klageantrag zu 2 bezogene Berufung des Klägers zurückgewiesen worden ist, und änderte das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 13. Dezember 2019 im Kostenpunkt und insoweit ab, als der Klageantrag zu 2 abgewiesen worden ist. Er verurteilte den Beklagten wird über die rechtskräftige Verurteilung hinaus, die Löschung der zu seinen Gunsten geführten Grundbuch eingetragenen Auflassungsvormerkung zu bewilligen.

I. Anschlussrevision

Die Anschlussrevision der Beklagten blieb ohne Erfolg, weil das Berufungsgericht die Nichtigkeit des Kaufvertrages rechtsfehlerfrei festgestellt habe. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags sei zulässig. Ihre stehe die Rechtskraft des Urteils des ersten oder zweiten Vorprozesses nicht entgegen.

Gemäß § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Maßgeblich ist der jeweilige Streitgegenstand, der durch den Klageantrag und den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt wird, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (sog. zweigliedriger prozessualer Streitgegenstandsbegriff, vgl. etwa BGH vom 20. Mai 2011 – V ZR 221/10, NJW 2011, 2785 Rn. 9).

Im ersten Vorprozess sei nur in Rechtskraft erwachsen, dass der Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung der Löschung der Vormerkung hat. Denn in Rechtskraft erwachse nur die in dem Urteil ausgesprochene Rechtsfolge, d.h. nur der vom Gericht aus dem vorgetragenen Sachverhalt gezogene Schluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen der beanspruchten Rechtsfolge, nicht aber die Feststellung der zugrundeliegenden präjudiziellen Rechtsverhältnisse oder sonstigen Vorfragen, aus denen der Richter seinen Schluss gezogen hat (so zuletzt BGH vom 10. April 2019 –VIII ZR 12/18, NJW 2019, 2308 Rn. 30). Die Rechtskraft des zweiten Vorprozesses stehe einer erneuten Klage nicht entgegen, als dass nur der Anspruch auf Zahlung von 50.000 Euro in Rechtskraft erwachsen sei.

Soweit die Frage betroffen sei, ob ein Zahlungsanspruch über die 50.000 Euro hinaus bestehe, ist das Vorbringen des Klägers auch nicht präkludiert. Denn die Präklusion kann nicht weiter reichen als die Rechtskraftwirkung des Urteils. Die Rechtskraftwirkung des zweiten Vorprozesses erstrecke sich nur auf die Frage, ob der Kläger zur Zahlung von 50.000 € an den Beklagten verpflichtet ist. Ob es aber eine auf den Kaufvertrag bezogene Schwarzgeldabrede gegeben hat, betrifft nicht die Rechtskraft, sondern die Beweiswürdigung.

II. Revision

Hingegen war die Revision des Klägers zulässig und begründet.

Die materielle Rechtskraft des zweiten Vorprozesses stand einer Klage auf Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormerkung nicht entgegen, weil Streitgegenstand selbiger der Grundbuchberichtigungsanspruch aus § 894 BGB, jener des Vorprozesses aber die Klage auf Zahlung von 50.000 Euro war.
Auch die materielle Rechtskraft des ersten Vorprozesses stand der Klage nicht entgegen. Bei einer Klageabweisung einer Leistungsklage erwachse aus dem Tenor insofern in Rechtskraft, dass die begehrte Rechtsfolge aus dem bestehenden Lebenssachverhalt unter keinen aus dem Lebenssachverhalt in Betracht kommenden Anspruch hergeleitet werden könne.

Zu dem Lebenssachverhalt, der die Grundlage der Streitgegenstandsbestimmung bildet, gehören alle Tatsachen, die bei einer vom Standpunkt der Parteien ausgehenden natürlichen Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag der Klagepartei zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören. Das ist dann der Fall, wenn der Tatsachenstoff nicht sinnvoll auf verschiedene eigenständige, den Sachverhalt in seinem Kerngehalt verändernde Geschehensabläufe aufgeteilt werden kann, selbst wenn diese einer eigenständigen rechtlichen Bewertung zugänglich sind (vgl. BGH vom 19. Dezember 1991 –IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1). Der Streitgegenstand wird durch den gesamten historischen Lebensvorgang bestimmt, auf den sich das Rechtsschutzbegehren der Klagepartei bezieht, unabhängig davon, ob einzelne Tatsachen dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht, und auch unabhängig davon, ob die Parteien die nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebensvorgangs kannten und hätten vortragen können (st.Rspr.; vgl. etwa BGH vom 3. März 2016 –IX ZB 33/14, NJW 2016, 1818 Rn. 27). Nur wenn aus dem Urteil des Gerichts eindeutig hervorgeht, dass es die Rechtskraft nicht in vollem Umfang zulassen will, kann ausnahmsweise eine erneute Klage des Klägers wegen der in der mündlichen Verhandlung vorbehaltenen Tatsachen zugelassen werden. Da die Nichtigkeit des Kaufvertrages wegen Nichteintritts der Bedingung (Ausübung der Option) und die Nichtigkeit des Vertrages als Scheingeschäft bei natürlicher Betrachtungsweise einen einheitlichen Lebensvorgang darstellen, der nicht aufgespalten werden kann, ist die Rechtskraftwirkung in diesem Punkt zu bejahen. Der vom Kläger mit der Grundbuchberichtigungsklage nach § 894 BGB zur Entscheidung gestellte Lebensvorgang wird durch die Gesamtumstände des Vertragsschlusses geprägt. In dem Urteil vom 22. März 2017 ist ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormerkung aus § 894 BGB in vollem Umfang verneint worden. Damit steht fest, dass der Kläger den Anspruch auf Grundbuchberichtigung auch nicht daraus herleiten kann, dass der Kaufvertrag wegen einer Schwarzgeldabrede nichtig ist (§§ 117 Abs. 1, 117 Abs. 2, 311b Abs. 1 Satz 1, 125 Satz 1 BGB).

Dennoch könne der Kläger eine isolierte Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags erheben, weil diese einen anderen Streitgegenstand betrifft. Nach Überzeugung des BGH steht dieser auch die Rechtskraft des Urteils aus dem ersten Vorprozess nicht entgegen. Denn es bestehe eine Ausnahme, wenn sich der dem rechtskräftigen Urteil zugrundeliegende Sachverhalt nachträglich geändert habe. Unerheblich sei, ob die neue Tatsache zu einem früheren Zeitpunkt in den Prozess hätte eingeführt werden können. Dies gelte aber nur soweit, als die neuen Tatsachen auf maßgeblich für die im alten Urteil ausgesprochene Rechtsfolge waren. Hierbei ist unter Zugrundlegung des alten Urteils zu fragen, ob sich die neue Tatsache auf die dortigen Tatbestandsmerkmale auswirkt.

Ein Ausnahmefall von diesem Grundsatz besteht aber dann, wenn die Auswirkungen der gerichtlichen Entscheidung Vorfrage für den Charakter der neuen Tatsache sind. Dies bejaht der BGH hier aufgrund der Akzessorietät der Auflassungsvormerkung. Wird die Nichtigkeit des Kaufvertrags in einem Feststellungsurteil rechtskräftig vorgestellt, so hat das präjudizielle Wirkung für die Klage auf Berichtigung des Grundbuchs wegen Erlöschen des mit der Vormerkung gesicherten Anspruchs. Wird rechtskräftig festgestellt, dass der Kaufvertrag nichtig ist, gilt auch die Vormerkung aufgrund ihrer Akzessorietät als nicht entstanden. Das Grundbuch wird nachträglich unrichtig. Wird die Nichtigkeit des Kaufvertrags nachträglich festgestellt, so ändert sich im Nachhinein die Tatsachengrundlage eines Urteils, das zuvor den Klageantrag gerichtet auf Berichtigung des Grundbuchs abwies.

Der BGH nimmt sodann Stellung zu der Frage, ob der Kläger beide Klageanträge in einer Klage verbinden und kann und wenn ja, in welcher Art und Weise eine solche Klagehäufung geltend gemacht werden kann.

Der Senat hat eine solche Klagemöglichkeit bei Vorverträgen aus prozessökonomischen Gründen in Verbindung mit dem Rechtsgedanken des § 259 ZPO zugelassen. Die Partei, die ihre Rechte aus dem Vorvertrag geltend macht, soll nicht gezwungen sein, gegen die Partei, die die Bindung leugnet, nacheinander zwei Prozesse zu führen, nämlich auf Abschluss des Hauptvertrages und Erfüllung. Die auf den dinglichen Vollzug des erstrebten Hauptvertrags gerichteten Klageanträge stehen dann unter der innerprozessualen Rechtsbedingung, dass der Klage auf Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags stattgegeben wird.

Diese Grundsätze wendet der BGH auf den Fall der Löschung der Auflassungsvormerkung im Rahmen der Berichtigung des Grundbuchs nach § 894 BGB an. Ist in einem Vorprozess eine Klage auf Bewilligung der Löschung einer Auflassungsvormerkung im Wege der Grundbuchberichtigung rechtskräftig abgewiesen worden, ist ein mit dem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrags verbundener erneuter Antrag auf Berichtigung des Grundbuchs hinsichtlich der Vormerkung nur zulässig, wenn die Klageanträge in ein Eventualverhältnis dahin gestellt werden, dass der auf Berichtigung des Grundbuchs gerichtete Antrag nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrags gestellt wird. Der auf Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormerkung gerichtete Klageantrag muss also unter die innerprozessuale Rechtsbedingung gestellt werden, dass die Feststellungsklage Erfolg hat. Dem Kläger kann in einem solchen Fall nicht zugemutet werden, zwei Prozesse hintereinander zu führen. Dem Beklagten entstehen aus einer solchen sogenannten uneigentlichen Eventualklagehäufung keine Nachteile.

Zwar waren im Prozess vor dem BGH nur kumulative Klageanträge gestellt. Da der BGH im Wege der Anschlussrevision aber bereits die Nichtigkeit des Kaufvertrages feststellte, stand fest, dass auch die Auflassungsvormerkung nicht entstanden war. daher bestand hier ein Grundbuchberichtigungsanspruch.

Praxishinweis | BGH V ZR 22/22

Umfang und Reichweite der Rechtskraft sowie die richtige Antragstellung im Falle einer Klagehäufung bergen zahlreiche Tücken. Verständlich und ausführlich legt der BGH in diesem Urteil dar, welche Anforderungen an die Reichweite der Rechtskraft und die Präjudizialität zu stellen sind. Ein äußerst lesenswertes und lehrreiches Urteil, das dem Praktiker, aber auch dem interessierten juristischen Laien dringend empfohlen sei.