OLG Celle 9 U 72/22
Satzungsdurchbrechender Beschluss trotz Stimmrechtsbindungsvereinbarung

17.04.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Celle
08.09.2022
9 U 72/22
NZG 2023, 71

Leitsatz | OLG Celle 9 U 72/22

  1. Einem Fremdgeschäftsführer steht im Sinne der Gewährung des effektiven Rechtsschutzes die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes offen.
  2. Eine entgegen einer Stimmbindung erfolgte Stimmabgabe ist grundsätzlich nicht unwirksam. Doch gilt anderes dann, wenn alle Gesellschafter der GmbH untereinander eine konkrete Stimmbindung eingegangen sind, weil sonst die gesonderte Durchsetzung der Verpflichtung, das durch die Stimmbindung vorgegebene Ergebnis herbeizuführen, bloße Förmelei wäre.
  3. Eine besondere Treuwidrigkeit ist in einem entgegen einer Stimmrechtsbindung liegendem Stimmverhalten zu sehen, wenn im Bewusstsein der eingegangenen Bindung ausdrücklich ein satzungsdurchbrechender Beschluss gefasst wird.

(Leitsätze der NZG-Redaktion)

Sachverhalt | OLG Celle 9 U 72/22

Der Verfügungskläger (Martin Kind im Folgenden: Kläger) ist im HR als (alleiniger) Geschäftsführer der als GmbH organisierten Verfügungsbeklagten (Hannover 96 Management GmbH im Folgenden: Beklagte) eingetragen. Er begehrt einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen seiner Ansicht nach nichtigen Beschluss des Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. (im Folgenden: Verein), des Alleingesellschafters der Beklagten, vom 25.7.2022, der seine sofortige Abberufung vom Geschäftsführeramt aus wichtigem Grund zum Inhalt hat.

Die Beklagte ist persönlich haftende Gesellschafterin der Hannover 96 GmbH & CoKGaA (im Folgenden: KGaA), die wiederum die am Ligabetrieb teilnehmende Fußballmannschaft „Hannover 96“ unterhält. Kommanditaktionärin der KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG). Mehrheitskommanditistin ist die MARNICCAM GmbH. Alleiniger Gesellschafter der MARNICCAM GmbH ist der Kläger.

In § 7 I des Gesellschaftsvertrags der Beklagten ist geregelt:

„Die Geschäftsführer werden vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen.“

2019 schlossen der Verein (zugleich Alleingesellschafter der Beklagten), die KGaA und die KG in einem so genannten „Hannover 96-Vertrag“ mit folgender Nr. 3:

„Verein verpflichtet sich, die Satzung der Beklagten nicht bzw. nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der KG zu ändern, zu ergänzen oder zu ersetzen. Die vorstehende Regelung gilt insgesamt, insbesondere aber für den Passus der Satzung, der Funktion (Bestellung der Geschäftsführung der Gesellschaft) und Besetzung des Aufsichtsrats der Beklagten regelt. Durch die jetzige Regelung hat KGaA, vermittelt durch den Aufsichtsrat, Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung der Beklagten. Der Erhalt dieser Mitentscheidungsrechte und die künftige Kooperation der Parteien bei der Ernennung und Abberufung der Geschäftsführung der Beklagten unter Berücksichtigung des Zwei-Säulen-Modells ist Grundlage und essenzieller Bestandteil dieser Vereinbarung, insbesondere im Hinblick auf die sich für Verein ergebenden Pflichten. (…)“

Der Kläger hat gemeint, der Abberufungsbeschluss des Vereinsvorstands für den Verein als Alleingesellschafter der beklagten GmbH vom 25.7.2022 sei nichtig, da Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers allein der Aufsichtsrat, nicht aber die Gesellschafterversammlung vornehmen könne. Der Verein verstoße als alleiniger Gesellschafter der beklagten GmbH ansonsten gegen den „Hannover 96-Vertrag“.
Das LG Hannover hat dem Kläger im Wege der einstweiligen Verfügung gestattet, das Amt des Geschäftsführers bis zur Entscheidung in der (bereits rechtshängigen) Hauptsache weiter auszuüben, und es der Beklagten untersagt, die Löschung des Klägers als Geschäftsführer im Handelsregister zu betreiben.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie macht im Wesentlichen geltend, das LG habe verkannt, dass sich der Kläger als Fremdgeschäftsführer nicht – und erst recht nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – gegen seine Abberufung wehren könne. Zudem sei der Beschluss des Vorstands des Alleingesellschafters vom 25.7.2022 als Gesellschafterversammlungsbeschluss wirksam.

Entscheidung | OLG Celle 9 U 72/22

Das OLG Celle stellte fest, dass das LG die vom Kläger begehrte einstweilige Verfügung zu Recht erlassen habe.

Der Kläger könne im Streitfall Rechtsschutz gegen seine Abberufung als Geschäftsführer der Beklagten suchen, obwohl er Fremdgeschäftsführer sei.

Nach Ansicht des OLG Celle sei der grundsätzliche Ausschluss der Rechtsschutzmöglichkeiten des abberufenen Fremdgeschäftsführers einschränkend dahin auszulegen, dass diesem – schon im Interesse der Rechtssicherheit für die vertretene GmbH – die Geltendmachung einer nicht kompetenzgerechten Abberufung möglich sein müsse. Sei es streitig, ob eine Abberufung überhaupt durch das zuständige Organ der Gesellschaft erfolgt sei und daher Wirkung entfalte, liege eine entsprechende Klärung nicht nur im Interesse des Geschäftsführers, sondern auch im Interesse der von ihm vertretenen Gesellschaft.

Zum anderen sei anerkannt, dass auch der Fremdgeschäftsführer (wie jeder Dritte) die Nichtigkeit eines Abberufungsbeschlusses zum Gegenstand einer Feststellungsklage machen könne. Im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gehöre hierzu auch die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz zu suchen.

Der vom Vorstand des Alleingesellschafters gefasste Gesellschafterbeschluss vom 25.7.2022 erweise sich zumindest bei der im einstweiligen Verfügungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung als nichtig, so dass dem Kläger ein Verfügungsanspruch zustehe.

Das OLG Celle führt aus, die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses folge aus dem Verstoß gegen den so genannten „Hannover 96-Vertrag“. Der Verein habe als Alleingesellschafter der Beklagten eine rechtsgeschäftliche Beschränkung seiner Stimmrechtsmacht betreffend die Veränderung der Satzung der Beklagten in Bezug auf die Kompetenz zur Besetzung des Geschäftsführeramtes akzeptiert. Es sei insoweit vom Vorliegen einer Stimmrechtsbindung auszugehen, die auch gegenüber Dritten versprochen werden könne.

Der Verein habe als Alleingesellschafter der Beklagten mit dem von seinem Vorstand gefassten Gesellschafterbeschluss gegen die mit den weiteren Vertragspartnern des „Hannover 96-Vertrags“ eingegangene Stimmrechtsbindung verstoßen. Zwar sei die Satzung durch den Beschluss nicht geändert worden, doch sei die Verpflichtung des Vereins, die Satzung der Beklagten insbesondere nicht ohne Zustimmung der KG zu ändern, soweit es „Funktion (Bestellung der Geschäftsführung der Gesellschaft) und Besetzung des Aufsichtsrats“ betreffe, ohne Weiteres dahin auszulegen, dass sich der Verein auch verpflichtet habe die Satzung insoweit nicht durch einzelne Beschlüsse zu durchbrechen und insbesondere nicht zu unterlaufen. Anderenfalls würde die Bindungsklausel leerlaufen.

Das OLG Celle führt weiter aus, dass die entgegen einer Stimmbindung erfolgte Stimmabgabe zwar grundsätzlich nicht unwirksam sei. Anders sei dies, wenn alle Gesellschafter der GmbH untereinander eine konkrete Stimmbindung eingegangen seien, weil die gesonderte Durchsetzung der Verpflichtung, das durch die Stimmbindung vorgegebene Ergebnis herbeizuführen, bloße Förmelei wäre. Im Streitfall: Der Verein sei Alleingesellschafter der Beklagten und müsse daher die eingegangene Bindung unmittelbar gegen sich gelten lassen.

Des Weiteren sei der Kläger mittelbar Mehrheitskommanditist eines der Vertragspartner des „Hannover 96-Vertrags“, aus dem die Stimmbindung herrühre, nämlich der KG. Bindungswirkung bestehe mittelbar auch gegenüber dem Kläger, was ebenfalls dafür spreche, die Unwirksamkeit der bindungswidrigen Stimmabgabe bzw. Beschlussfassung des Alleingesellschafters anzunehmen.

Das OLG Celle geht darüber hinaus von der Nichtigkeit des durch die bindungswidrig herbeigeführten Gesellschafterbeschlusses aus. Das ergebe sich aus einer besonderen Treuwidrigkeit des Stimmverhaltens des Vereins als Alleingesellschafter. Der Verein sei sich der von ihm im „Hannover 96-Vertrags“ eingegangenen Bindung ersichtlich bewusst gewesen und habe daher nicht die Satzung geändert, sondern den Kläger ausdrücklich „im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses“ abberufen. Der darin liegende Versuch, die satzungsmäßige, durch eine Stimmrechtsbindung verstärkte und abgesicherte Kompetenzordnung zu unterlaufen, erweise sich – gemessen am Maßstab der §§ 138, 242 BGB – als in besonderem Maße treuwidrig und mache den auf diese Weise herbeigeführten Beschluss nichtig.

Als notwendigen Verfügungsgrund sieht das OLG Celle das schon vom LG erkannte Erfordernis der Klärung der Frage an, ob der Kläger Geschäftsführer der Beklagten geblieben sei oder nicht.

Praxishinweis | OLG Celle 9 U 72/22

In der Literatur wird vertreten, dass die vorliegenden Entscheidungen des LG Hannover (v. 16.08.2022 – 32 O 116/22, ZIP 2022, 2387) und des OLG Celle gerade aus sportrechtlicher Perspektive wichtig seien, da sie unterstrichen, dass sich Streitigkeiten im Rahmen des weit verbreiteten Ausgliederungsmodells im Profi-Fußball in die Rechtsform einer GmbH & Co. KGaA nicht mit der Anwendung von für die konzernunabhängige GmbH entwickelten Grundsätzen lösen lassen (ausf. Mock, ZIP 2022, 2369).

Gerade die gegenseitigen Abhängigkeiten der verschiedenen Gesellschaften im Rahmen des GmbH & Co. KGaA-Modells im Profifußball und die damit einhergehende Eigenständigkeit des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH würden durch die Entscheidungen gestützt. Sie seien nicht nur GmbH-rechtlich zulässig, sondern könnten auch nicht im Wege satzungsdurchbrechender Beschlüsse umgangen werden. Käme die Rechtsprechung zu einem anderen Ergebnis würden die Konstruktionen vieler deutscher Fußballklubs wanken. Dies beträfe vor allem auch die Suche nach neuen Geldgebern und die Bemühungen um eine Professionalisierung der Leitung von Fußballklubs.

Die Urteile werden aber auch anders bewertet. Werner (ausf. NZG 2023, 64) geht davon aus, dass das Recht zur Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund auch bei satzungsmäßiger Zuweisung der Personalkompetenz an ein anderes Organ als der Gesellschafterversammlung – der diese Kompetenz an sich nach § 46 Nr. 5 GmbHG kraft Gesetzes zustehe – bei der Gesellschafterversammlung verbleibe. Die entsprechende Kompetenz fiele in jedem Fall automatisch an die Gesellschafterversammlung zurück, wenn das an sich nach der Satzung zuständige Organ nicht in der Lage sei, einen Beschluss zu fassen, weil z.B. dem abzuberufenden Geschäftsführer nahestehende Organmitglieder das Zustandekommen eines Abberufungsbeschlusses blockierten. Etwas anderes gelte auch dann nicht, wenn die betroffene GmbH Komplementärin einer GmbH & Co. KGaA sei.