OLG Stuttgart 10 U 278/21
Rückübertragung eines Erbbaurechts; Ausübung des Heimfallrechts

13.10.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Stuttgart
13.09.2022
10 U 278/21
NotBZ 2023, 116

Leitsatz | OLG Stuttgart 10 U 278/21

  1. Eine Berufung, mit der lediglich eine andere Urteilsbegründung begehrt wird (hier: Rückübertragung des Erbbaurechts wegen des Heimfallrechts und nicht wegen des Wiederkaufs; Zahlung nicht aufgrund eines Schadensersatzanspruchs, sondern als Erbbauzins) ist unzulässig, weil die erforderliche formelle Beschwer fehlt.
  2. Die wirksame Ausübung des Heimfallrechts führt nicht zu einer Beendigung des Erbbaurechts, denn der Heimfall ist als schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung des Erbbaurechts an den Grundstückseigentümer ausgestaltet. Vielmehr endet das Erbbaurecht mit dessen Löschung im Grundstücksgrundbuch.
  3. Die Kaufberechtigung des Erbbauberechtigten i.S.d. § 2 Nr. 7 ErbbauRG kann durch Vertrag näher geregelt werden. Es ist deshalb zulässig, die Verkaufsverpflichtung des Grundstückseigentümers mit einem Recht des Wiederkaufs zu verknüpfen, das damit Teil des Erbbaurechts wird.
  4. Auch wenn gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG im Fall eines Heimfallanspruchs eine angemessene Vergütung für das Erbbaurecht vertraglich ausgeschlossen werden kann, ist dies einer öffentlichen Körperschaft untersagt, wenn der Erbbaurechtsvertrag dann gegen das Gebot angemessener Vertragsgestaltung (§ 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB) verstößt und zu einer unzumutbaren Belastung für den Vertragspartner der öffentlichen Körperschaft führt. Das ist dann der Fall, wenn der öffentlichen Körperschaft bei Ausübung des Heimfallrechts eine im Rahmen des Erbbaurechts vom Erbbauberechtigten bestimmungsgemäß geschaffene erhebliche Werterhöhung entschädigungslos zu Gute käme.

 

Sachverhalt | OLG Stuttgart 10 U 278/21

Die Klägerin begehrt die Rückübertragung eines Erbbaurechts, die Versicherung des Bauwerks und die Zahlung des Erbbauzinses bis zur Rückgabe des Grundstücks. Der Beklagte begehrt widerklagend die Auflassung des Grundstücks, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausübung des Wiederkaufsrechts sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Klägerin für die ihm durch die Ausübung des Heimfalls- und Wiederkaufsrechts entstandenen Schäden. Der Beklagte sollte die Möglichkeit erhalten, auf dem klägerischen Grundstück in der W.-Straße in O. eine Moschee zu errichten.

Am 26.11.2014 schlossen die Parteien einen Erbbaurechtsvertrag mit einer Laufzeit von 60 Jahren und einer Verlängerungsoption um weitere 30 Jahre. Nach dem Vertrag sollte die Beklagte den ersten Bauabschnitt, bestehend aus einem Kulturhaus und einer Moschee, innerhalb von vier Jahren fertigstellen. Die Baugenehmigung wurde Ende Februar 2015 erteilt, mit dem Bau wurde 2017 begonnen.

Aufgrund von Verzögerungen und Problemen beim Bau konnte die Beklagte die Frist für den ersten Bauabschnitt nicht einhalten. Die Klägerin machte daraufhin von ihrem Heimfallrecht Gebrauch und erklärte den Heimfall des Erbbaurechts. Außerdem machte sie von ihrem Wiederkaufsrecht Gebrauch und erklärte erneut den Heimfall.

Das Landgericht Stuttgart entschied, dass der Klägerin aus dem Heimfallrecht kein Anspruch auf Übertragung des Erbbaurechts zustehe, wohl aber aus der Ausübung des Wiederkaufsrechts. Die Annahme des Kaufangebots durch den Beklagten sei wirksam und die Klägerin habe einen Anspruch auf Rückübertragung des Erbbaurechts. Die Auflassung des Grundstücks könne der Beklagte nicht verlangen, da die Klägerin das Heimfallrecht wirksam ausgeübt habe. Die Klägerin sei jedoch verpflichtet, dem Beklagten Nutzungsersatz in Form des Erbbauzinses zu zahlen.

Die Widerklage der Beklagten, insbesondere der Anspruch auf Schadensersatz, wurde abgewiesen. Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin kein Verschulden treffe und die Ausübung ihrer vertraglichen Rechte keine Pflichtverletzung darstelle.

Die Klägerin legte Berufung ein und beantragte, die erstinstanzlich zugesprochenen Ansprüche aufrechtzuerhalten. Sie machte geltend, dass ihr aufgrund des fortbestehenden Erbbaurechts ein Anspruch auf Versicherung des Bauwerks und Zahlung des Erbbauzinses zustehe.

Entscheidung | OLG Stuttgart 10 U 278/21

Die Berufung der Klägerin ist teilweise unzulässig, weil sie hinsichtlich der ihr bereits durch das erstinstanzliche Urteil zuerkannten Berufungsanträge mangels formeller Beschwer nicht beschwert ist.

Hinsichtlich der weiteren Berufungsanträge ist die Berufung der Klägerin jedoch zulässig und begründet, da sie nach dem Erbbaurechtsvertrag einen Anspruch auf Versicherung des Bauwerks und Vorlage des Versicherungsscheins hat.

Nach der vertraglichen Vereinbarung ist die Beklagte verpflichtet, das Bauwerk gegen Feuer- und Elementarschäden zum Neuwert zu versichern und der Klägerin den Versicherungsschein vorzulegen. Das Erbbaurecht besteht fort, da es nicht aufgehoben wurde und der Heimfall nicht zur Beendigung des Erbbaurechts führt. Die Beklagte sei daher weiterhin verpflichtet, die Versicherung aufrechtzuerhalten. Die Annahme des Kaufangebots für das Erbbaurecht hat keine Auswirkungen auf das Erbbaurecht selbst. Das vom Landgericht angeführte Argument, dass die Versicherungspflicht nach Zahlung des Kaufpreises endet, ist weder im Vertrag angelegt noch im Interesse der Parteien. Wegen des Haftungsrisikos im Falle des Scheiterns des Eigentumserwerbs besteht ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Versicherung bis zum Vollzug des Erwerbs. Der Beklagte ist daher verpflichtet, den Versicherungsschutz und den Versicherungsschein für das Gebäude nach Maßgabe des Erbbaurechtsvertrages zur Verfügung zu stellen.

Die Klägerin verfolgt ferner die Abweisung der Widerklage, soweit festgestellt worden ist, dass die Beklagte nicht zur Zahlung eines Erbbauzinses verpflichtet ist.

Die Ausübung des Wiederkaufsrechts führt nicht zur Unwirksamkeit des Kaufvertrages und der damit zusammenhängenden Bestimmungen. Die Auswirkungen des Wiederkaufsrechts auf den Kaufvertrag sind gesetzlich nicht geregelt. Die Parteien können jedoch die Auswirkungen des Wiederkaufs auf den Kaufvertrag vereinbaren. Wird eine solche Vereinbarung nicht getroffen, so werden die Rechtsverhältnisse nach dem Schuldverhältnis des Wiederkaufs beurteilt. Der Kaufvertrag bleibt bestehen und das Wiederkaufsrecht tritt neben ihn. Die Zahlung des Erbbauzinses erlischt erst mit der wirksamen Ausübung des Wiederkaufsrechts. Mit der Ausübung des Wiederkaufsrechts erlischt das Besitz- und Eigentumsrecht des Käufers und er besitzt das Grundstück nur noch aufgrund des Erbbaurechts. Die Ausübung des Wiederkaufsrechts hat Auswirkungen auf die Nutzung des Grundstücks und die Erwerbserwartung des Käufers. Die Klägerin hat das Wiederkaufsrecht wirksam ausgeübt, und die Vereinbarung über den Wiederkauf ist Teil des Erbbaurechtsvertrags. Es bestehe keine grundrechtliche Verpflichtung der Stadt, der Beklagten das Grundstück zur Verfügung zu stellen. Das Wiederkaufsrecht sei nichtig, weil der Beklagte seine Bauverpflichtung nicht erfüllt habe. Die Bauverpflichtung im Erbbaurechtsvertrag sei hinreichend bestimmt und verletze den Beklagten nicht in seinen Grundrechten. Die Rechtsausführungen des Beklagten nach der mündlichen Verhandlung ändern an der Beurteilung der Rechtslage nichts.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Mit der Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Rückübertragung des Erbbaurechts. Das Landgericht hatte eine Übertragungsverpflichtung verneint, weil die Klägerin den Anspruch nach Annahme des Kaufangebots nicht mehr geltend machen könne. Allerdings wurde festgestellt, dass der Anspruch aus der Ausübung des Heimfallrechts resultiere. Das Landgericht hatte jedoch nicht berücksichtigt, dass das Erbbaurecht erst mit der Eintragung des Beklagten als Eigentümer im Grundbuch übergeht. Das Erbbaurecht und das Eigentum können getrennt behandelt und übertragen werden. Ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung des Eigentums umfasst nicht automatisch den Anspruch auf Übertragung des Erbbaurechts. Das Heimfallrecht wurde als wirksam angesehen und steht nicht im Widerspruch zu den Grundrechten des Beklagten. Die Bauverpflichtung des Beklagten wurde als wirksam angesehen, da sie auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbbauRG beruht und keine rechtlichen Verstöße beinhaltet. Eine Vereinbarung, wonach die Klägerin bei Rückübertragung des Erbbaurechts keinen Ersatz für werterhöhende Aufwendungen des Beklagten erhalten sollte, ist als unangemessen anzusehen. Das Gebot der angemessenen Vertragsgestaltung verlange eine angemessene Gegenleistung und den Schutz vor unzumutbaren Belastungen. Die Regelung über den Ausschluss einer Entschädigung wurde als unwirksam angesehen, an ihre Stelle tritt die gesetzliche Regelung. Die Klägerin hat dem Beklagten eine angemessene Entschädigung für das Erbbaurecht zu gewähren. Die Voraussetzungen für die Ausübung des Heimfallrechts waren erfüllt, da der Bauabschnitt nicht fristgerecht fertiggestellt wurde und dem Beklagten hieran ein Verschulden trifft. Das Auswahlverschulden der Bauleiter und Planer ist dem Beklagten gemäß § 278 BGB zuzurechnen. Unverschuldete Verzögerungen wurden nicht hinreichend dargelegt. Die Berufung des Beklagten war daher unbegründet.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung eines vereinbarten Erbbauzinses. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung verurteilt, weil er das Wiederkaufsangebot nicht angenommen hat. Der Anspruch auf Erbbauzins besteht jedoch nur für die Zeit zwischen der Annahme des Kaufangebots und der Ausübung des Wiederkaufsrechts, während der hier geltend gemachte Erbbauzins die Zeit nach der wirksamen Ausübung des Wiederkaufsrechts betrifft. Der Klägerin stehe daher der geltend gemachte Erbbauzins zu.

Der Beklagte hält an seiner Berufung fest und verfolgt seine Widerklage weiter. Obwohl zwischen den Parteien ein wirksamer Grundstückskaufvertrag bestehe, könne der Beklagte aufgrund der wirksamen Wiederkaufsvereinbarung keine weiteren Rechte aus dem ursprünglichen Kaufvertrag herleiten.

Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte seinen Widerklageantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit der Ausübung des Wiederkaufsrechts weiter. Die Ausübung des Wiederkaufsrechts ist jedoch nicht gemäß § 256 ZPO feststellungsfähig, da es sich nicht um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis handelt. Die Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit des Verhaltens der Klägerin kann daher nicht festgestellt werden. Der Feststellungsantrag ist jedoch dahin auszulegen, dass festgestellt werden soll, dass zwischen den Parteien kein Rückkaufvertrag zustande gekommen ist. Die Einwendungen der Beklagten gegen das Zustandekommen des Wiederkaufsvertrags greifen nicht durch.

Die Beklagte verfolgt ihre Widerklage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Klägerin wegen der Ausübung des Heimfall- und Wiederkaufsrechts weiter. Die Widerklage ist jedoch unzulässig, da keine schadensersatzbegründende Pflichtverletzung vorliegt und ein über die Rechtsverfolgungskosten hinausgehender Schaden nicht nachgewiesen ist. Es könne weder ein vertraglicher Schadensersatzanspruch noch eine Amtspflichtverletzung oder ein enteignungsgleicher Eingriff geltend gemacht werden. Das Vorgehen der Klägerin sei nicht rechtswidrig gewesen und es liege kein unmittelbarer Schaden vor. Zudem sei dem Beklagten von vornherein nur eine beschränkte Rechtsposition eingeräumt worden.

 

Praxishinweis | OLG Stuttgart 10 U 278/21

Bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Erbbaurechten und den damit verbundenen Rechten und Pflichten ist eine genaue Prüfung der vertraglichen Vereinbarungen, der Rechtslage und der individuellen Umstände erforderlich. Insbesondere ist darauf zu achten, ob mit dem Erbbaurecht Bauverpflichtungen oder sonstige Auflagen verbunden sind und ob diese wirksam sind, da deren Unwirksamkeit die Wirksamkeit des Erbbaurechts beeinflussen kann.

Darüber hinaus sollte bei der Vertragsgestaltung darauf geachtet werden, dass die Klauseln und Regelungen angemessen und rechtswirksam sind. Der Ausschluss einer angemessenen Entschädigung im Falle des Heimfalls kann gegen das Gebot der angemessenen Vertragsgestaltung verstoßen und unwirksam sein.

Zu beachten ist auch, dass das Heimfallrecht und das Eigentum an einem Grundstück getrennt behandelt werden können. Ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung des Eigentums umfasst in der Regel nicht automatisch das Erbbaurecht.