BFH VIII R 20/20
Steuerliche Anerkennung eines punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnungsausschüttungsbeschlusses

02.10.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
28.09.2022
VIII R 20/20
BeckRS 2022, 35713

Leitsatz | BFH VIII R 20/20

  1. Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen (entgegen BMF-Schreiben vom 17.12.2013, BStBl I 2014, 63).  (Rn. 19 – 20) (amtl. LS)
  2. Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, verwirklicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht. (Rn. 34) (amtl. LS)
  3. Ob eine inkongruente Vorabgewinnausschüttung nach § 42 AO gestaltungsmissbräuchlich ist, ist bei zivilrechtlich wirksamen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen nach denselben Maßstäben zu beurteilen, die für satzungsgemäße inkongruente Ausschüttungen gelten. (Rn. 37 – 42) (amtl. LS)

 

Sachverhalt | BFH VIII R 20/20

Der Kläger und Revisionsbeklagte zu 1. (Kläger) ist für die Jahre 2012-2015 mit seiner Ehefrau (Klägerin und Revisionsbeklagte zu 2.) zusammen zur Einkommenssteuer veranlagt worden. Er war in den Streitjahren Geschäftsführer und zu 50 % Gesellschafter der K-GmbH. Die T-GmbH war die zweite, zu 50 % beteiligte, Gesellschafterin der K-GmbH. In den Streitjahren war der Kläger alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der T-GmbH.

Der Gesellschaftsvertrag der K-GmbH enthielt keine Regelung zur Gewinnverteilung. Er sah nicht vor, dass Entnahmen, Vorschüsse und der Jahresgewinn stets abweichend von den Beteiligungsverhältnissen zu verteilen waren. Weiterhin hatte er auch keine Öffnungsklausel § 29 III 2 GmbHG, die eine Verteilung durch eine gesonderte Beschlussfassung im Einzelfall vorgesehen hätte. Die Gesellschafterversammlung der K-GmbH hat in den Streitjahren stets einstimmig Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse gefasst durch welche die Vorabausschüttungen nur an die T-GmbH verteilt und dann ausgezahlt worden sind. Der Kläger hat für die Streitjahre keine Einkünfte aus den Ausschüttungen der K-GmbH in seinen Einkommenssteuererklärungen angegeben.

Das Finanzamt kam im Rahmen einer Außenprüfung zu der Auffassung, dass die Vorabausschüttungen der K-GmbH an die T-GmbH auf Ausschüttungsbeschlüssen beruhten, die nichtig seien.

Die ausgeschütteten Beträge seien dem Kläger entsprechend seiner Beteiligungsquote zu 50% zuzurechnen, § 20 I Nr. 1 S. 1 EStG und § 42 AO. Die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse seien nichtige satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung, es fehle an den Voraussetzungen für eine offene Gewinnausschüttung. Der Kläger habe demnach Einkünfte aus verdeckten Gewinnausschüttungen § 20 I Nr. 1 S. 2 EStG erzielt. Das FG war jedoch der Ansicht, dass dem Kläger aus den Ausschüttungen keine Einkünfte zuzurechnen seien.

Das BMF trat dem Verfahren gem. § 122 II FGO bei und vertrat so wie das FA die Auffassung, dass die Vorabausschüttungsbeschlüsse nichtig seien und der Kläger Einkünfte aus vGA erzielt habe.

 

Entscheidung | BFH VIII R 20/20

Der BFH kommt zu dem selben Ergebnis wie das FG. Der Kläger auf Grund der inkongruenten Vorabausschüttungen weder Einkünfte aus offenen Gewinnausschüttungen nach § 20 I Nr. 1 S. 1 EStG erzielt, noch aus vGA gem. § 20 I Nr. 1 S. 2 EStG erzielt. Eine Zurechnung der Ausschüttungsbeträge an die T-GmbH zu 50% als Einkünfte des Klägers gem. § 42 AO komme ebenso nicht in Betracht.

Die Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen aus den Streitjahren widersprechen zwar der Satzung der K-GmbH, sind aber nicht nichtig. Sie sind lediglich punktuell satzungsdurchbrechende Ausschüttungsbeschlüsse und mangels Anfechtbarkeit auch zivilrechtlich wirksam und bindend.

Satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse, die einen rechtlichen Zustand mit von der Satzung abweichendem Regelungsinhalt mit Dauerwirksamkeit begründen sind grds. selbst dann nichtig, wenn der Beschluss einstimmig gefasst wurde und alle materiellen und formellen Bestimmungen eingehalten worden seien. Allerdings seien punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse hiervon zu unterscheiden. Dern Wirkung erschöpfe sich in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt. Die Satzung wird demnach also zwar durch den Beschluss verletzt, aber nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert. Punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse seien nicht nichtig, jedoch gem. § 243 I AktG anfechtbar.

Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der K-GmbH zu den inkongruenten Vorabgewinnungsausschüttungen seien nur punktuell satzungsdurchbrechend, so der BFH. Jeder Beschlussfassung über eine Vorabausschüttung habe ein neuer Willensentschluss der Gesellschafter zugrunde gelegen und eine neue Satzungsregelung zu einer generell von den Beteiligungsverhältnissen abweichenden Gewinnverteilung sei nicht getroffen worden. Damit habe sich die Wirkung eines jeden Beschlusses in der Ausschüttung an die T-GmbH erschöpft, punktuelle satzungsdurchbrechende Beschlüsse liegen vor.

Punktuelle satzungsdurchbrechende Beschlüsse seien grds. nur analog § 243 I AktG anfechtbar. Wenn aber alle Gesellschafter der inkongruenten Gewinnverteilung zugestimmt haben, so könne der Beschluss von keinem der Gesellschafter angefochten werden. Die Zustimmung aller Gesellschafter führe für jeden von ihnen zum Verlust der Anfechtungsberechtigung, somit seien die vorliegenden Beschlüsse zivilrechtlich wirksam und bindend.

Demnach handele es sich hier um eine offene Ausschüttung von Gewinnanteilen gem. § 20 I Nr. 1 S. 2 EStG. Der Kläger habe allerdings keinen Gewinnanteil zu versteuern, weil er den Einkünfteerzielungstatbestand des § 20 I Nr. 1 S. 1 EStG jeweils nicht verwirklich hat indem wirksam beschlossen worden war, dass an ihn kein Gewinn ausgeschüttet worden sei. Offen ausgeschüttete Gewinne seien stets nur bei dem Anteilseigner dem sie zufließen der Besteuerung zu unterwerfen.

Der BFH sieht auch keine Veranlassung, dem Kläger auf der Grundlage der Fremdüblichkeitsprüfung Einkünfte gem. § 20 I Nr. 1 S. 1 EStG zuzurechnen (aus den inkongruenten Vorabausschüttungen an die T-GmbH). Wenn für die vom gesetzlichen Verteilungsschlüssel abweichende Gewinnverteilung beachtliche wirtschaftlich vernünftige außersteuerliche Gründe nachgewiesen werden können, so sei nicht von einem Gestaltungsmissbrauch § 42 AO auszugehen, so das Bundesfinanzministerium.

Zudem handele es sich vorliegend auch nicht um Einkünfte aus vGA § 20 I Nr. 1 S. 2 EStG. Diese läge dann vor, wenn die Gesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese ihren Anlass in dem Gesellschaftsverhältnis hat. Aber sie könne auch ohne einen tatsächlichen Zufluss bei dem entsprechenden Gesellschafter verwirklicht werden, wenn der Vorteil ihm durch das Gesellschaftsverhältnis mittelbar zugewendet wird. Als zB eine ihm nahestehende Person aus der Vermögensverlagerung einen Nutzen zieht. Es handelt sich hier jedoch um offene Ausschüttungen, die wirksam beschlossen wurden und auf dem Gesellschaftsverhältnis der T-GmbH zur K-GmbH beruhen und nicht auf dem Gesellschaftsverhältnis des Klägers selbst zur K-GmbH.

Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten iSv § 42 AO läge nicht vor, inkongruente Gewinnverteilungen seien grds. steuerrechtlich anzuerkennen, wenn sie wie hier auf einem zivilrechtlich wirksam zustande gekommenen Ausschüttungsbeschluss beruhen (BFH Urt. v. 19.08.1999 -  I R 77/96 und 13.03.2018 -  IX R 35/16).

 

Praxishinweis | BFH VIII R 20/20

Es ist insbesondere auf die Unterscheidung zwischen satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit Dauerwirkung und punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen hinzuweisen. Die Trennlinie kann recht fein sein und satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse sollten weiterhin vermieden werden. Liegt jedoch ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss vor, so ist dieser als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen.